Hungriger Ödipus

„Der seidene Faden“ entspinnt unter seiner glitzernden Oberfläche eine freudianische Gothic Love Story

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Eigentlich hätten bei Almas (Vicky Krieps) erster Verabredung mit dem eleganten Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) schon alle Alarmglocken läuten müssen, als der geniale Modeschöpfer ihr beim gemeinsamen Dinner eröffnet, dass er stets eine Locke vom Haar seiner verstorbenen Mutter bei sich trägt – eingenäht in den Aufschlag seines Jackets („Sie lehrte mich das Handwerk!“). Doch wir befinden uns im London der 1950er Jahre, Alma schlägt sich mit einem Job als Kellnerin durchs Leben und der um einige Jahre ältere Bewunderer verheißt den Eintritt in eine ganz neue, aufregende Welt. Diese wird repräsentiert durch das luxuriöse „House of Woodcock“, in dem die internationale Nachkriegs-High Society eingekleidet wird. Schon bald nach Almas Einzug in das von peniblen Ritualen und strengen Abläufen reglementierte Haus, in dem Reynolds allgegenwärtige Schwester Cyril (Lesley Manville) resolut die Geschäfte führt und für ihren Bruder auch schon einmal jene Geliebten hinausschmeißt, denen der Meister überdrüssig geworden ist, wird klar, dass sich der eingefleischte Junggeselle diesmal einer Partnerin gegenübersieht, die mehr sein möchte als eine unterwürfige Muse.

Paul Thomas Andersons Der seidene Faden, bei der diesjährigen Oscarverleihung für sechs Preise einschließlich dem des „Besten Films“ nominiert, ist ein opulentes, mit feiner Ironie erzähltes und zugleich abgründiges Beziehungsdrama. Hinter dem erlesenen Reigen an schönen, Oscar-prämierten Kleidern, den eleganten Kamerafahrten und den majestätisch geschwungenen Treppen lauert eine morbide Geistergeschichte, die gleichermaßen Freud wie Hitchcock verpflichtet ist. Darüber liefert der Film eine faszinierende Charakterstudie, die mit wenigen, subtil komponierten Szenen das komplexe Spannungsverhältnis seiner drei zentralen Figuren offenbart: Daniel Day-Lewis brilliert in seiner nach eigener Aussage letzten Filmrolle als pedantisch-gequälter Künstler, der sein Leben vollends seiner Profession, dem Entwerfen von Kleidern, gewidmet hat und dessen Gedanken erfüllt sind von den Erinnerungen an seine verstorbene Mutter, die ihm in seinen Träumen erscheint. „Es hat etwas beruhigendes, dass die Toten über die Lebenden wachen“, vertraut sich Woodcock seiner Schwester an, mit der in rätselhafter Weise verbunden ist. Lesley Manville spielt die Figur der spitzzüngigen Cyril mit einer raubtierhaften Aufmerksamkeit, die jede Nuance der Stimmung um sie herum wahrnimmt und mit präziser Konsequenz darauf reagiert, beispielsweise wenn sie Alma am Frühstückstisch über das sensible Gemüt ihres Bruders informiert: „Von einem schlechten Frühstück erholt er sich nur sehr schwer im Laufe eines Tages.“ Nicht viel deutet darauf hin, dass ausgerechnet die sanftmütige Alma sich in dem düsteren Haifischbecken des „House of Woodcock“ behaupten könnte, doch hinter der rotwangigen Schüchternheit verbirgt sich eine innere Stärke und Kompromisslosigkeit, die der Geschichte einen unerwarteten, gewissermaßen perversen Dreh verpasst. Vicky Krieps, eine bis dato eher unbekannte luxemburgische Schauspielerin, ist die eigentliche Überraschung des Films. Sie hätte ebenso wie Daniel Day-Lewis und Lesley Manville eine Oscarnominierung verdient gehabt.

Die von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood komponierte Musik – bereits seine zweite Zusammenarbeit mit Paul Thomas Anderson nach There will be blood –  ist aufgrund ihrer Präsenz so etwas wie eine weitere Hauptfigur: Mal schwelgerische Verneigung vor den großen Filmkomponisten der 1940er und 1950er Jahre, mal barocke Düsternis mit Anklängen an Bach oder Penderecki. Greenwoods Score, der den Zuschauer emotional gefangen nimmt, bisweilen auch verunsichert und in vordergründig harmlosen Szenen bereits auf die unheilvollen Wendungen der Geschichte vorbereitet, ist die Seele eines Films, in dem es nicht zuletzt um die kalte Perfektion eines in seinen Ritualen erstarrten, sterilen Künstlerlebens geht – ein ironischer Abgesang auf den männlichen Geniekult. Hinter dieser sterilen Pracht, erzählt uns Der seidene Faden, lauern die Dämonen und das süße Gift des Verfalls.

Der seidene Faden (Original: Phantom Thread), USA 2017
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville, Camilla Rutherford, Brian Gleeson
Spieldauer: 131 Minuten

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