Der Flaneur im Museum

Der britische Theaterregisseur Alan Bennett schildert seine Erlebnisse mit Bildern

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alan Bennetts im knallroten Einband des Wagenbach Verlages erschiene Essays über seine Erfahrungen mit Kunstwerken in Museen sind den Lebenserinnerungen des bekannten britischen Theaterregisseurs mit dem Titel Keeping on Keeping or (2016), Untold Stories (2005), Writing Home (1994) entnommen. Das erklärt Bennetts autobiografischen Zugriff auf sein Sujet, der zugleich ein Gang durch die Geschichte der Kunstrezeption in Großbritannien ist. So begegnen wir gleich im ersten Kapitel dem Amerikaner Bernard Berenson, einem der frühesten Kunsthistoriker und dessen legendärer Methode „zu gucken, zu gucken und zu gucken. Er stand stundenlang vor einem Gemälde, bis er sich jede Einzelheit eingeprägt hatte.“ Das mündete für Berenson in eine Art Verzückung, die für uns heute nur noch schwer nachvollziehbar ist.

Diese Art der Kunstbetrachtung kollidierte in den 1930er Jahren in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien zunehmend mit der ikonografischen Methode der Kunstgeschichte, die durch renommierte jüdische deutsche Emigranten vertreten wurde. Wie Bennett auf amüsante Weise schildert, erfreute sich diese Methode in Großbritannien großer Beliebtheit. Auch Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit kommt bei Bennett zu Ehren, wenn er launig beschreibt, wie seit den 1960er Jahren massenhaft begonnen wurde, Kunstwerke in Farbe und anfangs schlechter Druckqualität auf Postkarten, als Puzzle und so weiter zu vervielfältigen.

Besonderen Charme gewinnen seine mit leichter Hand skizzierten Betrachtungen dadurch, dass er sie mit seiner Sichtweise als Kind und Jugendlicher verbindet, der die dargestellten Bildinhalte noch nicht zu abstrahieren weiß und darum mit seiner alltäglichen Erfahrung abgleicht. Als Erwachsener sieht er sich als Mitglied des Stiftungsrates der Londoner National Gallery vor die Herausforderung gestellt, nun selbst exemplarisch für die Kunstgeschichte vier Gemälde auszuwählen, die für die Ausstattung von Schulen reproduziert werden sollen, was sich als beinahe unmögliche Aufgabe herausstellt.

Bennetts Reisen zu berühmten Bildern enden oft mit gründlicher Desillusionierung angesichts der hier anzutreffenden anderen Touristen oder Werke. So bemerkt er etwa zu Jan Vermeer: „Und wie klein einige der Gemälde tatsächlich sind – kaum größer als die Postkarten, die im Museumsshop verkauft werden.“

Aber auch die Zeitgenossen unter Bennetts Kollegen von der schreibenden und musizierenden Zunft, nämlich W.H. Auden und Benjamin Britten sowie Peter Pears, dessen Partner, bekommen auf vergnügliche Weise ihr Fett weg, weil sie sich wie Diven gerieren.

Wie impressionistisch hingetupft wirken namentlich Bennetts Betrachtungen über seine diversen Ausstellungsbesuche. Oft sind die Ausstellungsräumlichkeiten sowie das Aussehen und Verhalten anderer Besucher für ihn interessanter als der eigentliche Anlass: die zu betrachtenden Bilder. Dies bildet auch die Überleitung zu einem Erlebnis aus seiner Schulzeit in Leeds, als ein Historiengemälde mit einer erotischen Darstellung im örtlichen Museum das Interesse aller Schuljungen seiner Klasse, offenbar alle in der Pubertät, weckte – und im Ausklang der Begegnung mit Bildern aus seiner heimatlichen Landschaft bei Leeds zu dem Schlusssatz führt, das Bilder Freunde sein können.

Bennetts kurzweilige Ausführungen gewinnen ihren unauslöschlichen Reiz aus der Tatsache dass jede Leserin und jeder Leser vermutlich schon ähnliche Erfahrungen in der Begegnung mit Bildern gemacht hat, die hier mit einem Augenzwinkern und viel britischem Understatement vorgetragen werden.

Titelbild

Alan Bennett: Alan Bennett geht ins Museum.
Übersetzt aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2017.
144 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783803113269

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