Öffentliche Prostitution statt privater Hurerei?

Ursula Pia Jauch hat Bernard Mandevilles Propagandaschrift für öffentliche Bordelle übersetzt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der niederländische Arzt Bernard Mandeville ist als Autor der zunächst anonym erschienenen Bienenfabel zu einiger Berühmtheit gelangt. In dem kleinen Werk beschließen die ehedem fleißigen Tiere, sich fortan allen möglichen Lastern hinzugeben, was paradoxer Weise anders als das zuvor tugendhaft geführte Leben zum Wohle aller gereicht. Weit weniger bekannt ist hingegen, dass Mandeville auch Eine bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser verfasste. Die Schweizerin Ursula Pia Jauch hat das Büchlein übersetzt und kommentiert sowie mit einem kurzen Vorwort und einem umfangreichen Essay versehen im Österreichischen Limbus Verlag herausgegeben.

Jauchs Vorwort widmet sich im Wesentlichen den Schwierigkeiten, die das „vieldeutige, schillernde, oftmals auch anzügliche Vokabular“ der Schrift für ihr Geschäft als Übersetzerin bedeutete. Der Verfasser selbst spricht von „spaßigen Ausdrücken“. Dass Mandeville in den Niederlanden geboren war, gibt der Herausgeberin außerdem Anlass anzumerken, auf Niederländisch bedeute der Ausdruck ten huur „nichts anderes als vermieten“. Diese Feststellung verführt sie wiederum dazu, indirekt zu insinuieren, Prostitution sei ein Beruf wie jeder andere. Denn „die meisten Menschen vermieten heute in irgendeiner Weise ihren Kopf, ihre geistigen, sozialen, oder handwerklichen Fähigkeiten“. Allerdings zähle „Hurerei“ zu den harmloseren Broterwerben, denke man etwa an das „Versagen von Politikern, Vorstandsvorsitzenden und anderen Leader“, deren Fehler „weitaus gefährlichere Folgen haben können als eine Syphilis oder eine Gonorrhoe“. Die gesellschaftlichen Folgen der Prostitution – etwa ein misogynes Frauenbild – zieht sie gar nicht erst in Betracht.

Mandeville richtet seine Propagandaschrift für öffentliche Bordelle ausschließlich an Männer. Mehrfach spricht er seine Geschlechtsgenossen in der ersten Person plural an. So etwa, wenn er über „unsere naturgegebene Liebe und Leidenschaft für das weibliche Geschlecht“ oder über den „unstillbaren Sog zu den Frauen“, der „mit uns geboren“ werde, schwadroniert.

Zwar unterzeichnet der Verfasser seine dem Text vorangestellte Widmung mit „Phil-Porney“, mithin als Liebhaber der Huren, wie Jauch übersetzt. Dennoch äußert er sich über diese „liederlichen Frauenzimmer“ ein ums andere Mal ausgesprochen verächtlich. So vergleicht er sie etwa mit einem „schon kräftig riechenden Stück Fleisch“, das man „als Köder einsetzen“ solle, um die „gefräßige Beharrlichkeit“ eines „Schwarms fleischgieriger Fliegen“, gemeint sind die Männer, zu locken. Indem man dieses „kleine, schon verdorbene und wertlose Teilchen [also die Prostituierte, R.L.] opfert“, bringe man „auf kluge Weise den Rest [des Fleisches, also der Frauen, R.L.] in Sicherheit“. So widerwärtig und absurd diese Argumentation auch ist, wird sie auch heute noch in etwas feineren Worten von einigen ProstitutionsapologetInnen vorgetragen. Immerhin erkennt Mandeville, dass junge Frauen sich nicht aus freien Stücken in die Prostitution begeben, sondern aus schierer Not dazu gezwungen sind: „Von den Eltern völlig sich selbst überlassen, sind sie in tiefste Armut geraten.“

Die Prostitution selbst ist dem Autor zufolge zwar „unausrottbar“, das sei jedoch gar nicht weiter schlimm. Denn all ihre üblen Folgen lägen nicht in ihrem Wesen, sondern rührten „nur vom Missbrauch und von stümperhafter Organisation“ her. Dem will er – ähnlich wie in der Bienenfabel – mit einer „paradoxen Maßnahme“ Abhilfe verschaffen. Der „Unsitte des Herumhurens“ solle, so Mandevilles Vorschlag, durch „das Errichten Öffentlicher Bordelle“ ein Ende bereitet werden.

