Trostlose Landschaften und dunkle Pointen

Mechthild Zeuls Annäherung an das Werk der Coen-Brüder versucht dessen psychoanalytische Facetten zu dechiffrieren

Von Simon ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simon Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Entwicklung des gegenwärtigen amerikanischen Kinos ist ohne das Wirken der Coen-Brüder Joel und Ethan, deren Eigenwilligkeit und Subtilität in der Entwicklung der Tragikomödie, wahrscheinlich nicht denkbar. Die entsprechende wissenschaftliche Auseinandersetzung im deutschsprachigen Raum konzentriert sich auf ein eher dürftiges Korpus an relevanten Abhandlungen, sodass der Versuch Mechthild Zeuls in ihrem 2017 beim Bielefelder Wissenschaftsverlag transcript erschienenen Werk Joel und Ethan Coen. Meister der Überraschung und des vielschichtigen Humors grundsätzlich lohnenswert erscheint. Als Diplom-Psychologin, Doktorin der Philologie und praktizierende Psychoanalytikerin konzentriert sich ihr Interesse dabei auf die filmische Inszenierung von Gewalt und Humor jenseits moralischer (Vor-)Verurteilungen im Spiegel psychoanalytischer Theorieansätze – basal gesprochen die „Nähe des ästhetischen Werks der Coens zu meinem Verständnis von Psychoanalyse“.

In diesem Zusammenhang entstehen jedoch mehrere, die Abhandlung durchziehende Konflikte: Sowohl die arbeitsbezogenen Themenschwerpunkte der Autorin als auch die Platzierung des Buches im transcript Verlag lassen ein hohes Maß an Wissenschaftlichkeit erwarten, was von der Autorin allerdings mehrfach explizit unterlaufen wird („Das vorliegende Buch hat persönlichen Charakter“; „Ich verwende bei meiner Rezeption von Filmen der Coen-Brüder meine unmittelbaren Gefühlsreaktionen und mache darüber den Film zu meinem Partner“). Auch performativ bleibt es innerhalb der Textkonstruktion völlig unverständlich, warum Zeul den vor aller Lektüre suggerierten Wissenschaftsanspruch dahingehend konterkariert, dass sie sich – trotz eines soliden Quellenverzeichnisses – mehrfach auf Wikipedia-Artikel stützt. Gerade von einer ausgewiesenen Filmexpertin erwartet der Leser mit Blick auf filmkritische Referenzen deutlich seriösere und etabliertere Bezugsformate als die offene Enzyklopädie. Dazu lässt das begleitende Nachweisen von Quellen innerhalb des Textes als Fußnote aus meiner Sicht deutlich zu wünschen übrig.

Der Stil der Autorin erweist sich an vielen Stellen sprunghaft und assoziativ, wodurch der der Abhandlung unterliegende rote Faden nicht immer zweifelsfrei erkennbar ist. Letzteres ergibt sich auch aufgrund ihrer Vorliebe für einen stark hauptsatzlastigen Satzbau, über den Zusammenhänge oft nicht unmittelbar einleuchten und komplexe Relationen nicht adäquat dargestellt werden können. Erschwert wird der Nachvollzug nicht zuletzt durch einige grammatische Fehler und Ungenauigkeiten bei der Verwendung der grammatischen Zeiten – was allerdings eher dem Lektorat anzulasten wäre.

Über den Problemkomplex der Wissenschaftlichkeit des Textes hinausgehend ist der psychoanalytische Interpretationsansatz als textuell vorrangiger Zugang – wie andere Deutungszugänge der Hermeneutik oder des Dekonstruktivismus logischerweise auch – immer mit spezifischen Voraussetzungen und Konflikten verbunden. Als vorrangig an versprachlichten und textbezogen sichtbaren Äußerungsformen orientierter Literaturwissenschaftler (auch diese Position könnte man selbstverständlich einer Kritik unterziehen) fehlt mir mit Blick auf die von Zeul anvisierte psychologische beziehungsweise psychoanalytische Analyse relevanter Verhaltensweisen der jeweiligen Filmakteure die Möglichkeit der Nachprüfbarkeit für den wissenschaftlichen Rezipienten – insbesondere wenn Zeul stark auf ihre individuellen Gefühlszugänge setzt (siehe oben) und auf die Analyse des Drehbuchs oder anderweitiger filmbezogener Transkriptionen verzichtet. Ihr Ansatz, psychoanalytische Begrifflichkeiten und Strategien, die sonst hauptsächlich in realen Gesprächssituationen Anwendung finden, auf Figuren des Films zu übertragen, ist hinsichtlich Inszenierung und Distanz eher schwierig. Dass die Autorin dies teilweise (gerade mit Blick auf No Country for Old Men) selbst zu Bedenken gibt, die Aufnahme des Films in das Analysekorpus mit Verweis auf den Publikumserfolg des Films dann dennoch vornimmt, aber abschließend nur eine eher oberflächliche Nacherzählung des Inhalts bietet, bleibt schlicht rätselhaft.

