Neid – das Gift im Auge des Betrachters
Ein psychoanalytischer Sammelband untersucht die Dynamik des Neids zwischen Sehnsucht und Zerstörung
Von Laslo Scholtze
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNeid ist ein Tabu. Es gibt kaum jemanden, der sich zu dieser dunklen, giftigen Seelenregung bekennen würde. Mit Nachsicht ist nicht zu rechnen, Neid wird trotz seines universellen Charakters seit jeher geächtet. Dabei hat er gerade in der christlich-jüdischen Kultur einen überaus prominenten Platz: Neid ist das Motiv des ersten Mordes der Menschheitsgeschichte, des Brudermordes durch den Neider Kain, der nicht ertragen konnte, dass sein Bruder Abel gottväterliche Anerkennung für seine Opfergaben fand, die ihm selbst verwehrt blieb.
Neid bedroht die zwischenmenschlichen Beziehungen und den nachbarschaftlichen Frieden. Neidvermeidung scheint daher ein dringendes soziales Gebot. Doch dies ist nur eine Seite der Medaille. Denn gerade die moderne Konsumgesellschaft reizt das Begehren nach Besitzgütern aller Art, nach Status, Schönheit und Genuss bis aufs Äußerste. Sie macht damit ihre Mitglieder zu Konkurrenten und Wetteiferern, die beständig begehren sollen, was andere bereits besitzen.
Es fällt auf, dass Neid unter den sieben Todsünden – im Gegensatz etwa zu Völlerei und Wollust – als einzige nicht einmal einen temporären Lustgewinn verspricht, sondern sich zugleich immer zerstörerisch gegen das neidische Subjekt selbst wendet. Denn im Neid ist bereits das Urteil über die eigene Wertlosigkeit enthalten: Was ich bin und habe, ist nicht genug. Eindrucksvoll ist dies zu Beginn des 14. Jahrhunderts von Giotto di Bondone in seinem berühmten Fresko Invidia (lateinisch für „Neid“) dargestellt: Eine Giftschlange kriecht aus dem Mund einer Frau, biegt sich zurück zum Gesicht ihrer Wirtin und beißt in ihre Augen. Die alles vegiftende Wirkung des Neids als veritables Horrorfilmmotiv.
Psychologisch beruht der Neid auf dem sozialen Vergleich. Der andere besitzt, was ich gerne hätte. Dabei geht es oft weniger um das Materielle an sich als vielmehr um die Vorstellung, welches Lebensgefühl dem anderen durch diesen Besitz vergönnt sei. Der Neid richtet sich also auf das Glück, welches der Neider beim Beneideten antizipiert, was sich aber keineswegs mit der Realität des anderen decken muss. Liegt Schönheit im Auge des Betrachters, so der Neid allemal.
Bevorzugt entflammt der Neid in direkter Umgebung, dort wo Vergleichbarkeit und Identifikationsmöglichkeiten gegeben sind. So sind es weniger die weit entfernten Superreichen, die den Neider erbleichen lassen, sondern eher der Kollege, der befördert wird, der Kommilitone, der das Stipendium erhält oder der Freund, der die hübsche Freundin erobert.
Der Sammelband Neid – zwischen Sehnsucht und Zerstörung wendet sich diesem vielfach tabuisierten Gefühl aus psychoanalytischer und indivdual-therapeutischer Perspektive zu. Zunächst unterscheiden die AutorInnen einhellig zwischen einem „gesunden“ Neid und einem „destruktiven“ Neid. Der gesunde Neid auf Geschwister und andere Personen, die konkurrieren oder einem voraus sind, sporne zur Entwicklung an und könne helfen, Unterschiede zu verstehen und zu akzeptieren. Der missgünstige oder pathologische Neid dagegen sei darauf ausgerichtet, die vermeintlichen Vorteile des anderen oder gar ihn selbst zu zerstören. Dieser destruktive Neid sei Folge einer anhaltenden Missachtung kindlicher Bedürfnisse und einer Überforderung der noch geringen kindlichen Frustrationstoleranz. Solcherart unverarbeitete narzisstische Kränkungen führten zu einem grundlegenden Mangel an Selbstwertgefühl, der oft mit einer umfassenden Entwertung der eigenen Person und ihrer Fähigkeiten einhergehe. So könne ein Lebensgefühl des „Nie genug“ entstehen, „weil regressiv das Ideal der grenzenlosen Befriedigung nicht aufgegeben und alles Spätere daran gemessen wird“.
Noch problematischer als Neid könnte allerdings dessen völlige Abwesenheit sein. Getrud Hardtmann verweist in ihrem Beitrag auf Menschen, die den Neid und die dahinterstehenden Wünsche und ihr Begehren komplett verleugnen – eine Tendenz, die gerade bei Anorexie-Patienten nicht selten sei. In diesem Sinne interpretiert sie Franz Kafkas Hungerkünstler (1922), der selbst die elementare Nahrungsaufnahme unterdrückt. Seine Kunst bestehe nur vordergründig darin, sich völlig bedürfnislos zu machen, tatsächlich aber werde „alles Angebotene entwertet als seinen Bedürfnissen nicht gerecht und nicht nach seinem Geschmack.“ Dabei „genießt er offensichtlich das Unwerturteil und die Bedeutungslosigkeit von allem, was das Leben zu bieten hat.“ Also doch ein Rest von pervertiertem Lustgewinn im Neid – allerdings innerhalb eines sado-masochistischen Universums ohne Lebensfreude.
