Was aber wäre Leben?

Sibylle Luithlen schickt ihre Protagonistin auf die Suche

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Feline Kugler ist noch sehr jung, als sie schwanger wird und den Vater des Kindes, Lars, heiratet. Sie arbeitet als Lehrerin, Youna wird größer, Lars widmet sich seinen Studien. Alles ist in Ordnung, die Zukunft vorhersehbar – das Leben gelaufen. Bis Lars eines Abends sagt: „Wir müssen reden.“ Sofort läuten bei Feline alle Alarmglocken, nur zu gut weiß sie, was das bedeutet – ihr Leben ist von einer Sekunde auf die andere auseinandergebrochen. Sie steht da und weiß überhaupt nichts mehr. So beschließt sie, sich für ein paar Wochen in ein schwäbisches Dorf zu begeben, wo zumindest die Lehrerin Feline noch gefragt ist. Ohne zu murren übernimmt Lars während dieser Zeit die Tochter.

Kaum angekommen, begegnet Feline Silver, einem faszinierenden Mann mit tätowierten Armen und einem Geheimnis, das ihn zu umgeben scheint und für Feline ausnehmend attraktiv macht. Eine erotische Kraft muss von ihm ausgehen, der Feline ausgeliefert ist. Ihre Gedanken drehen sich bald schon nur noch um Silver und wie es mit ihm wohl sein wird, nicht nur im Bett, sondern gleich auch in Zukunft. Ihre Kolleginnen an der Schule, ihre Schülerinnen interessieren sie rasch kaum mehr, den Kontakt zu Mann und Tochter beschränkt sie auf ein Minimum, ja, es scheint, dass sie Lars und seine Verliebtheit eigentlich vergessen hat. Ihr wiederum geht es mit Silver nicht einfach darum, auch etwas anderes auszuprobieren, sondern gleich um das Ganze, also um die gemeinsame Zukunft, zusammen mit Youna, auf dem Land, denn die Stadt, in der Feline sich eigentlich immer wohl gefüht hat, ist einem wie Silver nicht zuzumuten. Dabei will Feline erst überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen, dass Silver ganz anders gestrickt ist. Was die Leserin schon längst erkannt hat – dass er eher zu denen gehört, die eine Beziehung nicht ernst nehmen, vielmehr sich bedienen, wo es leicht geht (sei es im Supermarkt oder bei Frauen), dass er seine Tage lieber mit den Obdachlosen verbringt als einer geregelten Arbeit nachzugehen, dass ihn Studierte im Grunde nicht interessieren und studierte Frauen erst recht nicht –, übersieht Feline großzügig (oder blind vor Liebe? – so viel Naivität möchten wir lieber nicht annehmen müssen). Feline geht sogar so weit, sich, als Silver ihr erzählt, er sei Alkoholiker und habe schon zumindest einen ernsthaften Entzug hinter sich, vorzustellen, wie sie ihn mit ihrer Liebe retten werde. Hier kommen wir nicht umhin, doch über solche Naivität zu lächeln. Und Feline damit zu entschuldigen, dass sie noch sehr jung ist.

Nein, dieser Roman vermag nicht zu überzeugen. Auch nicht sprachlich. Sibylle Luithlen, die journalistisch arbeitet und bereits ein Kinderbuch und eine Novelle veröffentlicht hat, schreibt flüssig, wenn auch sehr konventionell. Sie versucht zwar, dank Rückblenden in die Kindheit und Jugend der Protagonistin etwas Spannung zu erzeugen, doch fehlen auch diesen Passagen die Dringlichkeit des Erzählens. So gelingt es ihr nicht, über die erzählten Geschichten und die sprachliche Gestaltung das Interesse für die Figuren zu wecken. Nicht nur Feline wirkt blutleer, auch Silver, Lars und Youna, wichtige Personen für die Protagonistin, fehlen die Konturen. Am Ende des Romans – Feline hat immerhin eingesehen, dass es für Silver und sie keine gemeinsame Zukunft geben wird – bleibt kaum etwas zurück. Und das ist zu wenig für einen „feinnervigen Roman über die Zerrissenheit einer Generation, die sich mit den eigenen Ansprüchen überfordert“, wie er sich anpreist.

Titelbild

Sibylle Luithlen: Wir müssen reden. Roman.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018.
247 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783421047953

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