Ein Prosit auf das Ende der Menschheit

Gian Max Amin veranstaltet mit „Sabbat“ ein Wortgelage zur Weltlage

Von Isabel KriegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Isabel Kriegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist die Welt ein jämmerlicher Ort. Und noch jämmerlicher: der Mensch darin. Das ist das Thema eines irrwitzigen Abendseminars, zu dem Gian Max Amin seinen Leser in Sabbat einlädt. Ein Moderator namens Mek Landow und sieben Fachreferenten sprechen über Wahnwitz und Übel dieser Welt. „Jeder kocht sein trübes Süppchen, fad oder versalzen, kalt oder angebrannt, und leert es zu dem stinkenden Brei der Welt.“, so tönt Landow und hält seine Gäste an, aus diesem Trott doch bitte auszubrechen. Es ist das erklärte Ziel dieser Vorträge, die Zuhörer davon zu überzeugen, dass nur der sofortige und selbst gewählte Tod von dem ewig gleichen fatalen Lauf der Weltzusammenhänge befreien kann.

Die wichtigste Rolle spielt dabei Mek Landow, der sich selbst als „Flugzeugträger“ bezeichnet („Zur Symbolik: Sie sind die Flugzeuge, ich die nötige Plattform.“). Er spricht mit wildem Pathos und prophetischer Grandezza. Sein Thema ist eine Rundumkritik an der menschlichen Existenz, wobei er beflissen ist, jeden noch so kleinen und unbedeutenden Aspekt derselben in seitenlangen Aufzählungen von Fallschirmspringern zu Müllsäcken, von Abtreibungen zu Trickfilmen oder Gartenmöbeln bis Todesanzeigen zu erwähnen.  Selbstherrlich ergeht er sich in langen Monologen. Alles ist schrecklich, also „im allgemeinen und alltäglichen grässlich“ und anders als mathematische Gleichungen will die Welt einfach nicht aufgehen. Zur Bestätigung hat Mek Landow sieben Gastredner eingeladen, mit deren Vorträgen der Grad an Absurdität weiter steigt.

Da sprechen zum einen Max Wang, Doktor im Umwelt-Engineering, und Yasmina Beida, tätig in der Neurotechnologie, über die Möglichkeiten vollständiger Regulierung von Leben und Umwelt für ein Maximum an Perfektion und Funktionalität. Li Furrer, Leiterin des interstrukturellen Rats für Networking, arbeitet an der Vereinheitlichung des Menschen mithilfe seiner virtuellen Identität. Des Weiteren treten auf: Peter Sargon, Soziologe und Leiter des internationalen Forschungscampus für Systematologie, Lana Emmerson, Direktorin der globalen Union der Medienunternehmen, Tarik Schwarzbrod, Hirnchirurg, Lars Deghen, Professor für Zukunftsforschung. Sie alle forschen an der Verbesserung der Lebensverhältnisse. Einer nach dem anderen ergänzt seinen Anteil eines Zukunftsbildes, das jede Illusion über den Sinn und Zweck des Weiterlebens raubt.

Mek Landows These von der Vorteilhaftigkeit des Todes wird mit jedem Vortrag weiter untermauert, denn: „Nüchtern betrachtet lässt die gegenwärtige Entwicklung der Zivilisation nicht so sehr ihren Untergang fürchten als vielmehr ihr Fortbestehen.“ Es gibt kein Entrinnen vor der Welt. Warum das Ganze noch mitmachen und nicht sofort aussteigen? Eine Todes- und Weltuntergangsmetaphorik evozierend wird am Ende des Abends ein schwerer 1984er Rotwein ausgeschenkt.

Sabbat ist das Erstlingswerks eines Autors, der sich das Pseudonym Gian Max Amin gegeben hat. Erschienen ist es im Schmetterling Verlag, Stuttgart. Amins Erzählung verlangt von seinem Leser die Bereitschaft, sich offen und vorbehaltslos auf den kleinen, als Parodie ausgezeichneten Band einzulassen. Ansonsten besteht die Wahrscheinlichkeit, dass seine Rhetorik die Geister scheiden wird. Was der Verlag als „wortgewaltig“ bezeichnet, zeugt zwar von Wörterbuchkunde und dem Willen, unerwartete Wortzusammenhänge und Metaphern zu schaffen, hat aber leider nur einen holprigen Rhythmus und wirft mehr Fragen auf als Sinn zu ergeben. Auch der Humor schwankt zwischen Ironie und Albernheit. Dem Anspruch, ein „moralfreier und philosophischer“ Text zu sein, wird er nicht gerecht. Zwar ist die Überlegung „Tod über Leben“ philosophisch wenn nicht neu, so doch immer wieder interessant. Moralfreiheit jedoch entsteht nicht durch willkürlich in den Text gestreutes Ekelvokabular aus ausgebluteten Eizellen, eingelegten Föten oder dem Ausruf des Endes der Menschheit.

Doch Amin hat trotz seines zu starken Bemühens, einen misanthropischen, zynischen Klang zu finden, eine andersartige und unterhaltsame Erzählung geschaffen. Gerade weil Mek Landow so sprunghaft von einem Thema zum anderen kommt und in seltsamen Andeutungen und Bildern spricht, muss man als Leser Enträtselungsarbeit leisten. Da listet Landow schon mal auf, wovon der Mensch lebt und die Begriffe beginnen erst alle mit dem Anfangsbuchstaben K, dann mit O. ,,K.O." – ein Zufall? Oder eine Botschaft, die unterstreicht, worüber Landow referiert, dass am Ende sowieso das große K.O., der Knockout der Menschheit kommt?

Amins Sabbat ist wie ein Trip durch einen irren Geist. Man könnte ihn ein ums andere Mal lesen und würde immer wieder auf neue Ideen und Zusammenhänge stoßen. Der Titel ist Programm: Sabbat als Ruhetag und letzter Tag der Woche will die Auszeit vom stumpfen Lebenstrott und zelebriert den Untergang der Menschheit mit Genuss.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Gian Max Amin: Sabbat. Eine Welt trinkt aus.
Schmetterling Verlag, Stuttgart 2017.
80 Seiten, 9,80 EUR.
ISBN-13: 9783896570994

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