Kubas verstoßener Autor

Ángel Santiesteban wirft in seinem Erzählband „Wölfe in der Nacht“ einen kritischen Blick auf ein hoffnungsloses Kuba

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Jahr nach Fidel Castros Tod ist der „máximo líder“ auf Kuba allgegenwärtig, sein Geist scheint die Karibikinsel weiter zu regieren und tatsächlich hat sich seit seinem Rückzug als Präsident vor fast zehn Jahren nicht allzu viel verändert. Raúl Castro, der zwar die Gründung von Privatgeschäften in verschiedenen Berufen und mehr Reisefreiheit bewirkte und bereits im kommenden Februar zurücktreten möchte, steht für viele als Verlierer da. Die Annäherung an die USA zum Beispiel sollte sein Erbe sein. Doch hatte Obama 2014 dem seit Jahrzehnten zerrütteten Verhältnis zwischen Kuba und den USA zu einer Wende verholfen (nicht nur die diplomatischen Beziehungen wurden wiederaufgenommen), so schränkt Trump diese Entspannungspolitik gerade wieder ein, worunter nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung des Inselstaats leidet.

Ein weiteres Problem seit Jahrzehnten ist Kubas repressiver Umgang mit seinen Schriftstellern. Prominentestes Beispiel ist wohl die sogenannte Padilla-Affäre: Als Heberto Padilla 1971 wegen eines Nachworts in seinem Gedichtband Fuera del juego der subversiven Betätigung beschuldigt, zur Selbstkritik genötigt und verhaftet wurde, löste dies eine internationale Protestwelle in intellektuellen Kreisen aus. Nicht nur Padilla verließ die Insel schließlich und lebte bis zu seinem Tod in den USA, viele seiner Schriftstellerkollegen und -kolleginnen, darunter Guillermo Cabrera Infante, Reinaldo Arenas, Jesús Díaz oder Zoé Valdés, ergriffen mehr oder weniger freiwillig die Flucht und wurden zu Exilkubanern.

Auch Ángel Santiesteban (*1966) gehört zu den von der Regierung schikanierten Autoren. Seine Texte darf er auf Kuba nicht mehr veröffentlichen und das, obwohl er mit zahlreichen renommierten Literaturpreisen, darunter dem Premio Alejo Carpentier und Premio Casa de las Américas, ausgezeichnet wurde. Wegen seines regimekritischen Blogs „Los hijos que nadie quiso“ wurde er mehrfach bedroht und schließlich zu einer Haftstrafe verurteilt. Momentan ist er dank Intervention des deutschen Außenministeriums auf Bewährung frei.

Santiestebans Band Wölfe in der Nacht enthält sowohl bereits auf Spanisch publizierte Erzählungen als auch Texte, die auf Spanisch noch nicht veröffentlicht wurden und damit allein einem deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich sind. Er erzählt in den sechzehn Texten von einem erschreckenden Kuba: Es geht um Hunger, der Männer nachts auf offener Weide Tiere schlachten lässt, um Prostitution, um Gewalt, Vergewaltigung und brutale Machtstrukturen in kubanischen Gefängnissen. Immer wieder kreisen Santiestebans Erzählungen auch um den kubanischen Militärdienst in Angola, um das Elend der verletzten, hungrigen und verzweifelten Soldaten. Kuba, das aus idealistischen und außenpolitischen Gründen schon ein Jahr nach der Revolution politischen Bewegungen in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern nicht nur militärisch zur Verfügung stand, unterstützte die angolanische Befreiungsfront Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA) zwischen 1975 und 1991, die sich im Kampf gegen die Kolonialmacht Portugal gegen zwei weitere rivalisierende Bewegungen durchsetzen konnte.

Auch das Schreiben auf Kuba thematisiert Santiesteban in seinen Erzählungen. Als ein Romanmanuskript schließlich zu einem verfolgten Objekt wird, beschließt die Hauptfigur dieses Romans, der Santiesteban die Erzählerstimme für seine Erzählung leiht, das Manuskript am Ende zu verschlingen. Als Verkörperung des Romans verschlingt er sich am Ende selbst: „Bleiben nur noch die Lippen, und als sie das letzte Blatt aufnehmen, lächeln sie.“ In einer anderen Erzählung geht es ebenfalls um die Verbrennung (vermutlich) nicht regimekonformer Manuskripte: „Wer von den Dogmen abweicht, wird zu einem Subversiven, einem Unruhestifter, der das verordnete System in Verruf bringt.“ Ein Schreiber hält in dieser Erzählung Geschichten und Träume anderer Personen fest, wird aber schließlich von der Geheimpolizei aufgesucht. Was im Alltag keinen Platz findet, scheint sich in Träumen und Geschichten zu manifestieren und so das Überleben zu sichern: „Denn ein Mensch ohne Visionen, davon bin ich überzeugt, ist ein Gespenst, die Spiegelung eines dahintreibenden Schiffs im Wellengang.“

Santiestebans Kuba ist ein verzweifeltes Kuba. Trotzdem bleibt am Ende immer etwas Hoffnung, wenigstens auf menschliches Mitgefühl, nämlich dann, wenn die Protagonisten nicht anders können als das, was ihnen bleibt, zu teilen. So die Frau, die sich nicht nur für ihre Familie, sondern für die gesamte Nachbarschaft zu prostituieren scheint, ihr Studium vernachlässigt und ihre Einkäufe an die Nachbarn verteilt.    

Wenn Raúl Castro im Februar zurücktreten wird, ist das politische Erbe zwar wahrscheinlich schon gesichert, doch trotzdem mag man die Hoffnung nicht aufgeben, dass Kuba sich endlich seinen starken Autoren stellt. Denn ihre kritischen Stimmen braucht der Inselstaat, um endlich vernünftige Reformen anzugehen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Ángel Santiesteban: Wölfe in der Nacht. 16 Geschichten aus Kuba.
Übersetzt aus dem Spanischen von Thomas Brovot.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
271 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783103973082

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