Opfer, Tod und Toaster

Sophie Divrys Prekariatsgeschichte aus dem Gegenwarts-Frankreich entpuppt sich als hochamüsanter Meta-Roman

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch zehn Tage bis Monatsende und nur noch 17,70 Euro auf dem Konto. Für Sophie, eine arbeitslose Journalistin und Schriftstellerin in Lyon, ist die Sache klar: Ausgehen bleibt tabu, stattdessen gibt es weiter „die ewigen Nudeln“. Ist der Hunger zu groß, sitzt die Enddreißigerin vor der Uni-Bibliothek und vergleicht ihre aus Mülltonnen zusammengeklaubten Klamotten mit den Vintage-Oberteilen der perfekt gestylten Elitestudentinnen. Oder vertreibt sich daheim die Zeit mit „erotischen Tschätts“, bei denen sich zumindest die literarische Bildung als nützlich erweist („Miez1118: Haste ne Webcam? / Ich: Die artigsten Blicke / Miez1118: Ich will dich sehen! :-) / Ich: Sind schmerzliche Stricke“).

Alternativ liegt die Ich-Erzählerin „voller Kummer und Jammer“ im Bett und übt sich in der guten alten „AndieDeckestarrung“. Weil letztere Tätigkeit aber, soll sie wirklich effektiv sein, eine Kunst für sich ist, liefert Sophie dem Leser gleich eine Anleitung mit, vom richtigen Abstand zur Decke („mindestens 2,50 Meter“) bis zum optimalen Verschmutzungsgrad derselben: „Ein alter Wasserschaden, der vertrocknete Kadaver eines zerquetschten Insekts, Fingerabdrücke, die vom Wechsel einer Glühbirne herrühren – solche Spuren sind Anregung genug“.

Man sieht: Keine Situation im Roman der französischen Autorin Sophie Divry, Jahrgang 1979, ist zu düster, keine Existenzkrise zu aussichtslos, als dass sie ihr Roman-Alter-Ego nicht durch Witz und Ironie zum Tanzen bringen könnte. Eben das ist das Programm dieses aberwitzigen Meta-Romans in Gestalt einer Prekariatsgeschichte aus dem von Wirtschaftskrisen gebeutelten Gegenwartsfrankreich: Mit den Mitteln der Fantasie und Sprachlust über die deprimierende Wirklichkeit zu triumphieren. Konkret zum Beispiel über die ständigen Vorhaltungen der Mutter-Imago im Hinterkopf („‚Ach, Kind!‘, kraquäkte meine Mutter, ‚ich hatte ja kei­ne Ahnung, dass du so arm bist. … Hätte ich das ge­wusst, hätte ich niemals zugelassen, dass du diese ver­flixte Literatur zum Beruf machst.‘“). Oder die mephistophelischen Einflüsterungen ihres „persönlichen Dämons“ Lorchus.

Denn der wittert seine Chance, die Ich-Erzählerin endlich umzuerziehen, zur Diebin, Dealerin oder Hure etwa, alles rentablere Professionen als die Schriftstellerei: „Du musst dich schon entschei­den, Schätzchen. Entweder, du schlägst dich auf die Seite der Winner, die immer einen Ausweg finden, oder auf die Seite der Loser, die am Staatstropf hängen, bei jeder Rechnung losflennen und jeden Tag ein bisschen tiefer im Morast versinken.“ Weil Sophie aber weder das eine noch das andere will, verscherbelt sie lieber über Ebay ihre letzten Erstausgaben und überflüssige Haushaltsgeräte. Was freilich weder Saftpresse noch Toaster witzig finden („Wie kannst du so grausam mich opfern? Warum mich morden, was hab ich getan? Mit welchem Recht, wer hat’s dir befohlen?“).

Doch nicht nur die Dinge proben in Sophie Divrys hochamüsantem Roman den Aufstand, für den so unterschiedliche Autoren wie Knut Hamsun, Miguel de Cervantes oder Raymond Federman Pate standen. Auch die Figuren mischen sich beim Schreiben ein, wie ihr bester Freund Hector, ein arbeitsloser Musiker, der seine schöne Nachbarin Belinda rumkriegen will – natürlich nur, weil Sophies Buch sonst die verkaufsträchtigen Sexszenen fehlen würden, versteht sich. Selbst die Typografie gerät im Lauf des Romans mehr und mehr in Bewegung, von Hectors Protest in Fettschrift bis zu Geschehnissen, die mit Mitteln der visuellen Poesie dargestellt werden, das nervige Kopieren der Nachweise fürs Sozialamt zum Beispiel oder auch ein männlicher Orgasmus.

Als der Teufel aus dem Badezimmer kam erschien im Original 2015 und wurde in Frankreich völlig zu Recht für verschiedene Literaturpreise nominiert; es ist der bislang vierte Roman Sophie Divrys, doch der erste, der ins Deutsche übersetzt wurde. Für die Übertragung zeichnet Patricia Klobusiczky verantwortlich, deren Leistung, wie auch die der Buchgestalterin Annika Preyhs, ebenfalls preiswürdig ist, man denke nur an die zahllosen Anspielungen und Zitate, gerade auch auf französische Klassiker, für die zum Teil deutsche Entsprechungen gefunden werden mussten. Ein großes Lesevergnügen!

Titelbild

Sophie Divry: Als der Teufel aus dem Badezimmer kam. Roman.
Ein Improvisationsroman voller Unterbrechungen und ohne Anspruch auf Tiefgang.
Übersetzt aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky.
Ullstein Verlag, Berlin 2017.
272 Seiten, 21,00 EUR.
ISBN-13: 9783550081361

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