Hautfarbe, Kultur, Herkunft

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Von Elisabeth CzieslaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elisabeth Cziesla und Sarah Decker und Sarah MumdeyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Decker und Sarah Mumdey

Eine sehr aktuelle Tierfabel zu Diversität ist das Kinderbuch Abrakazebra – Jeder braucht ein bisschen Zauberei (Ellermann Verlag, 2015) von Helen Docherty. Die lineare, in Reimform geschriebene Handlung spielt im Ort Nichtviellos, in dem eines Tages ein Zebra auftaucht und alle Tiere mit seiner Zauberschau begeistert. Nur Onkel Ziege ist neidisch, dass dem Fremden so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird und mobbt ihn aus dem Ort. Die Tierkinder des Ortes können Onkel Ziege durch ihre Betrübtheit über den Verlust des Zebras letztlich umstimmen und er holt das Zebra zurück. Bei der Zauberschau des Zebras verkauft Onkel Ziege fortan Limo und Kuchen. Im Zentrum der monothematischen Handlung steht Ausgrenzung aufgrund einer äußerlichen Andersartigkeit. Die Tiermetaphorik dient hier nicht nur als Abstraktionsgrad, sondern kann die Problematik der Andersartigkeit sehr gut bedienen. Die Tiere des Ortes gehören zur Szenerie eines europäischen Bauernhofs, wohingegen das Zebra, dessen natürlicher Lebensraum außerhalb Europas liegt, das Exotische verkörpert. Die Streifen des Zebras werden von Onkel Ziege zum Symbol seiner Andersartigkeit gemacht und zusätzlich mit negativem Verhalten gleichgesetzt. Seine Argumentation baut darauf auf, dass das Fremde gleichzeitig das Unbekannte ist. Da die Tiere des Ortes aber zuvor bereits im Austausch mit dem Fremden standen, muss Onkel Zieges Versuch, das Zebra zu diskreditieren, scheitern. Ein wichtiger Akteur in diesem Prozess des Umdenkens der Ziege ist die Generation der Kinder. So kann am Ende der Handlung eine utopische Lösung des Konflikts herbeigeführt werden, die darauf basiert, dass sich der Fremdenfeind durch den Druck der Gesellschaft weiterentwickelt und sein Verhalten hinterfragt. Diese Weiterentwicklung hebt die Lebensqualität des gesamten Ortes: Durch die Zauberschau ist endlich etwas los im Örtchen Nichtviellos und sogar Onkel Ziege kann einen Mehrgewinn durch die Veränderung verzeichnen.

Ein weiteres Beispiel für die Zusammenführung zweier Parteien durch den Einfluss der Kindergeneration ist Rafik Schamis Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm (Hanser, 2003). Das Thema Fremdenfeindlichkeit steht im Mittelpunkt der linear angelegten Handlung, nur beiläufig wird erwähnt, dass der Vater alleinerziehend ist. Vater und Tochter bleiben namenlos und die Tochter schildert dem Leser, wie sie dem Vater helfen will, seine Angst vor Fremden zu verlieren. Sie bittet den Vater, bei der Geburtstagsfeier ihrer Freundin Banja seine Zauberschau vorzuführen, ohne ihm zu sagen, dass Banja und ihre Familie Afrikaner sind. Als diese am Tag der Feier die Tür öffnen, bekommt der Vater schockiert kein Wort heraus. Erst als er seine Zaubertricks vorführt, gewinnt er Sprache und Selbstvertrauen zurück und seine Tochter ist sich nun sicher, dass er seine Angst überwunden hat. Die Fremdenfeindlichkeit des Vaters richtet sich auf eine mit der äußerlichen Andersartigkeit der Hautfarbe assoziierte Bedrohung durch die Fremden. Die kindliche Perspektive leitet die Überwindung der Fremdenfeindlichkeit ein, denn im Alltag der Tochter existiert kein Fremdenhass. Als Schwachstelle erscheint die kulturelle Zuschreibung auf der Bildebene, die Banjas Familie in traditionellen, afrikanischen Gewändern und mit Speeren bewaffnet zeigt. Selbst wenn man darin eine überspitzte Schilderung der unzuverlässigen Protagonistin liest, betont die Darstellung auch für den Leser des Buches abermals eine Wir-Ihr-Dichotomie.

