Der Dichter spricht, in welchen Zungen?

Über Durs Grünbeins Gedichtband „Zündkerzen“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann sagen, der Dichter hat etwas gegen Büros und gegen die Lebensjahre, die man in ihnen vergeudet, gegen Straßen und Städte. Auch Karaoke-Bars am Strand behagen ihm nicht. Stattdessen taucht er lieber im Meer, bewegt sich mit ausgreifenden Zügen und sieht sich als Zackenbarsch, einzeln lebend. Zugleich als Apologet der Vergänglichkeit. Ein Fremder, vor allem mit dem, was um ihn herum geschieht und das bei den anderen offensichtlich Wohlbehagen auslöst. Der Dichter hat es unbehaglich am Ballermann und seinesgleichen, freilich scheint es so, als ob das, was um ihn herum geschieht, alles von solch minderer Qualität wäre.

Wenn ein neuer Gedichtband von Durs Grünbein erscheint, dann darf das ruhig Aufmerksamkeit auf sich ziehen, hat sich der Autor doch seit seinem Start um die Zeit der Wende herum auf die Position des wohl besten und repräsentativsten Lyrikers der Bundesrepublik, alt und neu, geschoben. Die harte Schelte, die seinerzeit Fritz J. Raddatz in der Zeit publizierte, hat seinen Aufstieg nicht behindert – was freilich auch daran gelegen haben mag, dass er in seiner Generation tatsächlich ein Solitär ist, trotz solcher Namen wie Thomas Kling oder Bert Papenfuß-Gorek, die Grünbein auf ihre Art nicht nachstehen.

Was Grünbein anfangs auszeichnete, war, dass er zwar offensichtlich ein Erbe und eben auch Adept der beiden Großen in der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts, Gottfried Benn und Bertolt Brecht, war. Er teilte mit ihnen Themen, Sprache und Zugriff. Aber er schwamm sich schnell frei und erreichte dabei ein Niveau, das bis heute seinesgleichen sucht.

Und er wanderte weiter in der weiten Landschaft deutschsprachiger Lyrik – und nicht nur ihr. Nun scheint er bei Rolf Dieter Brinkmann angekommen zu sein. Zwar bleibt Grünbein beim knappen Text, beim Gedicht, dennoch ist die Annäherung an den Grantler aus Vechta und Köln kaum zu übersehen. Das beginnt bei der Sprache, die den lyrischen Ton, den Grünbein ja durchaus beherrscht, so sehr meidet, als ob mit ihm das falsche Moment in den Text käme.

Grünbeins Gedichte in Zündkerzen sind meist von einer derart demonstrativen Schmucklosigkeit, dass Leser motiviert werden, sich auf die Suche nach dem lyrischen Mehrwert zu begeben, der sich irgendwo zwischen Zeilenfall und Weißraum eingenistet haben muss.

Nur selten verfällt Grünbein in einen bekannten lyrischen Ton. Wo früher jedoch Brecht durchschien, taucht jetzt ein altes Schulgedicht als Folie auf, in dem sprachliche Widersprüche durchexerziert werden (Wimpernwelle). Ansonsten bleibt Grünbein bei der harten Fügung, beim schmucklosen Vokabular; daraus wird tatsächlich kein Lied, wie es in Allgemeine Verschärfung geschieht. Das hindert ihn allerdings nicht daran, ins leider allzu bekannte zivilisationskritische Horn zu stoßen, wenn Technik das halbe Leben regelt, und wenn es zur Gewissheit wird, dass „Funktionieren“ das „Glück“ ist (Technik, die funktioniert). Soweit wird der Normalsterbliche nicht gehen wollen, aber aus der Sicht dessen – und jetzt ist Vorsicht geboten –, der mit einer solchen Vita nichts zu tun hat, sind der Alltag und die Normalität der mittleren Begabungen abgründig, ein Leben umstellt von „grauen Bilanzen“ und „aussichtslosen Vakanzen“.

Dagegen wird man wenig sagen können, wenngleich auch nur aus der Gewohnheit heraus, dass Dichter aus ihrer Abscheu vor der Normexistenz nie einen Hehl gemacht haben. Immerhin wollen sie aufs Ganze hinaus, auf eine Wahrnehmung, vielleicht sogar Erkenntnis, die zwischen Akten und Vorgängen eben nicht zu finden sein wird. Allerdings – ohne die Angestelltenexistenz unangemessen anzupreisen –, woher nehmen Dichter die Gewissheit, dass ihre Lebensweise vornehmer, wahrhaftiger und vielleicht sogar echter ist als die der von ihnen verachteten Spießbürger? Seit Baal hat sich da anscheinend wenig getan. Ein wenig mehr Bescheidenheit und Zurückhaltung, ja Scham täte beiden Seiten gut.

Aber Grünbein hat offenbar einen anderen Berserker der deutschen Lyrik aufgetan und sich in ihn auch stilistisch verguckt: Grünbein in Italien – das als Folie über weite Strecken des Bandes erkennbar ist – ist offensichtlich wie Rolf Dieter Brinkmann herzergreifend genervt von der billigen Banalität um ihn herum. Kein Menschenfreund, sondern ein bekennender Menschenverächter zeigt sich hier. Die Schäbigkeit der modernen Existenz kommt jedoch im gottbegnadeten Italien außerordentlich gut zur Geltung. Was sich auch in der imaginierten Banalität der Sprache zeigen kann, die eben alles, Rhythmus, Wohlklang, verweigern kann. Warum Sprache an eine Realität verschwenden, der wahre Schönheit – innere und äußere – so fremd ist? Das schöne Italien ist längst perdu.

Selbst ein verdecktes Brinkmann-Zitat hat es in Grünbeins Gedichtband geschafft: Keiner weiß mehr, so der Titel des einzigen Romans Rolf Dieter Brinkmanns, der im schmucklosen Köln spielt. Die ganz normale Herrschaft des Plebs, unter der alles zu wertlosem Plunder zerfällt? Der Dichter im kulturkonservativen Multiwahn? Das Schicksal Botho Straußʼ droht also auch dem alternden Grünbein? Man will es ihm nicht wünschen, sondern stattdessen lieber von einem stilistischen Experiment sprechen, das er auch jetzt noch wagen kann.

Selbstverständlich, der Verfasser dieser Zeilen hat von dem, was er da gelesen hat, nichts, aber auch gar nichts verstanden. Aber das Photopoem ist grandios.

Titelbild

Durs Grünbein: Zündkerzen. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
143 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783518427538

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