Der Bauer, die Kühe und die Frau

Über Noëlle Revazʼ Roman „Von wegen den Tieren“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass es auf einem Bauernhof mit Milchvieh nicht verzärtelt hergeht, ahnt man auch als Städter. Auf dem Hof von Paul und seiner Frau herrschen jedenfalls raue Sitten. Da bleibt, zwischen Stall und Scheune, wenig Platz für Gefühligkeit. Und doch ist auf Pauls Hof einiges anders als üblich: Der Bauer empfindet für seine Kühe eine fast zärtliche Zuneigung – er nennt sie beim Namen und wacht sorgfältig und aufmerksam über ihre Trächtigkeit, die Geburten und die jungen Kälber. Seinen eigenen Kindern gegenüber ist er schon weniger liebevoll. Er vergisst schon einmal ihre Namen und erinnert sich nur grob an die Reihenfolge, in der sie geboren wurden.

Eigentlich könnte das Stoff für eine Satire sein, aber das Lachen erstickt einem bereits im Halse, wenn es zum ersten Mal um Pauls Ehefrau geht. Die nennt er „die Vulva“ und benimmt sich ihr gegenüber als Scheusal; er beschimpft und schlägt sie. Behandelt sie wie Vieh. Nur etwas schlechter und herzloser.

Die Schweizer Autorin Noëlle Revaz überlässt es Paul in Von wegen den Tieren, seine Geschichte zu erzählen. Das tut er offen und ehrlich, frei von der Leber weg, ohne den geringsten Zweifel daran zu haben, dass er richtig liegt mit seiner Meinung über das Leben, die Frauen und das Vieh. Die Artenschranke zwischen Mensch und Tier ist für Paul längst nicht so undurchlässig, wie man es von einem Nutzvieh-Halter erwarten sollte. Wenn es um seine Frau geht, sieht es nämlich so aus: Mit ihr ist es „wie mit dem Vieh: Wenn die Tiere nämlich sehen, was so ein Stock bewirkt, denken sie daran, bevor sie’s falsch anstellen, und genau so muss man sie halten, durch die Nachwirkung und den Respekt vor dem Meister.“

Paul breitet vor dem Leser sein archaisches und unerschütterliches Weltbild aus. Mit ihm als „Meister“, dem man sich unterzuordnen hat. Unerbittlich und hartherzig gegenüber seiner Familie. Wenn er von „der Vulva“ spricht, klingt es oft so, als spräche er von einem Tier, einem Stück Vieh, das er mit Härte und Konsequenz zur Raison bringt. Mit mehr Härte als bei seinen Milchkühen. Für die sucht er liebevoll Namen aus. Fleur und Louise heißen sie. Seine Frau reduziert er in selten brutaler Konsequenz auf das für ihn Wesentliche: Ihre sexuelle Verfügbarkeit – und vielleicht noch ihre Gebärfähigkeit. Paul, der weder seine Frau noch seine „Bengels“ mit Namen anredet, kreidet es seiner Frau an, dass sie sich die Namen der Kühe nicht merken kann. Seine Kühe mögen die Bäuerin nicht, „sie haben es sattgehabt, sie haben sich aufgeregt und Misstrauen gefasst gegen die Vulva.“ Ja, für seine Tiere hat er Verständnis, da kann er sich einfühlen.

Als auf dem Bauernhof der portugiesische Arbeiter George seine Tätigkeit aufnimmt, scheint sich so etwas wie eine Entwicklung anzubahnen. Immerhin weiß George, wie man charmant mit Frauen umgeht und Paul nimmt das durchaus zur Kenntnis. Als Pauls Frau an Krebs erkrankt, wäre der Zeitpunkt für eine Wandlung gegeben. In der Trivialliteratur könnte man so etwas wie Läuterung erwarten, beispielsweise, dass der Ehemann angesichts der schweren Krankheit seiner Frau Reue zeigt und sich mit Hilfe des fürsorglichen George zu einem liebenden Familienvater wandelt. Aber hier hat man die Rechnung ohne Noëlle Revaz und ihren Protagonisten Paul gemacht. Paul verändert sich nicht. Sogar die Besuche im Spital überlässt er lieber George. Er kann seinen Hof und seine Kühe nicht alleine lassen. Noch nicht einmal für ein paar Stunden. „Gefüttert muss werden, und auch gemolken.“

Die schwere Krankheit seiner Frau nimmt Paul verstörend empathielos hin: „Vielleicht ist es auch eine fiese Weiberseuche in den Organen, die langsam faulen oder wegen dieser Kartoffelverschwenderin von Vielfrass überdimensional geworden sind.“

In seiner Welt und bei ihm selbst gibt es keine Entwicklung, keine Veränderung, kein Überdenken und Überprüfen. Immer weiter geht es auf Pauls Hof: füttern, misten, melken.  Wegen den Tieren wirkt völlig aus der Zeit gefallen. Noëlle Revaz verortet das Geschehen weder örtlich noch zeitlich. Auf Pauls Hof gibt es keine Handys und Computer, dafür Farbfernsehen, Satelliten- und Festnetzanschluss. Die wenigen Telefongespräche, meist mit dem Spital, sind alles andere als tägliche Routine. In Pauls Welt manifestiert sich die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen auf eine Weise, dass es einen schaudern macht.

Revaz zimmert Pauls Gedankengebäude so stimmig und authentisch, dass man beim Lesen zwischen Verstörung, Abwehr und Verständnis wankt. Pauls Sprache ist einfach, bildhaft und hat einen authentischen Sound. An sich ein wortkarger Typ, gibt die Autorin ihrem Protagonisten auf 250 Seiten Raum, sich auszulassen. Da taut er dann auf, wird manchmal sogar geschwätzig wie ein Stammtischbruder nach seinem vierten Bier.

Aus dem Französischen übersetzt hat den Roman, der 2004 erstmals auf Deutsch erschienen ist, Andreas Münzner. Ihm ist es geglückt, dass Pauls holpriger und umständlicher Sprachduktus in einem ungeschönten Deutsch vorliegt. Irgendwie erliegt man Pauls Sprachfluss, der bei aller Unbeholfenheit manchmal fast poetische Töne anschlägt, sobald es um seine Kühe geht: „Wenn man sie sieht, ist es, wie wenn man einen großen Klaren stürzt, die Wärme strömt in den Bauch und in die Arme und bringt die Sonne zum Scheinen.“

Die Autorin spielt mit den Kontrasten, ohne ins Holzschnittartige zu verfallen. Paul, das ist die unerträgliche Gleichgültigkeit gegenüber seiner Frau, die nach den Monaten im Krankenhaus „reif ist für den Pfarrer und die Erde und die Reise im Bretterschiff“. Aber es gibt auch den Paul, der dem Kälbchen „geheim im Stall, wenn man ihm allein beibleibt, liebe Wörter sagt von der Art wie Täubchen oder mein Prinz, mein kleiner Löwe.“

Von wegen den Tieren ist ein bitteres Buch und ein sprachliches Kunstwerk. In Paul manifestieren sich Stumpfheit und Dumpfheit, mangelnde Bildung und fehlende Herzensbildung. Man möchte so einem nicht zuhören und kann den Monolog doch nicht aus den Händen legen.

Titelbild

Noëlle Revaz: Von wegen den Tieren. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Andreas Münzner.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018.
252 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783835332430

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