Mandeville unterscheidet daher „private Hurerei“ von „öffentlicher Prostitution“. Unter der von ihm propagierten „öffentlichen Prostitution“ versteht er „den Beischlaf mit einer Auswahl von bestimmten Frauen, die auf jeden tugendhaften Ruf verzichtet haben und sich für eine mehr oder weniger große Geldsumme jederzeit zur Lust anbieten“. Hingegen fasst er unter den Begriff der „privaten Hurerei“ sowohl die „Verführung verheirateter Frauen“ und „unschuldiger Fräuleins“ ebenso wie die Prostitution, sofern sie nicht, wie in seinem „Experiment“ vorgesehen, durch staatliche oder kommunale Institutionen in Form „öffentlicher Freudenhäuser“ organisiert ist. Wie dies zu geschehen habe, fabuliert er ebenso detailliert aus wie dies die klassischen Utopisten von Platon bis Tommaso Campanella mit den von ihnen ersonnenen ‚idealen‘ Staaten zu tun pflegten. Selbst die dem Autor und seinem Werk sehr wohlgesonnene Herausgeberin konstatiert, dass die von ihm konzipierten „öffentlichen Bedürfnisanstalten“ doch „reichlich streng und unsinnlich reguliert“ seien und ihre Darstellung „mitunter mehr an urinoirs denn an Freudenhäuser erinnern“.

Hier sei nur erwähnt, dass Mandevilles öffentliche Bordelle „mit entsprechenden Privilegien und Sonderrechten ausgestattet werden“ sollen, „während gleichzeitig das private Huren kräftig geahndet wird“. Das klingt immerhin so, als sollten die Freier, Ehebrecher und Verführer bestraft werden. Aber auch die Prostituierten außerhalb der staatlich organisierten Bordelle, also diejenigen „die so verrückt sind und lieber herumstreunen, oder solche, die sich nicht dazu eignen, den Herren entsprechend“ der von ihm für die öffentlichen Bordelle aufgestellten „Regeln zu Gefallen zu sein“, sollen nicht ungeschoren davon kommen, sondern „weggeschafft“ werden. Wohin, bleibt offen.

Sehr viel Aufwand betreibt Mandeville, um den vermeintlichen Segen öffentlicher Bordelle zu propagieren. So würden sie etwa „Zeit, Geld, Gesundheit und Menschenleben sparen“. Auch seien sie „keine Feinde des Ehestandes“, sondern würden „dessen Glück nach Möglichkeit sogar noch schützen und erhöhen“. Denn es sei „nützlich, eine entsprechende Erfahrung vor der Ehe zu machen“. Gemeint sind selbstverständlich wiederum nur die Männer. Schließlich dienten öffentliche Bordelle dazu, „die Triebe unserer jungen Männer so präzise in den Griff zu bekommen, dass dabei keine einzige Frau mehr geopfert wird, als absolut nötig, um die restlichen zu schützen“. Nebenbei nutzt er die Gelegenheit, um schon damals das noch heute virulente Lügenmärchen von den „vielen falschen“ und „bösartigen Anzeige“ wegen Vergewaltigung zu verbreiten, vor denen kein einziger Mann gefeit sei.

Denn welcher Mann kann mit soviel Umsicht leben, dass eine Frau nicht öfter Gelegenheit fände ihn mit recht glaubwürdigen Fakten eines solchen Tuns zu bezichtigen, besonders wenn es keine Möglichkeit gibt, ihr Lügengebäude zum Einsturz zu bringen.

Jauch nimmt diese kleine Passage erstaunlicherweise zum Anlass, Mandeville in einer Fußnote für seine „weitsichtige Vorwegnahme der gender troubles von heute“ zu loben.

In ihrem Versuch über Phil-Porney betitelten Essay zeichnet sie Leben und Schaffen Mandevilles nach und ist offenbar von beidem ziemlich angetan. Denn der „Meisterdenker“ sei „kein Pedant und kein Murrkopf“ gewesen, sondern „klug und witzig“. Und er habe „ein Herz“ gehabt. Auch lasse sich „im großen Gewebe seiner Schriften leicht verfolgen“, dass er „in der seit Zeiten virulenten Querelles zwischen Männern und Frauen mit Redlichkeit und Einfühlungsvermögen auch die Argumente der Frauen einzubringen“ verstanden habe. In Mandevilles vorliegender Propagandaschrift für öffentliche Bordelle wiederum macht sie „eine seriöse Anklage und einen ernsthaften Verbesserungsvorschlag“ aus.

Jauch versucht, Mandeville Streitschrift in möglichst gutem Licht erscheinen zu lassen. Allerdings mit nur mäßigem Erfolg. So konzediert denn auch sie schließlich immerhin, dass er „gelegentlich eine reichlich mechanische Biologie präsentiert; es sind vor allem die Männer  die ‚so sind, wie sie sind‘, will heißen: tendenzielle Triebtäter“. Aber „‚verbessern’ könne man „den Menschen“ nach Mandeville nicht, „und schon gar nicht den liebestollen Mann“. Im Ernst, liebestoll? Notgeil wäre zwar nicht viel treffender, aber doch wenigstens ehrlicher. Doch auch dann sollte er seinen Hosenlatz geschlossen halten können, wenn er denn nicht selbst Hand anlegen mag. Das in seinem stillen Kämmerlein bis zur völligen Erschöpfung zu tun steht ihm ja jederzeit frei.

Titelbild

Bernard Mandeville: Eine bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser oder Ein Versuch über die Hurerei. Wie sie jetzt im Vereinigten Königreich praktiziert wird. London 1724.
Übersetzt aus dem Englischen und mit einem Essay von Ursula Pia Jauch.
Limbus Verlag, Innsbruck 2018.
220 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783990391266

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