Nach jeweils kurzen Einführungen in das figurenbezogene Universum der Coen-Brüder (vorrangig bestehend aus kriminellen, schicksalhaften Losern und geradlinigen Frauenfiguren) und den sozialen und politischen Rahmenkontext der USA (dessen auf das Waffenrecht und die eigene Unabhängigkeit konzentrierten Widersprüchlichkeiten die Filme ausagieren) legt Zeul die Grundlagen für die später elaborierten Filmanalysen: Zur Beschreibung der Rahmenästhetik der Filme konzentriert sie sich (unter Hinzunahme psychoanalytischer Kontexte) auf den Zusammenhang von Humorinszenierungen und Erwartungsverletzungen, die Rolle der Musik als Mittel der Stimmungserzeugung sowie die symbolischen Bedeutungsdimensionen der Landschaften. Darüber hinaus untersucht sie den oben bereits kritisch beleuchteten Zusammenhang der psychoanalytischen Situation und der Filmsituation (als „beständiges Abtasten der kinematografischen Gestaltungsprinzipien und ihre Übersetzung in psychische Zusammenhänge“). Wenngleich Zeul dabei Parallelitäten (Affektsteuerung und -erzeugung) und Differenzen (Qualität und Grad der Stimulation durch das Gegenüber, Grad der Interaktionsmöglichkeiten) herausarbeitet, bleiben jene Versuche, die therapeutische Standardsituation mit den Rezeptionsstrukturen im Betrachten eines Films zu vergleichen, ohne explizierte Konsequenzen. Auch die angebundenen beiden Kapitel zur psychoanalytischen Theorie und Filmrezeption (deren Affektbezug und gestaltende Aktivitätspotenziale mit den Begrifflichkeiten der Psychoanalyse interpretiert werden) fügen sich nur bedingt in das Gesamtkonzept der Abhandlung.

Der eigentliche Hauptteil der Arbeit folgt allerdings erst mit den dezidierten Filmanalysen, innerhalb derer Zeul die zu Anfang dargelegten, für die Filme der Coen-Brüder konstitutiven Merkmale der Ästhetik einer konkreten Betrachtung unterzieht. Der Versuch, zwölf Filme auf 100 Seiten in erschöpfender Weise analytisch zu erfassen, gelingt dabei nur sehr unzureichend: Die schematische Einteilung der jeweils filmbezogenen Teilkapitel (mit leichten Variationen separiert in „Hintergrund“, „Inhalt“, „(Psychoanalytische) Interpretation“) bildet den Ausgangspunkt einer seltsam unausgewogen zwischen Nähe und Distanz changierenden Analyse. Einerseits liefert Zeul überaus detailreiche und (über-)präzise, trotz des Labels „Interpretation“ oft sehr nah an Inhaltsbeschreibungen grenzende Handlungsskizzen, andererseits sieht man sich als Leser schnell mit übergreifenden psychoanalytischen Anwendungsdimensionen konfrontiert. Neben dieser Unwucht bleiben die anfangs geäußerten Zweifel an der wenig rezeptionsfreundlichen Emotionalisierung diverser Analysekategorien (gerade mit Blick auf die empfindsam „analysierte“ Musik) sowie an der intuitiven Verhaltensdeutung jenseits verbaler Figurenäußerungen (als plausibilisierte Belegstellen) präsent. Dazu wirkt die Übertragung der theoretischen Konzepte auf die Filminhalte zuweilen sperrig und analytisch nicht immer nachvollziehbar.

Weil abschließend auch das Fazit die Legitimität der Interpretationen und die Zusammenfassung des Dargebotenen nicht zweifelsfrei nachweisen kann, wirken Zeuls Analysen zu den Filmen der Coen-Brüder sowohl mit Blick auf das wissenschaftliche Format als auch hinsichtlich der psychoanalytischen Herangehensweise nicht überzeugend. Vielleicht hätte dem Text eine essayistische Rahmung mit deutlich reduziertem Analysekorpus besser gestanden – so sieht man sich eher mit einem angerissenen, zuweilen thetisch wirkenden Dissertationsabstract konfrontiert, das dem im- und explizit geäußerten Anspruch einer wissenschaftlichen Abhandlung zum Werk der Coen-Brüder leider nicht gerecht wird.

Titelbild

Mechthild Zeul: Joel und Ethan Coen. Meister der Überraschung und des vielschichtigen Humors.
Transcript Verlag, Bielefeld 2016.
220 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783837629293

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch