Familienfeste und andere Peinlichkeiten

In Eric Nils Roman „Abifeier“ steht eine Patchwork-Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Patchwork-Familien sind längst Normalität. Vielleicht sind sie sogar eine der typischsten Erscheinungen in einer Welt, die immer schneller wird und in der nichts mehr ewigen Bestand zu haben scheint. Vorbei die Tage, wo ein Beruf, eine Beziehung, ein Wohnort fürs ganze Leben reichten. Heute heiratet man schnell und teuer. Und lässt sich noch schneller scheiden, was auch nicht gerade billig ist. Findet man dann einen neuen Partner und der hat ähnliche Turbulenzen in seinem Leben hinter sich, kann es immer dann heikel werden, wenn sich die Ex-Partner im Beisein ihrer neuen Lebensgefährten im öffentlichen Raum begegnen. Zum Beispiel bei einer Abiturfeier.

Vorsichtshalber versteckt sich der Verfasser des kleinen und nur für Außenstehende wirklich lustigen Romans Abifeier deshalb hinter einem Pseudonym. Als Alias „eines bekannten Romanautors, der sich bestens im Umgang mit schwierigen Familienkonstellationen auskennt“, stellt ihn sein Verlag den Lesern vor. Er selbst bekennt in einem Interview: „Das Buch beruht auf wahren Begebenheiten, das heißt, es kommen Verwandte, Söhne und Töchter vor. Es unter meinem richtigen Namen zu veröffentlichen, wäre mir zu intim gewesen und hätte die Beteiligten einer Öffentlichkeit ausgesetzt, die sie nicht gesucht haben.“

Ob das Etikett „Roman“ aufgrund dieser Nähe zur Lebenswirklichkeit des unter dem Namen Eric Nil Schreibenden deshalb nicht besser durch das Etikett „Erfahrungsbericht“ zu ersetzen gewesen wäre, sei dahingestellt. Erzählt wird jedenfalls aus der Perspektive eines Mannes, der im Buch namenlos bleibt, während alle anderen Personen unter ihren Vornamen auftreten. Kam der Ich-Erzähler bisher mit seiner privaten Situation zurecht – er ist nach der Scheidung von seiner Frau Bea von Basel nach Hamburg gezogen, hat sich dort neu in Johanna, die ebenfalls geschieden ist, verliebt, beide, er und Johanna, haben je zwei Kinder aus ihrer ersten Beziehung –, droht durch die gemeinsame Abiturfeier seiner Tochter Nora und des Sohnes von Johanna, Tobias, die auf die gleiche Schule gehen, nun mindestens Ungemach, wenn nicht der (Super-)GAU.

Denn nach der Zeugnisverleihung in der Schule haben die Schüler einen Ball geplant, an dessen erstem Teil Schüler und Eltern gemeinsam teilnehmen sollen. Und hier stellt sich für den Erzähler und all jene Eltern, die sich in der gleichen Situation wie er befinden, erstens die Platz-, und zweitens die Begegnungsfrage. Für beide braucht es einen Plan. Denn natürlich werden zu dem Fest die Mutter seiner Tochter aus Basel und sein erwachsener, inzwischen in Marseille lebender Sohn Alex, der nach der Scheidung die Beziehung zu seinem Vater komplett abgebrochen hat, anreisen, während es auf der Seite Johannas zu einem Wiedersehen mit ihrem Ex-Mann Rolf kommt.

Sollen alte und neue Partner an einem Tisch Platz nehmen? Oder, um von vornherein unkontrollierbar verlaufende Gespräche auszuschließen, an zweien? Und wie managt man die Begegnung von alten und neuen Partnern, zumal es sich bei Bea und Johanna wie auch bei Rolf und dem Erzähler um ihr allererstes Zusammentreffen handelt. Dass die beiden im Mittelpunkt des Abends stehenden Kinder unter der vertrackten Situation nicht leiden dürfen, ist das einzige, was von vornherein feststeht. Doch Nora und Tobias haben ihre eigenen Probleme. Gerade hat sie sich nämlich von ihrem Freund Lukas getrennt und seine Freundin Sherin steht unter der Fuchtel ihres afghanischen Onkels.

Abifeier breitet auf nicht mehr als 150 Seiten all jene Probleme, Peinlichkeiten und Konflikte vor seinen Lesern aus, die sich nahezu zwangsläufig ergeben, wenn Paare mit Kindern sich trennen und neue Beziehungen mit ebenfalls getrennt lebenden oder geschiedenen Partnern eingehen. Für all jene, die behaupten, das ginge leichter als gedacht, hat Eric Nils Erzähler nur Spott übrig. Der zählt ansonsten freilich nicht zu seinen Haupteigenschaften, muss er doch vor allem Sorge dafür tragen, dass bei den zu erwartenden Scharmützeln niemand sein Gesicht oder gar Schlimmeres verliert – und das ist harte Arbeit genug.

Was an dem entscheidenden Abend dann schließlich passiert, sei hier nicht verraten. Nur so viel: Der Sprengstoff, der in den ersten beiden Dritteln des Romans launig zusammengetragen wird, ergibt am Ende statt des zu erwartenden großen Knalls doch nur ein kleines und den Leser ein wenig enttäuschendes Tischfeuerwerk. Nichts wird eben so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Nur eines ist für Nils Helden, nachdem die Geschichte überstanden und jeder Akteur wieder an den Platz zurückgekehrt ist, an den das Leben ihn geführt hat, ganz klar: „Jetzt sehnte ich mich manchmal danach, es möge alles so sein wie sehr lange vor der Abifeier, wie in alten Zeiten, als in den Stuben an langen Tischen viele Menschen saßen.“ Aber die alten Zeiten sind längst vorbei und Patchworking muss eben doch gelernt sein.

Titelbild

Eric Nil: Abifeier. Roman.
Galiani Verlag, Berlin 2018.
160 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783869711652

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