Verschwörung beim Bridge
In Philip Kerrs Roman „Kalter Frieden“ muss Bernie Gunther wieder einmal alles geben
Von Dietmar Jacobsen
62 Jahre war der im schottischen Edinburgh geborene Philip Kerr alt, als er am 23. März 2018 viel zu früh verstarb. Bereits mit seinem ersten Roman, March Violets (1990, deutsch 2000 unter dem Titel Feuer in Berlin), kreierte er jene Figur, die in der Folgezeit als Held von zwölf weiteren Romanen – einen dreizehnten hat Kerr dem Vernehmen nach vor seinem Tod noch fertiggestellt – zu seinem Markenzeichen werden sollte: Bernhard „Bernie“ Gunther. Die historische Chronologie nicht immer einhaltend, verfolgt die Reihe das Leben ihres Protagonisten von den 1930er Jahren, wo Gunther als Kriminaloberkommissar bei der Berliner Polizei arbeitet, über seine Karriere als Privatdetektiv, die ihn nach 1933 in die Nähe von NS-Größen wie Reinhard Heydrich und Joseph Goebbels führt, dann in sowjetische Kriegsgefangenschaft und schließlich auf verschlungenen Wegen bis nach Kuba.
Zu Beginn von Kalter Frieden, man schreibt das Jahr 1956, lebt Gunther wieder in Europa. An der französischen Côte d‘Azur arbeitet er als Concierge unter dem Namen Walter Wolf im Grand Hôtel du Saint-Jean-Cap-Ferrat. Gut getarnt, lebt er in bescheidenen Verhältnissen und pflegt außer seiner wöchentlichen Bridge-Runde keine weiteren gesellschaftlichen Beziehungen. Das ändert sich, als eine geheimnisvolle Frau mit der Bitte in sein Leben tritt, ihr die Grundlagen des Bridge-Spiels beizubringen. Anne French gibt sich als Autorin zu erkennen, die eine Biografie des in der Villa La Mauresque an der Spitze des Kaps residierenden Erfolgsautors William Somerset Maugham plant und dessen Leidenschaft für das Kartenspiel als Chance nutzen will, um näher an den weltberühmten, aber publikumsscheuen Mann heranzukommen.
Wie in allen früheren Bänden der Bernie-Gunther-Reihe mischt Kerr auch in Kalter Frieden Reelles und Erfundenes, historisch Nachprüfbares und eine geschickt damit in Verbindung gebrachte fiktive Geschichte. Als Bernie über Maughams Neffen Robin mit dem Großschriftsteller und Ex-MI6-Agenten Bekanntschaft schließt, findet der offensichtlich gleich Gefallen an dem Deutschen und versichert sich umgehend seiner Dienste in einer prekären Erpressungsaffäre, deren Opfer er ist.
Gunther als Verhandler in die Geschichte um kompromittierende Fotos aus den dreißiger Jahren einzubeziehen, erweist sich jedoch als riskanter Schritt. Denn der kennt den Erpresser Harold Hebel, der sich jetzt Hennig nennt, noch aus den Zeiten, als der für den Geheimdienst der SS arbeitete und als Sekretär und Vertrauter des ostpreußischen Gauleiters Erich Koch maßgeblich in die Affäre um das Verschwinden des Bernsteinzimmers aus dem Königsberger Schloss verwickelt war. Vor allem trägt er Hebel alias Hennig nach, dass der damals Gunthers schwangere Geliebte aus eiskaltem Kalkül in den Tod auf der untergehenden „Wilhelm Gustloff“ trieb. Die Chance, mit diesem skrupellosen Mann endlich abrechnen zu können, die sich ihm nun, gut ein Dezennium später, endlich bietet, trübt Kerrs Helden denn auch ein wenig den Blick auf das komplizierte Intrigenspiel, auf das er sich eingelassen hat und in dem auch sein eigenes Leben nicht mehr sicher ist. Denn niemand, mit dem er es im Verlaufe der Erpressungsaffäre, die sich nach und nach zu einem Spionageskandal ausweitet, zu tun bekommt, spielt mit ungezinkten Karten.
Mit Kalter Frieden – der Originaltitel The Other Side of Silence trifft die in der Welt herrschende Atmosphäre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs besser als das den deutschen Titel prägende Wortspiel, das aus dem „Kalten Krieg“ einen „Kalten Frieden“ macht, nimmt Philip Kerr seine Leser mit in eine Zeit, in der sich die beiden die Welt beherrschenden politischen Lager gegenseitig belauerten und mit allen Mitteln versuchten, den Einfluss des jeweils anderen zu begrenzen und zurückzudrängen. Es war die Hochzeit der Geheimdienste und der von ihnen geplanten und durchgeführten verdeckten Operationen, am genialsten zu Literatur gemacht von Autoren wie John le Carré, Graham Greene – und mit künstlerischen Abstrichen – Ian Flemming.
Mit dem späten le Carré dem Autor von Romanen wie Marionetten (A Most Wanted Man, 2008) oder Das Vermächtnis der Spione (A Legacy of Spies, 2017), teilt auch Philip Kerrs elfter Bernie-Gunther-Roman die Überzeugung, dass der grundsätzlich moral- und fairnessfreie Beitrag der im Geheimen operierenden Dienste keineswegs so bedeutsam war, dass er die zahlreichen Opfer der Auseinandersetzung zu rechtfertigen vermochte. Während le Carrés bislang letzter Roman allerdings aus einer nach dem Zusammenbruch des Ostblocks grundsätzlich anders situierten Zeit auf die Jahrzehnte des Kalten Krieges zurückblickt und daraus seine Souveränität der Vergangenheit gegenüber gewinnt, verbleiben die in Kalter Frieden operierenden Geheimdienstler im Horizont der 1950er Jahre und unternehmen deshalb alles, um ihr evidentes Versagen zu verschleiern.
Kerrs Buch freilich „nur“ als Spionageroman zu lesen, in dem sich MI6-Agenten und Stasi-Chargen die Türklinke der Villa La Mauresque in die Hand geben, griffe zu kurz. Denn ganz nebenbei löst Bernie Gunther auch noch einen Mordfall im Kreise seiner Bridge-Freunde und schaut in zwei raffiniert in den Roman eingelagerten Binnenerzählungen auf frühere Begegnungen mit dem Verräter Hennig zurück. Ganz nebenbei erfährt der Leser übrigens auch, dass sich Schriftsteller-Sein und Agententätigkeit nahezu perfekt ergänzen, schlüpft man doch in beiden Professionen ständig in andere Rollen. Hier zu verraten, wie raffiniert Bernie Gunther den Mordfall in seinem Freundeskreis dazu nutzt, um seine Rache an Harold Hennig in die Tat umzusetzen, führte allerdings zu weit. Dieses Vergnügen sollte sich jeder Leser selbst machen. Es lohnt sich auf alle Fälle.
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