Die Wiederentdeckung Lafcadio Hearns
Eine kurze Schau auf sein Leben und Wirken
Von Florian Lehmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAls Lafcadio Hearn 1904 im Alter von nur 54 Jahren in Tokio starb, hatte er bereits die halbe Welt bereist und dutzende Bücher veröffentlicht. Sein Leben selbst wäre eine umfassende Erzählung wert, kann hier aber nur in Kürze skizziert werden. Geboren wurde er 1850 auf der griechischen Insel Lefkada, nach der ihm sein zweiter Vorname gegeben wurde: Patrick Lafcadio Hearn. Dort war sein Vater während der britischen Besatzung als Armeearzt stationiert, die Mutter eine orthodoxe Griechin. Die Kindheit war nicht leicht für Hearn. Zunächst zog die Familie nach Irland, Heimat des Vaters. Doch dieser wurde alsbald auf den British West Indies stationiert, später war er beteiligt am blutigen Krimkrieg.
Die Ehe überlebte diese Distanzen nicht. Entfremdet von ihrem Mann und unglücklich in Irland, zog Hearns Mutter, schwanger mit seinem jüngeren Bruder, zurück nach Griechenland. Er blieb allein zurück und wurde von einer Großtante väterlicherseits aufgezogen. Die Ehe der Eltern wurde annulliert, seine Mutter sah er nie wieder. Die wohl sehr religiöse Verwandte kümmerte sich zunächst um die Ausbildung des Jungen, der einen Platz in einem katholischen Seminar bekam. Nach dem Bankrott der Großtante konnte die Ausbildung nicht mehr weiterfinanziert werden. Der Neunzehnjährige hatte keine Familie mehr, keine Beschäftigung und kein Ziel. Er tat also, was viele Landsleute Mitte des 19. Jahrhunderts taten: Er emigrierte nach Amerika, wo die irische Diaspora ausgesprochen groß war.
In Cincinnati schaffte er es, sich eine Existenz aufzubauen, und wurde Reporter bei einer lokalen Tageszeitung, wo er den zweifelhaften Ruf eines Sensationsjournalisten erwarb. Als Hearn eine afroamerikanische Frau heiratete, wurde er wegen der segregierenden Jim Crow-Gesetze in Ohio gefeuert. Seinem beruflichen Erfolg tat das allerdings keinen Abbruch, andere Zeitungen gaben dem gefragten Schreiber genügend Aufträge. 1877 zog er, schon wieder frisch geschieden, nach New Orleans, wo er beinahe ein Jahrzehnt lebte und ebenfalls für lokale Zeitungen arbeitete.
Einige der Reportagen aus der Zeit in Ohio und Louisiana (aber auch aus der späteren in Japan) wurden 2017 vom C. H. Beck-Verlag in dem Sammelband Vom Lasterleben am Kai veröffentlicht (siehe Rezension auf literaturkritik.de) und zeugen von Hearns hervorragender Beobachtungsgabe sowie hoher Beschreibungskunst, etwa wenn er die dargebotenen Exponate der japanischen Stände auf der Weltausstellung in New Orleans 1884 skizziert oder kolportagehaft über die Hinrichtung eines jungen Mörders schreibt. Der – für ein Taschenbuch nahezu bibliophil gestaltete – Band aus der Beck-Reihe „textura“ erscheint in einer Zeit, für die eine kleine Lafcadio Hearn-Renaissance behauptet werden kann.
Denn zwei weitere Bücher aus Hearns großem schriftstellerischen Fundus wurden erst kürzlich auf Deutsch veröffentlicht: Chita (2015) und Youma (2016), beide bei Jung und Jung erschienen und von Alexander Pechmann übersetzt. Hearn schrieb die Novelle Youma, als er 1887 in die Karibik nach Martinique entsandt wurde. Sie verbindet seinen reportagehaften Blick für Details mit der Geschichte eines Sklavenmädchens zur Zeit der Sklavenaufstände 1848.
Berühmtheit erlangte der unstete Hearn indes erst, als er 1890 nach Japan zog. Dort wurde er heimisch, fand im japanischen Matsue, wo sich ihm zum Gedenken heute ein Museum befindet, seine große Liebe, Koizumi Setsu, und nannte sich fortan selbst Koizumi Yakumo. Die Faszination für das erst seit zwei Dekaden für den Westen geöffnete Land, das sich in einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit veränderte, brachte er in zahlreichen Texten zu Papier. Hearn wurde zum großen Vermittler japanischer Kultur – freilich durch den westlichen Blick gefiltert, der ja bis heute mit landläufigen Vorstellungen („zwischen Tradition und Moderne“) einer Verklärung des Inselstaats Vorschub leistet. Beruflich war Hearn bald nicht mehr auf journalistische Aufträge angewiesen. Er schrieb Bücher und wurde Professor für Englische Literatur, zunächst an der Universität Tokio, dann, kurz vor seinem Tod, an der Waseda-Universität (zwei der renommiertesten Hochschulen des Landes). Auch spirituell ist eine ‚Ankunft‘ des heimatlosen Hearn zu bemerken: Der Buddhismus wurde nicht nur Gegenstand seines intellektuellen Interesses, sondern auch persönliches Bekenntnis.
Hearns Texte wurden an der Schwelle zum 20. Jahrhundert auf der ganzen Welt übersetzt und gelesen. Glücklicherweise wurde eines seiner berühmtesten Werke, Japans Geister, 2015 von „Der Anderen Bibliothek“ neu herausgegeben (siehe Rezension auf literaturkritik.de). Viele andere Neuübersetzungen und Neuerscheinungen sollten diesem guten Beispiel folgen, schließlich ist Hearns Einfluss auf das westliche Japanbild der Moderne und auch der Gegenwart kaum zu überschätzen. So schreibt Hugo von Hofmannsthal in einem Nachruf auf Hearn, der dessen deutscher Erstauflage von Kokoro (1904) vorangestellt ist, „ein Freund“ sei gestorben. Gerade erst habe er die traurige Nachricht über das „Telephon“ erfahren. Hearn sei vielleicht der „einzige Europäer […], der dieses Land ganz gekannt und ganz geliebt hat.“ Er war es, der als Autodidakt jenes Japanbild evoziert hatte, das für den jungen Hofmannsthal und viele andere einen orientalistischen Resonanzraum eröffnete, der über den ästhetischen Japonismus des 19. Jahrhunderts hinausging. Auch aus germanistischer Perspektive gibt es hier noch viel Potential für weitergehende Forschung.
Bis dahin bleibt indes die nachdrückliche Empfehlung, genannte Neuauflagen und -übersetzungen zu lesen, und die Hoffnung auf weitere Veröffentlichungen.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
|
||||||||