Im Kontrast zu den vorangegangenen Kinderbüchern setzt Das Wort, das Bauchschmerzen macht von Nancy J. Della die Generation der Kinder nicht als Vermittler ein, sondern als Auslöser des Konflikts. Die lineare Handlung ist stark narrativ und verwendet vereinzelt Bilder zur Unterstützung. Erzählt wird personal von Lukas, einem Zwillingsjungen, der als schwarzes Kind in der Vorschule als „Neger“ beschimpft wird, weil das Wort zuvor in einem Kinderbuch (durchsichtig als Pippi Langstrumpf) vorkam. Seine weiße Klassenlehrerin und seine weißen Schulkameraden zeigen für seine verletzten Gefühle kein Verständnis. Nur seine muslimische Freundin Amira hält zu ihm. Als seine Familie von dem Vorfall erfährt, beschließen seine Eltern, sich mit der muslimischen Direktorin in Verbindung zu setzten, die umgehend die deutsche Lehrerin versetzen lässt. An ihre Stelle tritt ein dänischer Lehrer. Die Geschichte greift die Debatte der Bereinigung von Kinderbüchern auf und plädiert für die Ächtung von diskriminierendem Vokabular. Neben dem handlungstreibenden Thema treten polythematisch unterschiedliche Minderheiten (Muslime) und Lebenskonzepte (lesbisches Paar mit Kind) auf. Auffällig ist, dass die schwarze Großfamilie, in der die Mutter für den Unterhalt der Familie sorgt und der Vater sich um den Haushalt kümmert, Unterstützung von einer homosexuellen Mutter und der muslimischen Direktorin erhält. Zusammen mit dem dänischen Lehrer bilden sie das Lager der Minderheiten. Alle weiß und blond dargestellten Personen der Mehrheitsgesellschaft bilden die unbelehrbare Opposition. Die Wir-Ihr-Dichotomie wird dadurch sowohl auf narrativer als auch auf bildlicher Ebene förmlich zementiert.

Auch Stephanie Schneiders Tierfabel Elefanten im Haus (Ravensburger, 2015) erzählt mittels der Wir-Ihr-Dichotomie von einer neu zugezogenen Familie, die sowohl auf der Bild- als auch auf der narrativen Ebene als Elefantenfamilie dargestellt wird. Während auf Seiten der alteingesessenen, menschlichen Hausbewohner in konservativer Skepsis über die exotischen Neulinge getratscht wird, hofft Fine kindlich vorurteilsfrei auf gleichaltrige Spielkameraden. Nachdem sie sich versehentlich selbst aus der Wohnung ausgesperrt hat und von den Elefanten aufgenommen wird, wo sie sich umgehend mit den Elefantenkindern anfreundet, zeigt sich nicht nur Fines Vater dankbar, sondern auch der Rest der Anwohnerschaft heißt die Elefantenfamilie im Haus willkommen. Die Kinder legen folglich abermals den Grundstein für die Begegnung der Erwachsenen und die damit verbundene Lösung des Konflikts. Gleichzeitig wird veranschaulicht, dass Art und Herkunft für Kinder keinerlei Rolle spielen, sondern Kinder für sie immer „nur Kinder“ sind.

