Heiße Luft
Hendrik Otrembas Debütroman macht Versprechen, die nicht gehalten werden
Von Anna Sophie Büchöl
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseJoseph Weynberg ist Detektiv in einer namenlosen Stadt irgendwann in der Zukunft. Er ist süchtig nach der Droge Portobin, seitdem seine große Liebe Hedy tot ist. Nun soll er die Liebe eines anderen Mannes finden: Der Untergrundboss Gustav Lang beauftragt Weynberg, die verschollene Maude Anandin aufzuspüren und zu ihm zu bringen. Das wäre eigentlich eine leichte Übung für einen Detektiv, gliche Maude seiner verstorbenen Frau nicht bis aufs Haar und erinnere sie ihn nicht ständig an sie. Weynberg ist fasziniert von Maude, ja er entwickelt geradezu eine Obsession für die freiheitsliebende Frau, die nicht im Traum daran denkt, zu Lang zurückzukehren. Sie gerät immer wieder in Schwierigkeiten, in die sie Weynberg mit hinein zieht. Dabei sterben auch Menschen. Beiden bleibt keine andere Wahl als die Flucht. Doch Lang ist ihnen stets auf den Fersen.
Hendrik Otremba verspricht dem Leser mit Über uns der Schaum eine actiongeladene Geschichte. Eingebettet ist die Handlung in ein dystopisches Weltuntergangsszenario – ein fiktives Deutschland, in welchem der Regen giftig ist und ganze Städte ausgestorben sind. So heißt es: „Wir fuhren drei Tage ohne weitere Ereignisse. Fanden liegengebliebene Fahrzeuge. Zapften Benzin aus ihnen. Brachen ein Geschäft auf, holten uns dort, was noch zu genießen war. Ruhten uns aus. Manchmal zwang uns ein Regen, irgendwo Unterschlupf zu suchen, denn auch im Auto war es bei heftigen Niedergüssen zu gefährlich.“
Auf der Flucht müssen Weynberg und Maude, ähnlich der Logik eines Computerspiels, eine Vielzahl an Hindernisse überwinden, Nahrung finden, geheilt werden und immer wieder gegen ihre Gegner kämpfen, bevor sie schließlich – wenig überraschend – dem Endboss gegenüberstehen.
In Über uns der Schaum werden einige gute Einfälle verarbeitet, allerdings unzureichend umgesetzt: Der Roman vermischt viele verschiedene Genres aus Literatur und Film, was zwar theoretisch ein interessanter Ansatz ist praktisch jedoch als eine planlose Aneinanderreihung von Detektiv-, Trauerbewältigungs- und Erotikroman, Action- und Road-Movie sowie Dystopie daherkommt. Der Leser wird überflutet mit Eindrücken und kann die abrupten, oft viel zu schnellen Handlungswechsel nicht immer nachvollziehen.
Die apokalyptische Welt ist wenig mehr als eine Kulisse. Neugier weckende Informationen, wie der giftige Regen, werden zu genüge erwähnt, aber ihre Hintergründe werden nicht aufgeklärt. Leider ist die Immersion in die fiktive Welt bei Über uns der Schaum gering, da die Handlung auch ohne sie funktionieren würde. So bleibt das Universum Ortembas lediglich schmückendes Beiwerk. Dasselbe gilt für das Ableben Hedys, das ein Rätsel bleibt. Otremba eröffnet in seinem Roman schlichtweg zu viele – je für sich genommen spannende – Handlungsstränge, die er dann nicht fortführt. Dem Leser bleibt er zu viele Antworten schuldig, was letztlich frustriert.
Auch die Figuren enttäuschen. Alle erscheinen charakterlich ähnlich, weil keine der Personen – nicht einmal die Protagonisten Weynberg und Maude – Tiefgang und Nuancen hat. Zudem entspricht Maude dem Klischee einer Männerfantasie: verrucht, knapp bekleidet, allzeit bereit für Sex. Kämpfen kann sie natürlich auch noch, was ihr allerdings wenig nützt: Trotzdem wird sie von einem Mann gerettet werden. Für einen Roman, der im Jahr 2017 debütiert, leider alles andere als zeitgemäß.
Auch in ihrer Sprache unterscheiden sich die Figuren des Romans kaum voneinander. Stirbt jemand, gesteht der Erzähler ihm zu, seine letzten Momente aus der Ich-Perspektive zu schildern. Statt hier die Charaktere auszudifferenzieren und den Leser an den letzten Gedanken vor dem Tod intensiv teilhaben zu lassen, werden diese bei jedem als derselbe Einheitsbrei aus Flüchen dargestellt: „Nein, verdammt. Der Wichser hat Nerven. Noch mal. Ja! Jetzt. VERDAMMT. STIRB DU WICHSER!“ und an anderer Stelle „Verdammt. Mist, verdammt. Mein Bauch. Nein. Mist. Nicht so. Nein, nicht jetzt. Das ist nicht gut. WEG! Verdammt.“
Von einem Dozenten, der an der FH Münster Studierenden das Schreiben beibringt, würde man mehr erwarten. Der Roman steckt voller Logikfehler und Redundanzen. In Kapitel 11 heißt es etwa: „Sie seufzt und atmet laut aus, gleichzeitig.“ Das tun wohl die meisten, denn letztlich ist ein Seufzen nichts anderes als ein lautes Ausatmen. Oder in Kapitel 12: „In dieser Gegend bedeutete Licht Leben.“ Tut es das nicht immer? Des Weiteren werden manchmal ganze Passagen mit leichten Abwandlungen wiederholt. Im 13. Kapitel wird eine Stadt mit diesen Worten beschrieben: „Grau war sie, grau und verlassen. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckten wir, dass Pflanzen und Gräser dem Asphalt und Beton Farbe gaben, dass sie gar nicht so grau war, wie sie zunächst wirkte.“ Und in Kapitel 18 eine andere Stadt: „Sie war grau, jede Stadt war grau. Aber ich konnte auch Farben erkennen.“
Das größte Kopfschütteln bereiten jedoch die lyrischen Ergüsse des Hobbydichters Weynbergs, die als Motto jedem aus seiner Perspektive erzähltem Kapitel voranstehen. Direkt am Anfang des ersten Kapitels erwarten den Leser folgende Verse, deren Sprachkunst der einer Büttenrede gleicht: „Das ist die Arbeit, das ist der Preis / So geht’s bei Detektiven / Eine Pflanze wächst im Kleiderschrank / Nimm dich in Acht vor ihren Trieben“.
Besonders bei den Motti fragt man sich, ob das Ganze wirklich ernst gemeint ist. Leider lassen sich aber keine Anzeichen von Ironie oder einer anderen humoristischen Form erkennen, weshalb davon auszugehen ist, dass dies tatsächlich der Fall ist. Nun muss man Otremba zugutehalten, dass Über uns der Schaum sein Romandebüt ist. An dieser Stelle ist sicherlich auch dem Lektorat unsaubere Arbeit vorzuwerfen. Spätestens dem hätten die logischen Unregelmäßigkeiten auffallen müssen.
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass in Über uns der Schaum ein großes Fass vieler guter Ideen aufgemacht wird. Zugleich liegt an dieser Stelle – neben den zahlreichen sprachlichen Unsauberkeiten – auch die größte Schwäche des Romans: Es werden zu viele verschiedene Nebenschauplätze eröffnet, statt eine Idee stringent zu verfolgen. Alles in allem ein Roman, der sehr viel verspricht, aber nur wenig hält.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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