Ein zentraler Bezugspunkt des Sammelbands ist die Konzepetion des Neids bei Melanie Klein (Neid und Dankbarkeit, 1957), die einen konstitutionellen „primären“ Neid annimmt, der die psychische Dynamik des Kindes bereits in der frühen Mutter- beziehungsweise Stillbeziehung prägt. Andere psychoanalytische Autoren gehen von einer Frustrationstheorie aus, nach der Neid als Reaktion auf Versagung hervorgerufen wird. Herrmann Beland nimmt in dieser Frage eine vermittelnde Position ein. Gerade die den Hunger des Säuglings stillende Mutter, die „gute Brust“, errege Neid, so Sigrid Dümmlin in ihrem Beitrag, „weil sie sich – sonst kann sie ja nicht in dieser ‚Seelenruhe‘ existieren, selbst scheinbar permanent zu stillen in der Lage ist, während das Kind quälende Hungerzustände erlebt.“ Sie zitiert dazu Beland (2011):
Die erste seelische Aufgabe des Menschen, getrennt zu existieren […], ist die über die seelische Gesundheit entscheidende Leistung. Es ist eine schwere Aufgabe, die nur in einer ausreichend guten Objektbeziehung lösbar ist. Der primäre Neid bewacht als Entwicklungsschmerz die Erfüllung dieser Aufgabe bzw. er zerstört als Antientwicklung die Erfüllung dieser Aufgaben.
Der Sammelband ist in drei Teile gegliedert, wobei der erste Teil psychoanalytische Perspektiven auf Begehren, Neid und Liebe behandelt, „horizontalen“ Neid zwischen Geschwistern und in Gruppen sowie Neid in mythischen Überlieferungen, in Magie und Wahn. Im zweiten und längsten Teil wird Begehren und Neid im klinischen Prozess untersucht, wobei die Autoren detailliert auf Behandlungsfälle eingehen. Der abschließende dritte Teil beschäftigt sich in einer selbstreflexiven Rückwendung mit „Neid in psychoanalytischen Instituten und Organisationen“ und ist eher für Insider von Interesse, wenngleich auch einiges über die Zusammenhänge zwischen den psychoanalytischen Verbänden und der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zu erfahren ist.
Die Autoren verfolgen vorrangig eine individual-therapeutische Perspektive, wodurch die gesellschaftliche Ebene des Neids in den Hintergrund tritt. So werden Fragen wie etwa die Instrumentalisierungen des Neidtabus zur Stigmatisierung von Bestrebungen, gegen soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichverteilungen anzugehen, nicht oder kaum thematisiert. Allerdings bringt Hildegard Wollenweber in ihrem Beitrag den wichtigen Hinweis auf den Kulturanthropologen René Girard und dessen Theorie des mimetischen Begehrens ein, das über Mechanismen archaischer Gefühlsansteckung den Neid eskalieren lässt und zu einer kollektiven Ausstoßung und Dämonisierung der als überweltlich empfundenen Macht (zum Beispiel Hexen) führt: „Der eigene Neid ist dann auf den Dämon projiziert, verurteilt und abgewehrt – um den Preis der Angst vor seiner Wiederkehr.“ Von hier aus werden auch die vor allem in Gesellschaften mit traditioneller Gemeinschaftsidentität anzutreffenden Phänomene wie der „böse Blick“ und dessen Abwehr durch magische Mittel tiefenhermeneutisch zugänglich.
Neid, so das Fazit, ist unvermeidbar. Von klein auf haben wir mit ihm zu tun. Er muss verarbeitet werden. Dazu gehört auch, dass die Scham über die eigenen Neidgefühle nicht übermächtig wird und so deren produktive Anerkennung verhindert. Für das Kind ist dafür die gute, haltende Primärbeziehung entscheidend. Der Erwachsene kann dann im günstigen Fall zur Einsicht gelangen, dass manches Aufflackern des Neids eher ein „mimetisches“ Strohfeuer ist, Glück und Verzicht sich nicht ausschließen und das eigene Leben hoffentlich auch einigen Grund zur Dankbarkeit bereithält. Letztlich gelinge auch die Liebe erst mit der Integration des Neids: „Nur wenn es gelingt, die Getrenntheit anzuerkennen und auf den Wunsch, den anderen destruktiv-neidisch besitzen zu wollen, zu verzichten und diesen Verlust zu betrauern, kann der andere überhaupt erst als ein Anderer wahrgenommen werden – was ein Begehren in liebevoller Weise ermöglicht.“
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