Wie in Abrakazebra steht auch in Aygen-Sibel Çeliks Sinan und Felix: Mein Freund – Arkadasim (SchauHör, 2014) ein Konflikt im Mittelpunkt, der von kindlicher Eifersucht herrührt. Denn die Sprachbarriere zwischen den türkischen Jungen Sinan und Murat und dem deutschen Felix bewirkt dessen scheinbare Ausgrenzung und seine Angst, zum Spottobjekt zu werden. Der Konflikt wird zwar nicht gelöst, allerdings festigt der Groll gegen Murat Felix‘ freundschaftliche Gefühle zu Sinan, der ihm, im Gegensatz zu Murat, bereitwillig zur Seite steht. Während Felix der Sinn hinter den unverfänglichen, türkischen Sätzen verwehrt bleibt, erfährt der Leser die deutsche Übersetzung der Worte durch Vokabelkästen mit deutscher Bedeutung und Lautschrift der türkischen Begriffe. Auf diese Weise wird nicht nur das Gefühl der Kinder für die türkische Sprache gefördert, sondern obendrein vermittelt, dass nicht alles fremd Klingende automatisch negativ belegt sein muss.

Neben Sinan und Felix: Mein Freund – Arkadasim existieren weitere Kinderbücher mit integrierten Vokabelheften.[1]

Als polythematische Erzählungen, die Diversität nicht in den Fokus stellen, sondern beiläufig auf der Bildebene verhandeln und damit das Paradoxon einer Definition von Andersartigkeit im Vorgang zu deren Integration vermeiden, erscheinen Susanne Szesnys Illustrationen zu Bärbel Spathelfs Im Kindergarten ist es toll (Albarello, 2008) oder Astrid Henns Illustrationen zu Henriette Wichs Kleine Kita-Geschichten zum Vorlesen (Ellermann, 2012). In beiden Fällen wird auf narrativer Ebene der Kindergarten- bzw. Kita-Alltag thematisiert, während die Bildebene jeweils eine kulturelle Bandbreite eröffnet, die es auch Kindern jenseits der Dominanzgesellschaft ermöglicht, eine optische Ähnlichkeit zu sich selbst zu entdecken und sich dementsprechend mit den Figuren zu identifizieren und Kinder der hellhäutigen Bevölkerung kommen in Kontakt mit der vielfältigen Realität.

Aktuell wird der Aspekt der Diversität häufig im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik diskutiert und mit der Frage nach einem zumutbaren Zustrom an Menschen mit oder ohne Asylrecht aufgegriffen. Im Laufe dieser Debatte entstanden mehrere Kinderbücher auf dem deutschen Markt, die sich ganz oder teilweise mit diesen Menschen und ihren Geschichten auseinandersetzen. Alle da! Unser kunterbuntes Leben von Anja Tuckermann und Tine Schulz erschien 2014 in Leipzig (Klett Kinderbuch). Das Werk behandelt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Menschen sowie die Probleme des Zusammenlebens (z.B. Sprachbarrieren, Vorurteile, Toleranz, Angst vor Fremden etc.). Die polythematische Struktur des Buches greift mit Hilfe des Perspektivwechsels viele weitere Aspekte bezüglich des Lebens in einer multikulturellen Gesellschaft auf. Auf einer der farbenfroh gestalteten Doppelseiten schildert Samira in vielen kleinen Illustrationen und kurzen Sätzen den langen Weg, den sie und ihre Familie von Syrien nach Deutschland zurückgelegt haben. Auch die Beweggründe zur Flucht, Armut, Hunger und Krieg, werden thematisiert.

Ein monothematisch aufgebautes Buch, Akim rennt, wurde von der Französin Claude K. Dubois sowohl getextet als auch illustriert (Deutsche Auflage: Moritz, 2014).

Akim, aus dessen Perspektive die Geschichte geschildert und gezeichnet ist, und seine Familie leben friedlich in einem kleinen syrischen Dorf, bis dieses plötzlich angegriffen und zerstört wird. Akim rennt, doch wird von Soldaten gefangen genommen und muss für diese arbeiten, kann aber letztendlich entkommen. Er rennt so lange, bis er im Gebirge auf eine Gruppe von Flüchtlingen trifft, sich ihr anschließt und in einem Boot den Fluss überquert. Mittels einer Hilfsorganisation gelangt er in ein Erstaufnahmelager, wo er sich einige Tage später wieder in den Armen seiner Mutter bergen kann.

