Chansons für Carla Bruni und Fenster für den Élysée-Palast

Hervé Le Tellier über die großen Träume eines kleinen Franzosen

Von Christina DittmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Dittmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Cher François Mitterand, ich wollte Ihnen, wenn auch mit leichter Verspätung, zu ihrem Wahlsieg […] gratulieren.“ So beginnt ein Mann namens Hervé Le Tellier – der rein zufällig denselben Namen trägt wie der Autor – eine Postkarte aus seinem Urlaub in Arcachon an den französischen Präsidenten im Jahr 1983. Kurz darauf flattert die Antwort ins Haus, ein Schreiben, in dem unter anderem versichert wird, dass die „Bemerkungen mit all der Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen werden, die sie verdienen“. Hocherfreut setzt Hervé sich an den Antwortbrief und es entwickelt sich ein reger Briefwechsel mit dem Präsidenten. Dass die Antwort immer dasselbe standardisierte Schreiben ist, scheint Hervé nicht aufzufallen und so entsteht bald eine sehr enge, wenn auch einseitige Freundschaft.

Sicherlich, der fleißige Briefeschreiber ist etwas enttäuscht, nachdem 1993 ans Licht kommt, dass Mitterand zum Schutz seiner Familie einige ihnen nahestehende Menschen abhören lässt. Durch den Vertrauensbeweis, dass er ihn als einzigen aus seinem nahen Umfeld nicht abhören lassen hat, lässt er sich jedoch besänftigen. Die Freundschaft mit Mitterand wird nicht mal durch dessen Tod unterbrochen, denn schließlich kann er gar nicht wirklich verstorben sein, wenn er doch weiter Briefe aus dem Élysée-Palast schickt.

Doch auch mit seinen Nachfolgern im Amt beginnt Hervé eine mehr oder weniger enge Korrespondenz. Er berichtet Jacques Chirac vom Verschwinden seiner Katze Tchoupette, befragt ihn in Herzensdingen bezüglich seiner verflossenen Liebe Madeleine und sieht sich als Mentor des jungen Emmanuel Macron (schließlich kann er auf jahrelange Freundschaften mit seinen Vorgängern zurückgreifen).

Nur Nicolas Sarkozy kann er nun gar nichts abgewinnen bis der Carla Bruni heiratet jedenfalls. Schließlich schreibt Hervé leidenschaftlich gerne Chansons und bräuchte nur noch jemanden, der sie singt.  Kleine Kostprobe: „Na gut na klar/ Wenn es denn geht/ Wenn Du es willst/ genau wie ich// Wenn auch nicht viel/ Nur ein wenig/ Das reichte schon/ für einen Anfang“. Dieses Anliegen wird wie üblich „mit all der Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen, die es verdient“.

Stets kommentiert Hervé den Tonfall des immer gleichen Schreibens und merkt direkt, dass  Chirac versucht, den Stil seines ersten Freundes Mitterand nachzuahmen, was diesem jedoch – natürlich – nicht ansatzweise gelingt. Seine Formulierungen wären dann doch etwas zu „fade“.

Würde man die Erzählung einer Logikprüfung unterziehen, wäre natürlich sofort klar, dass niemand so naiv sein kann wie der Protagonist. Doch vielleicht möchte der die Wahrheit ja auch gar nicht sehen, weil er sich so sehr wünscht, gehört zu werden und eine Rolle zu spielen, während zu Hause in seinem Alltag niemand auf ihn wartet, nicht mal mehr seine Madeleine und ihre wunderbaren Crêpes Suzette. Demnach ist Le Telliers Erzählung urkomisch und zugleich bei genauerem Hinsehen  tieftraurig. So erfährt der Leser auch, dass Madeleine ihren Hervé schon in der Vergangenheit als „manischen Lügner“ bezeichnet hat.

Le Telliers Briefroman ist kurzweilig und amüsant. Satirisch und stellenweise rührend berichtet er von der Einsamkeit eines alleinstehenden Franzosen, der wenig Halt im Leben hat, sich über Jahrzehnte mit Aushilfsjobs durch das Leben kämpft und doch die Hoffnung nie verliert (sei es den Élysée-Palast mit neuen Fenstern auszustatten oder mit seinen fürchterlichen Chansons groß rauszukommen). Die kleinen Anekdoten und Spitzen gegen die französischen Präsidenten bereiten sicher nicht nur, aber besonders Frankophilen einiges an Amüsement.

Titelbild

Hervé Le Tellier: Ich und der Präsident. Ein Briefroman.
Übersetzt aus dem Französischen von Jürgen und Romy Ritte.
dtv Verlag, München 2017.
87 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783423146265

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