Aufgeregte Aufklärungsforscher

Philosophie, Anthropologie und Ästhetik um 1750

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit ihrer Studie "Einbildungskraft und Aufklärung" legt Gabriele Dürbeck eine fundierte Untersuchung zur Vorgeschichte der Etablierung der Anthropologie als Wissenschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts vor. Besonderes Augenmerk richtet die Autorin auf die damals virulente Diskussion um die psychologisch-physiologische Funktion der Einbildungskraft. Dürbeck ist es gelungen, deren Bedeutung für die Genese der wissenschaftlichen Anthropologie herauszupräparieren, ohne darum ihre Rolle für Ästhetik und Poetik aus dem Blick zu verlieren. Ein Beitrag also auch zur literarischen Anthropologie.

Das herangezogene Quellenmaterial setzt sich insbesondere aus philosophischen, naturwissenschaftlichen, medizinischen aber auch poetischen Texten zusammen. Hierbei werden gerade bislang von der Forschung eher vernachlässigte Autoren berücksichtigt, die, so die Autorin, einen wesentlichen Beitrag zur Grundlegung der Anthropologie als wissenschaftlicher Disziplin leisteten.

Darüber hinaus werden Moralische Wochenschriften und Lexika der Zeit herangezogen, um vor allem die deutschsprachige Diskussion nachzuzeichnen. Anhand dieser Quellen weist Dürbeck nach, daß schon vor 1750 "anthropologische Ansätze vorlagen, die den Menschen als ganzes" begriffen. Sie liefert somit Bausteine für ein tiefer greifendes Verständnis der Entwicklungsgeschichte der Anthropologie der Aufklärung. Besonders informativ und aufschlußreich liest sich der Abschnitt "Psychologie der Einbildungskraft" mit den damaligen Positionen zur Theorie des Traumes, die ihre eigentlich Karriere "erst in der literarischen Anthropologie und Ästhetik der Spätaufklärung" startete.

Wenn Dürbeck allerdings in ihrem Untersuchungsgegenstand ein "aufregendes Stück Wissenschaftsgeschichte" entdeckt zu haben glaubt, so scheint das doch ein wenig überschwenglich. Bei der Lektüre einem Herzinfarkt zu erliegen, läuft jedenfalls niemand Gefahr. Dennoch handelt es sich bei der vorgelegten Untersuchung um eine für Aufklärungsforscher, historische Anthropologen und Literatur- bzw. Kulturwissenschaftler empfehlenswerte Studie, die so manche selbst diesen meist unbekannte Quelle ausschöpft.

Titelbild

Gabriele Dürbeck: Einbildungskraft und Aufklärung: Perspektiven der Philosophie, Anthropologie und Ästhetik um 1750.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1998.
357 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3484181486

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