Ein Vademecum, das Lektürelust weckt
Hermann Bausingers „Schwäbische Literaturgeschichte“
Von Anton Philipp Knittel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZu seinem 90. Geburtstag hat Hermann Bausinger, der Doyen der Empirischen Kulturwissenschaft, sich selbst und uns Lesern ein großes Geschenk gemacht: seine Schwäbische Literaturgeschichte. Um es gleich vorwegzunehmen: Es ist eine gleichermaßen lesenswerte wie lehrreiche „Ortsbestimmung“. Bausingers 440 Seiten starke Summe einer rund sieben Jahrzehnte währenden Beschäftigung unter den verschiedensten Blickwinkeln mit Land und Leuten bietet ein faszinierendes Panorama des literarischen Betriebs in Württemberg und weit darüber hinaus.
In drei unterschiedlich langen Kapiteln geht es Bausinger mit seiner Überblicksdarstellung nicht primär darum, „Fische zu fangen, sondern Strömungen zu zeigen.“ Zunächst skizziert er unter der Überschrift „Mythos Schwaben“, was „schwäbische Literatur“ zwischen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und Ende des 19. Jahrhunderts sein kann, also in einer Zeit, in „der das Schwäbische in Verbindung mit der Konsolidierung des württembergischen Staats zu einer wichtigen Bestimmungsgröße wird“.
Im Hauptteil nimmt der Autor „Stationen, Personen, Konstellationen“ der Literatur Schwabens im 19. Jahrhundert in 15 längeren Unterkapiteln in den Blick: von Christoph Martin Wieland über Christian Friedrich Daniel Schubart, Friedrich Hölderlin, Wilhelm Hauff, Wilhelm Waiblinger, Ludwig Uhland, Eduard Mörike, Justinus Kerner und einigen anderen. Bausinger erinnert an die Schwäbische Dichterschule als einem „offenen Netzwerk“, er widmet sich dem Bereich „Literatur und Landschaft“ oder auch dem Themenkreis „Aufbruch, Aufstand, Aufklärung“, indem er den Fokus vor allem auf Wirkungen und Bedingungen des literarischen Lebens richtet.
Luzide und deutlich knapper ist der dritte Teil „Region und Welt“. In zehn Abschnitten behandelt er die Literatur um 1900 bis zur Gegenwart, wohl wissend, dass sich insbesondere in der Gegenwart „die Literatur nicht schlechterdings auf einen regionalen Nenner bringen“ lässt. Dass hierbei die Auseinandersetzung mit dem Thema „Heimat“, dem Dialekt und der Region stärker ins Zentrum des Interesses rücken, versteht sich beinahe von selbst. Bausinger erwähnt Heimatdichter wie Hans Heinrich Ehrler, Karl Götz oder August Lämmle, die sich von den Nationalsozialisten vereinnahmen ließen, verweist auf Thaddäus Troll, der zeitweise einer „Propagandakompanie zugeteilt“ war, und dessen Texte in dieser Phase „auch von antisemitischen Parolen nicht frei waren sowie den „merkwürdigen Befund“, dass diese Phase weder von Troll noch der Öffentlichkeit thematisiert wurde.
Peter Härtling, Manfred Esser, Manfred Zach, Draginja Dorpat, Joachim Zelter, Felix Huby und vielen anderen gilt Bausingers Blick ebenso, wie er sich Martin Walser und der oberschwäbischen Literaturszene detaillierter widmet. Stellvertretend seien hier die drei oberschwäbischen Marien – nämlich Müller-Gögler, Menz und Beig – genannt, aber auch Josef W. Janker, Peter Hamm, Bruno Epple, Arnold Stadler, Karl-Heinz Ott, Alissa und Theresia Walser, Hermann Kinder, Kurt Österle, Walle Sayer oder auch Manfred Bosch.
Bausinger erinnert an die Funktion der Freilichttheater, insbesondere auch an die Bedeutung des Literarischen Forums Oberschwaben, an das Forum Allmende oder an die Entwicklung der Zeitschrift allmende, wobei er – typisch schwäbisch, ganz bescheiden – seinen Anteil an den Anfängen der Zeitschrift nicht erwähnt.
Begleitend zu Bausingers Chronik einer überaus reichhaltigen Literaturlandschaft ließen sich insbesondere zur Literatur in Oberschwabens seit 1945 der gerade von Edwin Ernst Weber im Meßkircher Gmeiner Verlag herausgegebene gleichnamige Band sowie die Freundschaftsgabe Manfred Bosch – Literarischer Sekretär der Region, im Konstanzer Südverlag von Siegmund Kopitzki und Inga Pohlmann herausgegeben, heranziehen.
Bausingers Schwäbische Literaturgeschichte ist – vor allem auch für die reiche Literatur unserer Tage – ein Vademecum, das Lust macht, viele Texte wieder zu lesen oder neue zu entdecken.
Eine gekürzte Fassung der Besprechung erscheint auch in allmende – Zeitschrift für Literatur, Nr. 100.
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