Müssen es denn alle sein?

Norbert Dietka untersucht Ernst Jüngers Beziehungen zu Künstlern

Von Christophe FrickerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christophe Fricker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Klappentext dieses Buches stellt eine für das wissenschaftliche Arbeiten grundlegende Frage, die so zugespitzt nur selten formuliert wird: Es müsste, so heißt es dort, einmal „kritisch hinterfragt werden, ob eine summarisch auf Vollständigkeit abzielende Bestandsaufnahme eine exemplarische, nach inhaltlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Untersuchung ersetzen kann.“

Man würde der Tragweite dieser Frage nicht gerecht werden, wenn man dem Autor unterstellen würde, er versuche aus seiner Not eine Tugend zu machen. Norbert Dietka sieht sich in seinem Vorhaben, Ernst Jüngers persönliche Beziehungen zu bildenden Künstlern zu untersuchen, einer nur schwer überschaubaren Materialfülle gegenüber. Jünger korrespondierte mit Dutzenden von Malern, Bildhauern und Fotografen, traf sich mit ihnen und wurde von ihnen über Jahrzehnte immer wieder porträtiert. Zahlreiche seiner Bücher wurden illustriert, und seine Texte wurden im Rahmen von Künstlerbüchern produktiv rezipiert. Dietka vollzieht diejenigen Beziehungen nach, die ausweislich von Briefwechseln, Tagebucheintragungen und Kunstwerken besonders intensiv waren.

Daraus entsteht eine Art Handbuch, das mithilfe von Personenkapiteln die schriftlich überlieferten Äußerungen zusammenstellt und behutsam in den Lebens- und Werkkontext Jüngers und seines jeweiligen Gegenübers einordnet. Zu noch lebenden Künstlern nahm Dietka im Rahmen dieses Projekts Kontakt auf, und er nimmt zahlreiche Antworten auf seine Fragen in den Band auf. Durchaus beeindruckend ist, dass bei den Hintergrundrecherchen auch Lokalzeitungen und andere eher abseitige Quellen umfänglich berücksichtigt werden. Hilfreich ist das umfangreiche Verzeichnis von Jünger-Porträts im Anhang, darüber hinaus ist die sehr gute Qualität der 14 Reproduktionen zu loben.

Zurück zu der Frage, die der Klappentext aufwirft: Was wäre der Gewinn, wenn eine hypothetische Neuausgabe dieses Buches Vollständigkeit erreichte? Die Frage lässt sich wohl auf drei Ebenen beantworten, jeweils mit einem anderen Blick auf das, was da zu vervollständigen wäre. Erstens geht es um die biografische Ebene und damit die Frage, ob man weitere Künstlerbeziehungen ergänzen sollte. Der Leser würde ein noch sehr viel detaillierteres Bild von (sicher ziemlich vielen) relativ unwesentlichen Vorkommnissen in Jüngers Leben gewinnen. Die Begegnung war für manche der bildenden Künstler eine einschneidendere Erfahrung als für Jünger, doch bei Weitem nicht für alle. Insofern sind hier tatsächlich Zweifel angebracht.

Die beiden anderen Ebenen, auf denen der mögliche Nutzen abzuschätzen wäre, haben mit Themen zu tun, die im Buch deutlich weniger prominent sind als die Biografie. Da ist zum einen die Eigenart und der Wert der Kunstwerke, die aus den Begegnungen entstanden sind. Dietka geht über sehr knappe Beschreibungen in der Regel nicht hinaus und verweist, was die kunsthistorische Einordnung angeht, auf Sekundärliteratur, wo immer sie bereits vorliegt. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist die Analyse von Jüngers frühen Beziehungen zu Alfred Kubin und A. Paul Weber, die laut Dietka eine düstere Zukunftsangst in Jüngers geistiger Welt bereits zu einem Zeitpunkt andeuten, an dem Jünger das anbrechende Zeitalter des „Arbeiters“ explizit noch enthusiastisch begrüßt. Die kunstgeschichtliche Einordnung – der entstandenen Kunstwerke und, warum nicht, der Werke Jüngers – lohnt sich also durchaus, und zwar erst recht bei den „großen Namen“ wie Horst Janssen, Stefan Moses oder Rudolf Schlichter. Nicht auszuschließen ist, dass bedeutende Werke auch dann entstanden, wenn eine persönliche Beziehung überhaupt nicht oder kaum zustande kam.

Und schließlich sind „weiterführende Arbeiten“ auch nötig, um den Titel des vorliegenden Bandes einzulösen, der ja nicht lautet: „Ernst Jünger und die bildenden Künstler“, sondern Ernst Jünger und die bildende Kunst. Dietka mustert eher kursorisch, was sich Jünger unter optischer Wahrnehmung vorstellt, und geht kurz auf dessen Tagebuchäußerungen zu bildenden Künstlern ein, zu denen keine persönliche Beziehung bestand (alles kanonische, wie Dietka feststellt). Dass diese Äußerungen und Urteile jeweils „nur einer Laune“ entspringen, ist im Angesicht von Jüngers akribischer Arbeitsweise eine steile These, die tatsächlich systematisch überprüft werden sollte. Denn immerhin schreibt Dietka selbst: „Jüngers ästhetische Rezeption von Bildwerken ist […] lediglich auf die Kohärenz mit dem eigenen Denken fokussiert.“ Offenbar nolens volens ist hier ein umfangreiches zukünftiges Forschungsvorhaben angedeutet.

Kein Bild

Norbert Dietka: Ernst Jünger und die bildende Kunst.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2017.
216 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-13: 9783826061523

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