Satire, Groteske und Unterhaltung

Zum 100. Geburtstag von Muriel Spark

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenige Tage nach Erscheinen ihres Erstlingsromans The Comforters (dt. Die Tröster) wurde Muriel Spark von ihrem Verleger Alan Mclean in ein schickes Restaurant ausgeführt – mit einem Packen äußerst positiver Kritiken unterm Arm, darunter auch von Evelyn Waugh. „Ich wage zu behaupten, dass wir hier erst einen Vorgeschmack haben.“ Ihr Verleger sollte Recht behalten. Muriel Spark war zu diesem Zeitpunkt (1957) zwar schon knapp 40 Jahre alt, aber in schneller Folge sollten nun weitere Romane ihren Namen bekannt machen.

Muriel Sarah Spark (geb. Camberg) wurde 1918 als Tochter des jüdisch-schottischen Ingenieurs Bernard Camberg und seiner Frau Sarah Elizabeth (Sissy) Uezzell in Edinburgh geboren. Die familiären Wurzeln ihres Vaters lagen in Litauen, die Mutter war eine englische Presbyterianerin. Bereits während ihrer Schulzeit interessierte sich Muriel für Literatur und ihre Gedichte erschienen regelmäßig in Schulmagazinen. Danach arbeitete sie zunächst als Sekretärin, ehe sie mit 19 den 13 Jahre älteren Lehrer Sydney Oswald Spark heiratete. Sie begleitete ihren Ehemann nach Afrika, in die ehemalige britische Kolonie Rhodesien (heute Simbabwe). Allerdings scheiterte die Ehe und so kehrte die geschiedene Muriel 1944 nach England zurück, wo sie bis zum Kriegsende in der Abteilung für politische Aufklärung für den britischen Geheimdienst MI6 in London tätig war.

Danach arbeitete sie als Stenotypistin und Journalistin und war Herausgeberin der einflussreichen Zeitschrift Poetry Review. Neben einem Buch über die Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft veröffentlichte sie in dieser Zeit auch einen Gedichtband. 1954 konvertierte Spark zum Katholizismus, ähnlich wie Jahre zuvor bereits ihre Schriftstellerkollegen Evelyn Waugh und Graham Greene. Dieser Schritt zur Selbstfindung war ein Wendepunkt in ihrem Leben – sowohl als Mensch als auch als Schriftstellerin. Diesen Übertritt verarbeitete Spark in vielen ihrer Werke, so auch in ihrem Debüt The Comforters (1957, dt. Die Tröster). Der Titel weist auf die falschen Tröster Hiobs hin und drückt Sparks noch skeptische Einstellung gegenüber der neu angenommenen Religion aus. Auf einer mysteriösen Schreibmaschine und mit Hilfe rätselhafter Stimmen wird das Leben der jungen Protagonistin Caroline Rose „vorangeschrieben“. Schon hier zeigten sich das wesentlich Merkmal ihres späteren Schaffens: die Überschneidung von Fiktion und Realität.

Ihr nächster Roman Memento Mori (1958) war eine bissige Satire auf die skurrile Welt der greisen Londoner Oberschicht. Statt geruhsamem Lebensabend eine Welt aus Niedertracht, Erpressung und Erbschleicherei. Ihren literarischen Durchbruch erzielte Muriel Spark mit The Prime of Miss Jean Brodie (1960, dt. Die Lehrerin, später Die Blütezeit der Miss Jean Brodie). Auf den ersten Blick scheint der Roman eine klassische Lehrer-Schüler-Geschichte zu sein, doch die charismatische Lehrerin Miss Brodie, die faschistischem Gedankengut gegenüber aufgeschlossen ist, will gottgleich den Willen ihrer Lieblingsschülerinnen brechen und sie zu ihrem Spielball machen. Nur ein Mädchen durchschaut die Hinterlist der doch so bewunderten Lehrerin und wird so zu ihrer Gegenspielerin. Spark schildert die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln, sodass dem Leser verborgen bleibt, welchen Standpunkt sie selbst einnimmt. Der Roman gilt heute als Klassiker der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts, ja als Werk von Weltruf. Eine Theaterfassung (1966) und eine Verfilmung (1969) trugen wesentlich zu seiner Bekanntheit bei und bescherten der Autorin eine weltweite Leserschaft. 1978 folgte eine mehrteilige Fernsehserie des Romans.

1966 ging Muriel Spark schließlich nach New York, 1970 nach Rom. Ab 1982 wohnte sie dann (bis zu ihrem Tod) zusammen mit ihrer ehemaligen Sekretärin, der Malerin und Bildhauerin Penelope Jardine, in deren Haus in der Toskana. In den 1960er und 1970er Jahren entstanden weitere Romane fast im Zweijahres-Takt: The Girls of Slender Means (1963, dt. Mädchen mit begrenzten Möglichkeiten), The Mandelbaum (1965, dt. Das Mandelbaumtor), The Public Image (1968, dt. In den Augen der Öffentlichkeit), The Driver’s Seat (1970, dt. Töte mich!), Not to Disturb (1971, dt. Bitte nicht stören) oder The Hothouse by the East River (1973, dt. Das Treibhaus am East River). Spark selbst hielt The Driver’s Seat und Not to Disturb für ihre gelungensten Romane, mit denen sie „der englischen Literatur einen Dienst erwiesen habe“. In ihnen wandelt sich das Komische geradezu ins Unheimliche, ja Groteske – da sucht in ersterem die mysteriöse Amerikanerin Lise in Rom ihren eigenen Mörder (1974 mit Elizabeth Taylor verfilmt), in letzterem kommt es in der Villa Klopstock zu absurden und schrecklichen Merkwürdigkeiten. Dabei treibt die Autorin mit ihren Lesern ein regelrechtes Versteckspiel.

