Viele historische Details, aber keine modernen Standpunkte
Stephen Greenblatts Studie über den Adam-und-Eva-Mythos
Von Martin Lowsky
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAdam und Eva sind, sagt der Schöpfungsmythos im 3. Kapitel des 1. Buch Mose, die ersten Menschen und von Gott selbst geschaffen. Sie aßen im Paradies, aufgefordert von einer Schlange, vom Baum der Erkenntnis, was Gott ihnen untersagt hatte, und wurden daraufhin aus dem Paradies gewiesen. Ihr anstrengendes Leben – arbeiten im Schweiße des Angesichts, mit Mühen Kinder gebären – begann. Für sie und alle nachgeborenen Menschen war das Paradies ein für immer verlorener Glückszustand.
Der deutsche Titel von Greenblatts Werk Die Geschichte von Adam und Eva ist ebenso wie der englische Originaltitel The Rise and Fall of Adam and Eve eine verkürzte Formulierung. Gemeint ist nicht Adams und Evas Geschichte, auch nicht deren Aufstieg und Niedergang. Greenblatt geht es um die Entstehung und die Rezeption dieser Geschichte, dieses Mythos also, mit all ihren Höhe- und Tiefpunkten. Man wundert sich daher zunächst nicht, dass das Buch mit einem Kapitel über Charles Darwin und die Theorie der Evolution endet und dabei dieses Faktum nennt: „Der Darwinismus ist nicht unvereinbar mit dem Glauben an Gott, wohl aber mit dem an Adam und Eva.“ In den Schlussabsätzen dieses Kapitels heißt es: „Der Niedergang von Adam und Eva signalisierte einen Wandel hin zu einer anderen Vorstellung von den Ursprüngen des Menschen“, aber auch: „Adam und Eva bleiben wirkmächtig, sie bieten eine unverzichtbare Möglichkeit, nachzudenken über Unschuld, über die Versuchung und über moralische Entscheidungen, auch über Arbeit, Geschlechtsverkehr und Tod“, also über das, was Menschsein bedeutet. Schade, dass Greenblatt seine Studie mit diesen klugen, aber viel zu allgemeinen Worten beendet.
Faszinierend sind die Anfangskapitel über die Entstehung des Adam-und-Eva-Mythos. Im 6. Jahrhundert vor Christus, als das Volk der Hebräer in der „babylonischen Gefangenschaft“ (dem Zwangsexil in Babylon unter Nebukadnezar II.) lebte, war es für seinen Zusammenhalt und sein kulturelles Überleben wichtig, das Wesen des jüdischen Gottes und seiner Weltschöpfung schriftlich zu fixieren. Denn der geistige Druck der anderen Religionen im Königreich Babylon war gewaltig – Greenblatt stellt den mesopotamischen Schöpfungsmythos Enuma Elisch und das Gilgamesch-Epos vor – und hätte normalerweise zum Untergang der jüdischen Glaubenswelt führen müssen. Die Hebräer gingen sogar so weit, ihren Gott nicht als eine regionale Größe, sondern als den „einzig wahren Gott“ zu betrachten.
Packend ist auch das Kapitel über den Kirchenvater Augustinus (um 400), das zugleich ein Bericht über die innere Entwicklung dieses Mannes und seine Bekehrung zum Christentum ist. Augustinus zufolge habe der Frevel im Paradies den Menschen einen „genetischen Defekt“ eingebracht, sodass seit jener Zeit jeder Mensch „von Anfang an verdorben“ sei – und dabei von einer inneren Unruhe durchdrungen, zu der auch die sexuelle Erregtheit zähle. Der Begriff der Erbsünde (originale peccatum) stammt von Augustinus und hat in der christlichen Lehre Karriere gemacht, kommt aber bei Adam und Eva in der Bibel als Wort nicht vor.
