Kann ein Apfel Kunst sein?

Über Klaas Verplanckes Magritte-Porträt

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fliegende Hüte, schwebende Äpfel, Hühnereier. René Magritte schuf Traumwelten, in denen er naturgetreue Darstellungen einfacher Alltagsgegenstände zu komplexen, surrealistischen Kompositionen machte. Der belgische Autor und Illustrator Klaas Verplancke unternimmt in seinem Buch Magritte und sein Apfel eine Reise in Magrittes künstlerische Welt.

Das Besondere an diesem Buch: Es ist für Kinder konzipiert. Verplancke wählt einen ungewöhnlichen Weg, Magrittes Sujet-Wahl zu erschließen: Er stellt ihn als Maler dar, der zwar weiß, wie man malt, aber nicht, was er malen soll. Magritte kann nicht schlafen und sitzt morgens vor seiner weißen Leinwand – bis ihn irgendwann endlich ein Apfel inspiriert: Magritte träumt davon ein Maler zu sein, „ein Maler, der Äpfel malte“.

In schlichten, kurzen kindgerechten Sätzen bringt Verplancke Magrittes Universum seinen jungen Lesern (und staunenden Erwachsenen) nahe. Seine Illustrationen greifen die Motivwelt und den Duktus des Malers auf, ohne ihn einfach nur zu kopieren. Es findet sich die Pfeife, der Teller mit menschlichem Antlitz, Eier, Schuhfüße, Wolken, fliegende Felsbrocken und schwarze Hüte, und als wiederkehrendes Motiv immer wieder der grüne Apfel.

In den Illustrationen wird mit Täuschungen gespielt, mit Gemälden, in die der Maler hinein- und herausgehen kann. Leinwände öffnen sich zu Türen – und umgekehrt. Alles ist auf den ersten Blick realistisch, auf den zweiten Blick jedoch mehrdeutig. Aber die Welt des Malers erscheint einleuchtend. Die Dinge, die Magritte – pardon Verplancke – abbildet, besitzen nicht länger die Namen, die wir hierfür normalerweise benutzen. Wie bei Magritte die Pfeife keine Pfeife ist, so ist in Verplanckes Magritte-Buch ein Blatt kein Blatt sondern ein „Spiegel“ und sieht aus wie ein Mund. Der Wasserhahn heißt „Schirm“, das Baguette trägt eine Brille. Schuhe werden zu Füßen und ein Spiegelei zu einem Vogel.

Das Buch lädt dazu ein, genau hinzuschauen und verführt Kinder wie Erwachsene dazu, in die Welt dieses Malers einzutauchen, bei dem nichts so ist, wie es aussieht (oder eben doch).

Obwohl Magritte bereits mit 12 Jahren zu malen und zu zeichnen begann, wählt Verplancke den erwachsenen Maler zum Protagonisten seines Buches, einen Herrn im korrekten schwarzen Anzug mit Krawatte und schwarzer Melone auf dem Kopf. Verplanckes Magritte entspricht somit dem Mann im Anzug, den Magritte immer wieder auf seinen Bildern malte und zum Protagonisten seiner surrealen Traumwelt machte.

Bis auf drei kurze Absätze am Schluss kommt das Buch ohne biografische und kunsthistorische Erläuterungen aus, was auch für Erwachsene manchmal wohltuend sein kann. Verplanckes Illustrationen zitieren und modifizieren die Gemälde Magrittes. Manche Bildzitate sind geläufig, andere weniger. Sechs Abbildungen von Magrittes Originalgemälden fordern dazu auf, direkte und indirekte Zitate ausfindig zu machen. Abgebildet ist unter anderem eine Arbeit aus Das Reich der Lichter aus dem Jahr 1950, die Inspiration für die Abbildungen des Innenumschlags ist. Des Weiteren finden sich Der Scharfblick von 1936 und Die Liebenden von 1928.

Das Bilderbuch ist in einer Kooperation des Museum of Modern Art in New York und dem Diogenes Verlag entstanden. Es lässt Blickweisen stolpern und ermöglicht kleinen und großen Lesern einen niedrigschwelligen Zugang in die Welt der Modernen Kunst, ist darüber hinaus aber auch für Kunstinteressierte ein kurzweiliger Genuss.

Titelbild

Klaas Verplancke: Magritte und sein Apfel.
Übersetzt aus dem Englischen von Kati Hertzsch.
Diogenes Verlag, Zürich 2017.
32 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783257021400

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