Die Beobachterin

Eine große Künstlerin der 1920er Jahre wird mit einer Retrospektive in Berlin geehrt: Jeanne Mammen (1890–1976)

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sich mit der Kunst und Kultur der Weimarer Republik beschäftigt, kommt um Jeanne Mammen nicht herum, auch wenn ihr Name vielleicht nicht so nachklingt wie die ihrer männlichen Kollegen John Heartfield, George Grosz oder Rudolf Schlichter. Das liegt vor allem daran, dass Mammen zwar bildende Künstlerin war, sich aber in den Jahren, in denen es auf sie ankam, nicht als Malerin in den Kunstbetrieb einschrieb, sondern vor allem in den Printmedien präsent war. Es sind Zeitschriften wie Ulk, Jugend und Simplicissimus, in denen sie zu finden ist und deren Erscheinungsbild sie in den späten 1920er Jahren mitprägt.

Das hat die vergleichsweise wenigen Arbeiten wie Revuegirls von 1928/1929 oder das Porträt der Tänzerin Valeska Gert aus derselben Zeit, mit denen sie sich im Kunstbetrieb positionierte, nicht verdrängt oder sie in Vergessenheit geraten lassen. Ganz im Gegenteil, Mammen ist auch mit ihren Zeichnungen und Aquarellen, also Techniken, die in der bildenden Kunst eher für Vor- und Gelegenheitsarbeiten eingesetzt werden, überaus präsent.

Das hat vor allem damit zu tun, dass sie neben Dodo (Dörte Clara Wolff, 1907–1998, siehe die Besprechung zur Retrospektive in literarutkritik.de) das Spezifische der urbanen Kultur der Weimarer Republik aufzuzeichnen verstand. Sie entwickelte damit aus der Tradition der Zeitungsillustration ein eigenständiges Genre, was ihr und ihren Zeichner-Kollegen den Ruf einbrachte, „Journalisten des Stiftes“ zu sein. Die teilweise bis zur Gnadenlosigkeit reichende Präzision ihres Werkes grenzt an das Groteske ebenso an wie an die Karikatur. In den Porträts um 1930, die im eben erschienenen Katalog zur Werkausstellung Mammens zu bewundern sind, kündigt sich zudem die spätere Hinwendung zur konstruktiven, kubistischen Malerei der späten 1930er Jahre an.

Allerdings zeichnet Mammen aus, dass es ihr gelingt, ihre Objekte nicht lächerlich zu machen. Lakonie und ein – so scheint es – sympathetisches Lächeln ziehen eine Grenze. Würde sie überschritten, so würde das Hässliche denunziert, das Gewöhnliche in den Dreck gezogen, das Begehren ins Lasterhafte verdreht. Aber genau diesen Unterschied lassen Mammens Werke aus den 1920er und frühen 1930er Jahren immer erkennen – was sie zu einer großen Künstlerin macht.

Dass sie nicht vergessen ist, ist ihren Arbeiten aus der Weimarer Republik zu verdanken, an denen niemand vorbeikommt, der sich in die Kultur und Kunst dieser Zeit vertieft. Daran haben auch die Jahre unter dem NS-Regime nichts geändert, in denen sich Mammen vollständig aus der Kunst- und Medienöffentlichkeit zurückzog. Sie ließ sich als Grafikerin registrieren, um an die notwendigen Malutensilien zu kommen. Und arbeitete, wie dem Katalog zu entnehmen ist, in diesen Jahren intensiv weiter. Das Werk, das zwischen 1933 und 1945 entstand, ist insofern erstaunlich, als dass Mammen nun Anregungen der Klassischen Moderne aufnahm und in kubistischer Manier malte. Es wird berichtet, dass sie 1937 auf der Weltausstellung in Paris Picassos Guernica gesehen habe. Von den konstruktiven Elementen ihrer früheren Arbeiten bis zur eigenen Verarbeitung der Klassischen Moderne war es dann nicht weit. Mammen nutzte gerade zwischen 1933 und 1945 ihre relative Isolierung dazu, „entartete Kunst“ auf höchstem Niveau zu produzieren. Das Vorbild Picasso ist bei Werken wie Jongleur (um 1934–1940), Soldat (1940–1945) und Würgeengel (um 1939–1942) deutlich zu erkennen. Dennoch bleiben ihre Arbeiten eigenständig, mindestens als legitimes Spiel mit den Formen und bildnerischen Möglichkeiten, die ihr außerhalb des Kunstmarkts des NS-Regimes offenstanden. Die Freiheit, die sie sich in ihren Werken erschloss, war freilich mit persönlichen Risiken verbunden,