In den weiteren Kapiteln bietet Greenblatt eine Fülle von Details zur Wirkung des Adam-und-Eva-Mythos. Er nennt Paulus, für den der Heilsbringer Jesus der Widerpart des frevelnden Adam war, er nennt den Mönch Pelagius, der zur Zeit Augustinusʼ die Willensfreiheit des Menschen und seine Unabhängigkeit von Adams Tat betonte, und er geht der allmählich sich entwickelnden Einsicht nach, die Geschichte von Adam und Eva nicht als einen wahren Bericht, sondern als Allegorie zu verstehen. Der erste in dieser Entwicklung war der griechisch gebildete jüdische Philosoph Philon von Alexandria, ein Zeitgenosse Jesu. Im Zusammenhang mit Thomas von Aquin beschreibt Greenblatt die Tendenz der Theologie, Eva im Unterschied zu Adam als die wahre Sünderin zu sehen.
Bemerkenswert sind auch die Ausführungen zu dem französischen Humanisten Isaac de La Peyrère, für den Adam und Eva nicht das erste Paar der Menschheit, sondern das erste Paar der jüdischen Rasse war – ein überraschender Gedanke, der sich aber damit vertrug, dass Kolumbus in Amerika auf Menschen gestoßen war, die offenbar keine Wurzeln in der bisher bekannten Welt hatten. Ferner behandelt Greenblatt – um nur noch dies zu nennen – John Miltons Deutung des Mythos in seinem Paradise Lost und das langwierige Bemühen Albrecht Dürers, in seinem Gemälde Adam und Eva (1504) zwei Menschen von untadeliger Schönheit darzustellen. Der Bildteil des Buches bietet neben Dürers Darstellung auch Gemälde von Hieronymus Bosch, Michelangelo, Tizian, Rembrandt und anderen.
Zu bedauern bei alledem ist, dass Greenblatt nicht die Traditionslinien der Aufklärung bespricht. Er sagt, dass sich Voltaire über Adam und Eva lustig gemacht habe. Aber nichts erfahren wir über den aufgeklärten Theologen Johann Gottfried Herder, von dem der Satz „Der Mensch ist der erste Freigelassene [!] der Schöpfung; er stehet aufrecht“ stammt, und über den deutsch-amerikanischen Psychologen und Humanisten Erich Fromm, der den Mythos folgendermaßen interpretiert: Der Mensch müsse unabhängig werden, sogar unabhängig von Gott. Im 19. Jahrhundert war die Vorstellung, dass sich Adam und Eva zu ihrem Glück vom Paradies lossagen, Gemeingut vieler Gebildeter; selbst bei Karl May, dem Autor des Winnetou, steht die Aussage: „Die Geschichte von dem Sündenfalle ist die Geschichte von der Emanzipation des Menschengeistes, die Geschichte seines Erwachens zu selbstbewußter Tätigkeit.“ Bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist die Schlange das Symbol des natürlichen Wissensdurstes der Menschen, und gemäß moderner katholischer Theologen, etwa Walter Simonis, ist Gottes angebliches Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, lediglich eine Warnung. Nichts von all diesem wird bei Greenblatt erörtert, obwohl er das Tor dafür aufstößt: Er benennt die andauernde Wirkmächtigkeit Adams und Evas und sagt bereits im ersten Kapitel knapp, aber doch grundsätzlich, dieser Mythos sei auch „ein Hymnus auf menschliche Selbstverantwortung“.
Störend sind einige sprachliche Nachlässigkeiten: der Dativ „dem Titan“ und die Formulierung „vergessen gehen“ sind falsch, viel zu oft heißt es „katholisch“, wo es „christlich“ heißen müsste, und lächerlicherweise erscheint Aeneasʼ Geliebte Dido mehrfach als „Dildo“. Doch insgesamt hat Die Geschichte von Adam und Eva einen präzisen und dabei sehr leicht lesbaren Stil, was auch das Verdienst des Übersetzers Klaus Binder ist. Vertiefende Fußnoten und eine sehr ausführliche Bibliografie machen das Buch zu einem Werk von wissenschaftlichem Rang.
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