Mitunter hat Spark in ihren Romanen auch zeitgeschichtliche Ereignisse anklingen lassen, beispielswiese in The Abbess of Crewe (1974, dt. Die Äbtissin von Crewe) die Watergate-Affäre. Wie beim amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 1972 gerät hier die Wahl einer neuen Äbtissin zum Intrigenspiel. Der Kurzroman war darüber hinaus ein Seitenhieb auf den Klerus, der die Vorgänge zu vertuschen suchte.

Muriels Schaffenskraft war weiterhin ungebrochen, aber mit den folgenden Romanen konnte sie den Erfolg der frühen, experimentelleren Jahre nicht mehr erreichen. In den 1980er Jahren entstanden Loitering with Intent (1981, dt. Vorsätzlich Herumlungern), The Only Problem (1984, dt. Das einzige Problem) und A Far Cry From Kensington (1988, dt. Ich bin Mrs. Hawkins); später noch Symposium (1991, dt. Symposium), Reality and Dreams (1996, dt. Träume und Wirklichkeit), Aiding and Abetting (2000, dt. Frau Dr. Wolfs Methode) und The Finishing School (2004, dt. Der letzte Schliff). Dabei könnte man den Romantitel Träume und Wirklichkeit, der eine Satire auf die Filmtraumfabrik ist, als Leitmotiv für Sparks gesamtes Werk ansehen, das sich neben Satire und Hintergründigkeit vor allem durch kriminalistische und mystische Elemente auszeichnet. Die Autorin liebte exotische Schauplätze und skurrile Situationen – da klingelt etwa eine selbst erfundene Figur plötzlich an der Haustür oder ein Gespenst kommt als Patient in eine Praxis. Aber auch auf moralische und philosophisch-religiöse Fragestellungen versuchte sie literarisch eine Antwort zu finden.

Muriel Spark wurde mit zahlreichen Auszeichnungen und Preisen geehrt, unter anderem mit dem T.S. Eliot Prize für kreatives Schreiben (1992), dem David Cohen British Literature Prize (1997) oder mit dem Ehrendoktortitel für Literatur der Oxford University (1999). 1993 wurde sie sogar von der Queen zur „Dame Commander of the British Empire“ geadelt. Muriel Spark starb mit 88 Jahren am 13. April 2006 in Florenz. Mit ihren 22 Romanen, zahllosen Short Stories, Gedichten und Theaterstücken gehörte sie zu den erfolgreichsten Autorinnen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Im deutschsprachigen Raum erschienen ihre Werke vor allem im Diogenes Verlag. Neben den Romanen auch der Geschichtenband Päng päng, du bist tot und die Autobiografie Curriculum Vitae (1992, dt. Curriculum Vitae. Selbstportrait der Künstlerin als junge Frau), in der Spark ihre Erinnerungen bis in das Jahr 1957 niederschrieb. Es war das Jahr, als ihr erster Roman The Comforters erschien. Sie entwarf hier ein Bild von ihrem Werdegang zur Schriftstellerin. In einer Vorbemerkung zu Curriculum Vitae äußerte sie: „Wir sollten vielleicht alle unsere Erlebnisse niederschreiben, um auf unsere alten Tage nicht von der Wahrheit abzuirren“. Am Ende erwähnt sie sogar einen zweiten Band, doch blieb es beim Vorsatz, diesen zu schreiben. Später folgte keine Autobiografie mehr, dagegen mehrere biografische Veröffentlichungen über Mary Shelley und die Brontë-Schwestern – darunter die literaturkritische Sammlung The Essence of the Brontes (1993, dt. In sturmzerzauster Welt – Die Brontës). Allerdings finden sich autobiografische Bezüge in zahlreichen ihrer Romane.

Zum 100. Geburtstag von Muriel Spark hat der Diogenes Verlag ihren Roman Memento Mori in einer Neuübersetzung von Andrea Ott herausgebracht. Die Geschichte erzählt von einer Reihe skurriler älterer Männer und Frauen, die ihr Leben in einem Altersheim trotz körperlicher Hinfälligkeit noch auskosten wollen. Da bleiben Sterbefälle nicht aus – natürlich wird das alles mit britischem Humor geschildert. Außerdem verknüpft Spark die Selbsttäuschungen und Lebenslügen des illustren Völkchens geschickt mit einem Kriminalfall, denn die gebrechlichen, aufgeregten Schwerenöter erhalten fortlaufend anonyme Anrufe mit Botschaften wie „Denken Sie daran, dass Sie sterben müssen“, wobei sich der Anrufer stets äußerst höflich meldet. Ist es ein Verrückter oder der Tod selbst? Wie Spark ungeschminkt alle Facetten des Alterns – vom Schwinden der körperlichen und geistigen Kräfte bis zum Negieren des Todes – schildert, ist zugleich beklemmend und grandios. Komplettiert wird die Diogenes-Ausgabe mit einem Nachwort der britischen Schriftstellerin A.L. Kennedy.

Titelbild

Muriel Spark: Memento Mori.
Mit einem Nachwort von A. L. Kennedy.
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Ott.
Diogenes Verlag, Zürich 2018.
295 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257070040

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