Obwohl Mammen auf deutliche Distanz zum NS-Regime ging, aber damit nicht öffentlich wirksam wurde, verbietet es sich, sie wie Camilla Smith in ihrem Beitrag zur „Inneren Emigration“ zu zählen – ein Begriff, der vor allem für literarische Autoren verwendet wird, die nach 1933 in Deutschland geblieben waren. Der Fall Mammen ist jedoch mit keinem der bekannten Autorinnen und Autoren der literarischen Inneren Emigration vergleichbar. Stefan Paul Andres, Ernst Wiechert, Reinhold Schneider, Werner Bergengruen, Frank Thiess, ja auch so gegensätzliche Autoren wie Ernst Jünger, Ricarda Huch oder Erich Kästner publizierten weiter und verlegten sich – wenn nicht auf unauffällige Unterhaltungsliteratur – auf vermeintlich verdeckte, parabelhafte Erzählungen, in denen Fragen etwa der rechten oder unrechten Regierung verhandelt wurden. Die publizistische Auseinandersetzung zwischen Thiess und Thomas Mann, auf die Smith in ihrem Beitrag anspielt, handelt also von Autoren, die aus Deutschland vertrieben worden sind (die Einschränkung „freiwillig“ oder „gezwungen“, die Smith hier macht, hat einen starken Beigeschmack) und aus dem Exil gegen das NS-Regime agitierten, und Autoren, die sich in irgendeiner Form den ideologischen und formalen Bedingungen des Literaturbetriebs im NS-Deutschland angepasst hatten. Thiess’ Position ist in dieser von ihm maßgeblich angezettelten Debatte von dem Versuch geprägt, das eigene moralische und politische Versagen nachträglich zu legitimieren. Es empfiehlt sich eine eigenhändige Lektüre seiner Beiträge zur Exil-Debatte.

Einen vergleichbaren Fall wie den Mammens gibt es in der deutschen Literatur der Jahre 1933 bis 1945 eben nicht. Wo ist der deutsche Autor, der sich aus dem Betrieb zurückgezogen hätte, um Anregungen der Avantgarden aufzunehmen? Anders hingegen Mammen, der dies vielleicht auch deshalb gelang, weil dazu die Möglichkeit, die Freiheit und das Selbstbewusstsein gehören, auf die Öffentlichkeit als Einnahmequelle zu verzichten. Das konnte nicht einmal ein Erfolgsautor der Weimarer Republik wie Kästner für sich beanspruchen, der sich sogar für den „Münchhausen“-Film keilen ließ, der für die NS-Kulturpolitik eine zentrale Bedeutung hatte. Der Begriff „Innere Emigration“ ist mithin für Mammen untauglich.

Ein anderes betrifft ihr Nachkriegswerk: Nach 1945 fand Mammen anscheinend schnell wieder Anschluss, dieses Mal aber an den Kunstbetrieb im Nachkriegsdeutschland. Ihr Werk bis 1945 war offensichtlich von der NS-Kunst unbeeinflusst, ließ sich also wunderbar für die deutsche Kunstöffentlichkeit nutzen, die verlorenen zwölf Jahre wieder aufzuholen. Das war und blieb ein Stück Arbeit. Nach dem Krieg öffnete sich Mammen zudem neuen Einflüssen, Paul Klee oder Jean Miro, wie es scheint. Allerdings zog sie sich in den 1950er Jahren bereits aus dem Kunstbetrieb zurück, sodass ihr Nachkriegswerk deutlich weniger bekannt ist als ihre Arbeiten aus den 1920er Jahren.

Titelbild

Thomas Köhler / Annelie Lütgens (Hg.): Jeanne Mammen. Die Beobachterin. Retrospektive 1910-1975.
Hirmer Verlag, München 2017.
256 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783777429083

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