Ein Gespenst geht um…

Die Mai-Ausgabe von literaturkritik.de widmet sich dem 200. Geburtstag von Karl Marx sowie dem Faust-Mythos

Von Stefan JägerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Jäger

Wurde im letzten Jahr mit zum Teil großem Pomp den Anfängen der Reformation vor 500 Jahren – und im Speziellen Martin Luthers – gedacht, so folgt in diesem der 200. Geburtstag von Karl Marx, dem wir einen Themenschwerpunkt in der neuen Ausgabe widmen. Auch wenn es nicht allzu viele Gemeinsamkeiten zwischen Luther und Marx gibt, so unterscheiden sie sich kaum in ihrer Wirkmächtigkeit auf spätere Generationen. Dafür, dass ihr Werk mannigfach umgedeutet und instrumentalisiert wurde, sind die Beiden indes nicht verantwortlich zu machen, das muss vor allem bei Marx mit Blick auf diejenigen Machtsysteme des 20. Jahrhunderts betont werden, die sich auf ihn beriefen. Übersehen wurde und wird dabei häufig, dass er mit seinen hochgradig anschlussfähigen Texten keine konkreten Handlungsanweisungen lieferte, sondern vor allem hellsichtige (Gesellschafts-)Analysen. Erst der Zusammenbruch des Sowjetregimes 1989/90 ermöglichte es, sich unvoreingenommen und von ideologischen Scheuklappen befreit mit dem Marxʼschen Werk zu beschäftigen. Seit einigen Jahren ist gar von einer „Marx-Renaissance“ die Rede. Ob sein Werk Anregungen zur Bewältigung heutiger Probleme, die mit der Digitalisierung, Globalisierung und Monopolbildung verbunden sind, geben kann, muss sich erst noch zeigen.

Die zahlreichen Neuerscheinungen zum Marx-Jubiläum nehmen diesen nicht nur als Philosophen, Ökonomen, Journalisten, Sozialwissenschaftler oder Wirtschaftshistoriker in den Blick, sondern auch als Menschen seiner Zeit, als Getriebenen, dessen mit den Revolutionen von 1848 in Frankreich und Deutschland einhergehende Hoffnungen auf gesellschaftliche Veränderungen jäh zerschlagen wurden. Als Staatenloser fand Marx nach Stationen in Paris und Brüssel schließlich in London Zuflucht. Paradox mutet indes nicht nur an, dass der hellsichtige Analytiker und Kritiker des Kapitalismus und der Bourgeoisie selbst ein bürgerliches Leben im 19. Jahrhundert führte, sondern dass er auch mit Geld nicht gut umgehen konnte. Bis zuletzt war er auf die finanziellen Hilfen seines Freundes Friedrich Engels angewiesen. Um Geld geht es dem jungen Marx auch in seinen Ökonomisch-philosophischen Manuskripten (1844):

Was durch das Geld für mich ist, was ich zahlen, d.h., was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes selbst. So groß die Kraft des Geldes, so groß ist meine Kraft. Die Eigenschaften des Geldes sind meine – seines Besitzers – Eigenschaften und Wesenskräfte. Das, was ich bin und vermag, ist also keineswegs durch meine Individualität bestimmt. […] Ich – meiner Individualität nach – bin lahm, aber das Geld verschafft mir 24 Füße; ich bin also nicht lahm; ich bin ein schlechter, unehrlicher, gewissenloser, geistloser Mensch, aber das Geld ist geehrt, also auch sein Besitzer.

Ob das tatsächlich ernst oder eher zynisch gemeint oder ob es eine Tatsachenbeschreibung ist, kann hier nicht entschieden werden. Fakt ist jedoch, dass sich Marx auf einen Dialog zwischen Faust und Mephistopheles im ersten Teil von Goethes Drama bezieht. Mephisto erklärt hier im „Studierzimmer“:

Was Henker! Freilich Händ’ und Füße
Und Kopf und H[intern], die sind dein;
Doch alles, was ich frisch genieße,
Ist des drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann
Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.

Mit dem Faust-Stoff, nicht nur mit dem Goetheʼschen, befasst sich der zweite Themenschwerpunkt in dieser Ausgabe. Er ist durch kein „rundes“ Gedenkjahr motiviert. Doch auf Gründe für die Themenwahl weist gleich der Anfang des ersten Beitrags dazu hin.

Vielen Dank allen, die zum Gelingen dieser Ausgabe beigetragen haben und die unsere Arbeit unterstützen!

Eine anregende Lektüre wünscht

Stefan Jäger