Akim rennt ist die auf maximale Empathie der Leser ausgelegte Geschichte einer Flucht. Während die Textebene sachlich, sparsam und dokumentarisch nur das Nötigste berichtet, lassen die schemenhaften schwarz-weißen Illustrationen den Leser das Geschehen förmlich miterleben, indem sie Akims kindliche Perspektive aufgreifen und das Geschehen in jedem Bild auf einen Blickpunkt fokussieren. Der Leser sieht zugleich Akim im Bild und sieht mit Akims traumatisiertem Blick. Dem Buch gelingt damit das Kunststück, mit einer starken Wir-Ihr-Dichotomie zu erzählen und diese in der Empathie des Lesers zugleich aufzulösen. Die nachträgliche Altersempfehlung liegt bei 7 Jahren. Das gemeinsam mit Pro Asyl und Amnesty International verlegte Akim rennt wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2015 und dem Katholischen Kinder-Jugendbuch-Preis ausgezeichnet.

Bestimmt wird alles gut von Kirsten Boie und Jan Birck erschien Anfang 2016 in Leipzig (Klett) zeigt eine neuartige Herangehensweise an das Thema Flucht in einer wahren Geschichte, zweisprachig auf Deutsch und Arabisch und richtet sich damit an beide Seiten der Wir-Ihr-Dichotomie: deutsch und arabisch sprechende Kinder. Rahaf, ihre drei Geschwister und die Eltern fliehen aus Homs in Syrien zunächst nach Ägypten. Dort besteigen sie ein Schiff und setzen sich den Schleppern aus, die das Gepäck mitsamt Geld und Papieren stehlen. Nach acht Nächten des Bangens erreichen sie die Küste Italiens. Ohne Geld und Papiere gelingt ihnen die Reise nach Deutschland. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt in einem Erstaufnahmelager leben sie nun in einem Containerzimmer. Sie sind seit zwei Jahren in Deutschland und Rahaf geht zur Schule. Ihr Vater darf als Arzt in Deutschland nicht praktizieren, kommt aber während eines Unfalls zur rechten Zeit zu Hilfe.

Die sachlich gehaltene Textebene der paritätisch zwischen deutschem und arabischem Text geteilten Seiten nimmt deutlich mehr Platz in Anspruch als die Illustrationen, die wie in Akim rennt die Emotionsträger der Erzählung darstellen. Trotz der negativbesetzten Thematik sind die wenigen Bilder groß und oft farbig gestaltet. Auch hier listet ein Vokabelteil im Anhang die wichtigsten Termini des Kennenlernens auf Deutsch und Arabisch in Lautschrift auf.

Anmerkung:

[1] So etwa der Fortsetzungsteil Sinan, Felix und die wilden Wörter (SchauHör Verlag, 2016), welcher ebenfalls türkische Vokabeln vermittelt. In Christoph Niemanns Der kleine Drache: Eine Geschichte von Freundschaft und chinesischen Schriftzeichen (Jacoby &Stuart, 2004) wird Kindern ein Einblick in die Vielzahl der chinesischen Schriftzeichen gewährt. Und Eymard Toledos Béne, schneller als das schnellste Huhn (Baobab Books, 2013) führt nicht nur den Alltag eines brasilianischen Jungens vor Augen, sondern stellt zugleich Begriffe aus der brasilianischen Kultur vor.

Der Beitrag ist Teil des Seminar-Projekts „Diversität im Kinder- und Jugendbuch“ an der Universität Bayreuth, dessen Ergebnisse in der Dezember-Ausgabe 2017 von literaturkritik.de veröffentlicht sind.