Banalität der Hoffnungslosigkeit

Von Gaito Gasdanows (1903–1971) artistischer Sprachkraft geht eine geheimnisvolle Sogwirkung aus

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gaito Gasdanow war noch keine 30 Jahre alt, als sein Erstlingsroman Ein Abend bei Claire 1929 in Paris veröffentlicht wurde. In der stattlichen exilrussischen Gemeinde fand er rasch Anerkennung, ja begeisterte Aufnahme. Da Gasdanow, anders als Vladimir Nabokov, mit dem er bereits früh in der Emigrantenszene verglichen worden war, seiner Sprache treu geblieben war, blieb sein Bekanntheitsgrad jahrzehntelang auf die russischen Zirkel beschränkt.

In der Folge der russischen Oktoberrevolution hatte Gasdanow als junger Mann im einsetzenden Bürgerkrieg aufseiten der Weißen gekämpft. Als Augenzeuge der Exzesse und furchtbarer Erlebnisse war er nach einer abenteuerlichen Flucht über die Türkei und Bulgarien 1923 in Paris gelandet. Eine Anlaufstelle, die damals auch andere russische Schriftsteller wie etwa Iwan Bunin, Wladislaw Chodassewitsch, Michail Ossorgin oder Jewgenij Zamjatin angezogen hatte.

Unschwer lässt sich Gaito Gasdanow in dem namenlosen jungen Mann erkennen, der im vorliegenden Roman Nächtliche Wege von seinen Abenteuern und Erlebnissen als Taxifahrer in Paris berichtet. Der reale Gaito Gasdanow hatte sich als blutjunger Bursche im Paris der 1920er Jahre recht und schlecht als Taxifahrer wie auch als Gelegenheitsarbeiter durchgeschlagen und zeitweise sogar ein Studium aufgenommen.

Der nächtliche Taxifahrer begegnet im Pariser Nachtleben gestrandeten Existenzen, Verrückten und Alkoholikern. Die Prostitution blüht und es bleibt nicht aus, dass der Taxifahrer als wacher Beobachter seiner Umgebung in die Szene hineinwächst. Er lernt Prostituierte aus nächster Nähe kennen, deren Lebenswege ernüchtern. Seiner subtilen Wahrnehmung entgeht nichts, wenn er etwa „auf ihren Augen jenes halbdurchsichtige Häutchen, jenen Film animalischer Stumpfheit, den ich so gut kannte und der für fast alle Frauen dieses Gewerbes charakteristisch war“ bemerkt. Seine Gespräche mit Raldy, Alice oder Suzanne geben Einblicke in erschütternde Lebenswege. Deren Versuche, vom Dasein als Straßenmädchen auszubrechen, um etwa ein bürgerliches Leben zu führen, waren auf gnadenlose Weise zum Scheitern verurteilt.

Tragische Figuren geben auch russische Emigranten ab, die sich in diesen Pariser Strudel verirrt haben. Von einem „stinkenden Labyrinth“ ist da die Rede, oder auch von einem „gigantischen Labor“. Bei aller Verachtung der Halbwelt – „die affektierte Dummheit dieses Begriffs hatte mich schon immer geärgert“ – war der nächtliche Taxifahrer zugleich von Neugier, aber auch Mitleid mit den Menschen bewegt. Die vielschichtige Wirklichkeit bewahrte ihn vor voreiligen oder gar oberflächlichen Rückschlüssen.

Gasdanows Einblicke spiegeln sich in einem Konglomerat von Lebensläufen, in denen sich geschickt reflektierende Monologe mit treffenden Dialogen verbinden. Sein Ekel vor dem, was ihm Nacht für Nacht begegnete, hindert ihn daran, in die wohlige Verruchtheit eines bürgerlichen Voyeurismus abzugleiten. Vielmehr versucht er, einer Banalität der Hoffnungslosigkeit gegenzusteuern. Anstelle der „menschlichen Scheußlichkeit“ setzt er – unter anderem – ein hartnäckiges Festhalten an Bildung. Seine reflexive Verarbeitung gerät somit zu einer Strategie der Bewältigung einer skurrilen Umgebung: „Erinnerungen, Gedanken, Träumen, die geliebten Bücher, die letzten Eindrücke des Vortages, das letzte Gespräch über das, was mir in dieser Lebensphase am wichtigsten erschien“.

In der Sowjetunion war Gasdanow eine Unperson. Erst in der „Perestroika“-Ära der 1980er Jahre unter Michail Gorbatschow waren Gasdanows Bücher in seiner Heimat zugänglich geworden, wo sie für große Aufmerksamkeit sorgten. Mittlerweile ist Gasdanow in Russland angekommen, das zeigt auch die mittlerweile vorliegende kommentierte Gesamtausgabe.

Von 1953 bis zu seinem Tod im Jahr 1971 lebte Gasdanow in München, wo er als Redakteur für Radio Freies Europa arbeitete. Es ist längst überfällig, dass Gasdanow auch in seiner letzten Heimat dem interessierten Lesepublikum zugänglich gemacht wird.

Dass mit dem vorliegenden Band bereits eine vierte Ausgabe seiner Werke vorliegt, ist nicht zuletzt der hervorragenden Übersetzung der ersten drei Bände durch Rosemarie Tietze geschuldet. Nächtliche Wege erscheint ebenfalls erstmals in deutscher Sprache. Es ist ein Glücksfall, dass auch Christiane Körners Übersetzung Gasdanows erzählerischer Kraft gerecht wurde. Ein kundiges Nachwort von Christiane Körner bietet zudem biografische Hintergründe und eine zeitgeschichtliche Einordnung dieses hintergründigen Romans.

Titelbild

Gaito Gasdanow: Nächtliche Wege. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Christiane Körner.
Hanser Berlin, Berlin 2018.
288 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783446258112

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