Ein amerikanischer Alptraum
Irene Dische versucht sich in „Schwarz und Weiß“ an einer Abrechnung mit dem amerikanischen Traum
Von Monika Grosche
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWer Irene Dische kennt, weiß, dass eine Story, die bei ihr wie eine märchenhafte Liebesgeschichte beginnt, wohl kaum so enden wird. Denn Dische ist für ihren genauen Blick und ihre spitze Feder bekannt, mit der sie Beziehungen – vor allem auch Familienbande – analysiert und demontiert.
Doch zunächst lässt sich in ihrem neuesten Roman Schwarz und Weiß alles gut an für die beiden Protagonisten, die im New York der 1970er Jahre ein Paar werden. Kennengelernt hatten sich Duke, ein schwarzer junge Mann aus dem tiefsten Süden, und die Intellektuellentochter Lili, die als Krankenschwerster arbeitet, bereits zuvor auf ungewöhnliche Weise in Kenia. Nun führt Duke ein Heimaturlaub aus Vietnam nach New York. In kurzer Zeit entwickelt sich dort die Liebesbeziehung zwischen den beiden. Auch Lilis gebildete jüdische Upper-Westside-Eltern reagieren begeistert auf den schüchternen Mann in Uniform.
Sie alle scheinen ihn sich sofort gewissermaßen als neues Projekt anzueignen: Die feministische Mutter und der erfolgreich komponierende Vater können gegenüber der New Yorker Schickeria ihre Weltoffenheit und Toleranz beweisen, während Lili endlich jemanden gefunden zu haben glaubt, der ganz allein ihr gehört. Dank des Einflusses der Eltern muss Duke dann auch tatsächlich nicht wieder nach Vietnam. Stattdessen erwartet den Ahnungslosen beim sensationshungrigen New Yorker Geldadel eine steile Karriere als Weinkenner. Auch für Lili läuft am Anfang ihrer Beziehung zu ihm zunächst alles bestens. Das vermeintlich hässliche Entlein erobert plötzlich als Mode-Ikone internationale Laufstege und Werbespots. Damit erhält sie die wunderbare Möglichkeit, nicht nur viel Geld zu verdienen (und es gleich mit vollen Händen wieder rauszuwerfen), sondern auch ihre persönlichen Macken auszuleben.
Dass diese gar nicht so harmlos sind, wie sie zunächst anmuten, erfährt der Leser erst nach und nach. Ihrem Ehemann Duke etwa eine geheime Vergangenheit als Nachfahre Thomas Jeffersons anzudichten, gehört noch zu den anfänglichen kleinen Flunkereien, mit denen sie die Menschen in ihrer Umgebung manipuliert und gefügig macht. Später zeigen sich aber zunehmend pathologische Abgründe hinter der mädchenhaften Fassade des Topmodels. Lili erweist sich als zutiefst verstörte Frau, die ihre eigenen Verletzungen aus der schrägen Beziehung zu ihren Eltern in Grausamkeit und Zerstörungswut gegenüber sich selbst und anderen auslebt. Der im wahrsten Wortsinn blauäugige Duke merkt zunächst kaum etwas davon: Viel zu sehr vergöttert er Lili, die sich passenderweise den Künstlernamen Lilith zulegt, der unter anderem einem weiblichen Dämon der babylonischen Mythologie zugeschrieben wird. Ihm gefällt das vermeintliche Geheimnis seiner Herkunft, das sie erdacht hat – nicht ahnend, dass es tatsächlich noch ein anderes, viel größeres Geheimnis um seine Abstammung gibt.
Diese ist allerdings weit weniger edel als ein illegitimer Spross eines früheren US-Präsidenten zu sein: Ironischerweise lässt ihm das Schicksal eine Mutter aus Nazideutschland und eine Halbschwester, die dem übelsten rassistischen „White Trash“ angehört, als alleinige Familienbande zuteilwerden, bis dann später ausgerechnet aus Afrika unerwarteter Familienzuwachs auftaucht.
Zunächst ist das Paar aber ahnungslos gegenüber den negativen Wendungen, die ihrem gemeinsamen Leben zukünftig beschieden sind, ihrem Glück sind scheinbar keine Grenzen gesetzt. Beide sind Berühmtheiten in ihrem Bereich, beide verdienen enorme Summen – und für beide scheint nur ihr Leben zu zweit wirklich wichtig zu sein. Doch mit den Jahren verändert sich dies auf drastische Weise: Lilis verbissener Wunsch nach Kindern nimmt ein jähes Ende und auf der Suche nach einer „Ersatztochter“ überspannt sie den Missbrauch der Menschen in ihrer Umgebung derart, dass auch ein findiger Anwalt sie nicht vor dem gesellschaftlichen Aus retten kann.
Ausgerechnet nach Florida, wo Duke aufgewachsen ist, führen sie daraufhin ihre Wege. Seine Liebe zu Lili ist inzwischen völlig erkaltet, während sie verzweifelt versucht, ihn zurückzugewinnen. Wie in einem griechischen Drama steuern wir so zwischen Trailer-Parks, Containerkirchen und Disneyland einem unaufhaltsamen, zerstörerischen Ende entgegen. Bis dahin begleitet der Leser die beiden Hauptfiguren durch die letzten drei Jahrzehnte des letzten Jahrtausends. Das Ganze ist nicht nur als nur die Geschichte einer gescheiterten Liebesbeziehung angelegt, vielmehr versucht sich Dische mit ihrem jüngsten Roman an einer Abrechnung mit dem amerikanischen Traum. Aber obwohl hier Erwartungen, Wünsche und Träume reihenweise zu Bruch gehen und Rassismus, Gewalt und religiöser Eifer allgegenwärtig sind, bleibt die scharfsichtige Demaskierung des „American Way of Life“ weitgehend aus.
Vielleicht ist es gerade der Perfektion geschuldet, mit der sie selbst die Charaktere der Nebenfiguren ausleuchtet, dass es einem schwerfällt, den Blick von den Figuren abzuwenden und sich näher mit deren gesellschaftlichem Hintergrund auseinanderzusetzen. Fast alle sind so dominant und enervierend in ihrer Egozentrik, dass man mitunter am liebsten angeekelt den Buchdeckel zuklappen möchte. Doch Dische beherrscht die große Kunst, den Leser mit Ironie, Witz, interessanten Perspektivenwechseln und echten Überraschungsmomenten bei der Stange zu halten, auch wenn der 500 Seiten starke Roman durchaus ein paar Längen aufweist. Kurz gesagt: Schwarz und Weiß ist gewiss nicht Disches bestes Werk – aber selbst schwächere Titel von ihr sind immer noch besser als vieles andere auf dem Literaturmarkt und eine gute Wahl auf der Suche nach intelligenter Unterhaltung.
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