Google, bitte löst den Tod!

Von Kryonikern, Biohackern, KI-Forschern und anderen Visionären des Transhumanismus berichtet Mark O’Connell in seinem aufregenden Reportageband „Unsterblich sein“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Tod durch einen Unfall ist schlecht, da unvorhersehbar. Aus demselben Grund ein Schlaganfall, der ohnehin meist auch noch das Gehirn schädigt. Nein, das Ende, das sich Kryoniker wünschen, ist eine unheilbare Krebserkrankung. Denn nichts ist für den erhofften Neustart optimaler als ein absehbares Ende in einem Krankenhaus, wenn ein Team von Alcor Life Extension schon bereitsteht, um den noch warmen Leichnam nach Phoenix zu fliegen. Dort, bei Alcor, wird der Körper – oder, in der Sparvariante, nur der abgetrennte Kopf – in einem mit flüssigem Stickstoff gefüllten Behälter konserviert. Nicht für die Ewigkeit wohlgemerkt, sondern für eine Zukunft, in der medizinische Fortschritte die Reanimation ermöglichen sollen. Denn Kryonik ist letztlich nur „eine Fortsetzung der Notfallmedizin“, wie Alcor-Chef Max More erklärt.

117 „Patienten“, darunter Fernsehstars und Basketball-Legenden, stapeln sich bei Alcor inzwischen, der älteste seit 1966. Weltweit sollen es sogar über 250 sein. 200.000 Dollar kostet diese zeitgemäße Variante der Pascalschen Wette, 80.000 die Sparvariante. Wer es sich leisten kann, friert auch gleich sein Haustier mit ein, was eher an altägyptische Bestattungsrituale als an Science Fiction denken lässt. Dagegen erinnert der bizarre Stand-by-Modus, in dem die erstarrten Toten in Alcors Lagerhallen auf ihre Wiederauferstehung warten, an den katholischen Limbus, den Aufenthaltsraum der Seelen zwischen Himmel und Hölle, findet Mark OʼConnell.

Der irische Journalist hat dieses „Mausoleum moderner Täuschung“ für seinen Reportageband Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen besucht. Neben Kryonikern besucht er Neuro-Forscher wie Randal Koene, der daran arbeitet, sein Bewusstsein zu digitalisieren und per „Mind-Uploading“ auf eine Festplatte zu kopieren. Oder Künstliche-Intelligenz-Forscher wie Nate Soares, der glaubt, eines Tages mit allen anderen Menschen von einer entfesselten KI von der Erde getilgt zu werden. Oder Bioinformatiker wie Aubrey de Grey, der die Wahrscheinlichkeit, dass ein heutiger Mittdreißiger wie der Reporter älter als 1.000 Jahre alt werden kann, für „etwas besser als fünfzig-fünfzig“ hält, letztlich hänge das aber „stark von der Finanzierung ab“.

So unterschiedlich all die von Mark O’Connell porträtierten Forscher und Silicon-Valley-Geeks auch sein mögen, sie alle sind Vertreter des „Transhumanismus“. Dieser Bewegung liegt die Überzeugung zugrunde, dass sich die dem Menschen gesetzten natürlichen Grenzen überwinden lassen, nicht anders als einst die Pocken oder Kurzsichtigkeit. Und dass der Mensch in seiner jetzigen Form wie eine veraltete Programmversion durch ein Update ersetzt werden sollte, und zwar rasch: sei es durch künstliche Sinnesorgane, smarte Drogen, kognitives „Enhancement“ oder besser gleich durch „anthropoide Kunstkörper“ und digitale „Whole-Brain-Emulationen“.

Dass Tech-Milliardäre wie der Facebook-Investor Peter Thiel oder die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin viel Geld etwa in die Lebensverlängerungsforschung stecken, ist für die Machbarkeitsfantasien dieser Bewegung genauso symptomatisch wie jene Transhumanisten-Demo vor dem Google-Hauptquartier in Mountain View mit Plakaten, auf denen „Unsterblichkeit jetzt!“ oder „Google, bitte löst den Tod“ stand. Das Ethos dieser Bewegung, so der Reporter, sei letztlich schlicht die „radikale Extrapolation des klassisch amerikanischen Strebens nach Selbstverbesserung“. Die besondere Fixierung der Transhumanisten auf die Überwindung des Todes erscheint ihm dabei wie „das letzte Problem der ersten Welt.“

Denn Mark O’Connell selbst ist kein Transhumanist, und schon gar nicht teilt er den Technikoptimismus der Bewegung, der ihm wie eine naive Wiedergeburt der Fortschrittshoffnungen der 1950er Jahre vorkommt. Der Journalist ist Skeptiker, vor allem aber ist er von Haus aus Literaturwissenschaftler. Seine gleichermaßen empathischen wie reflektierten, vor dem Hintergrund seiner jungen Vaterschaft zusätzlich geschärften Beobachtungen lassen seine Reportagen zu einem aufregend-beunruhigenden Leseerlebnis werden, zu einem Wegweiser für eine Zukunft, die längst begonnen hat.

Dabei erkennt O’Connell in den Träumen und Hoffnungen der Transhumanisten immer wieder eine neue Form der Religiosität. So kehrten in der Idee, das menschliche Bewusstsein stecke in einem optimierbaren, letztlich überflüssigen Behältnis, Vorstellungen der antiken Gnostiker wieder, wonach der reine Geist in einer materiell-bösen Wirklichkeit gefangen ist. Dass es sich bei Transhumanisten überwiegend um (weiße) Männer handelt, ist ebenso aufschlussreich wie der Hinweis, dass das „Woodstock für Roboter“, die „DARPA Robotic Challenge“, ein Robotikwettbewerb, vom US-Verteidigungsministerium finanziert wird.

Am bemerkenswertesten aber ist O’Connells Gespür für entlarvende Details seiner Gesprächspartner. Diese mögen sich zwar für fleischbasierte Software halten oder in unsterbliche Maschinengötter verwandeln wollen, vor dem Reporter entpuppen sie sich jedoch als allzu menschlich. So wird der Biohacker Tim Cannon, der unbedingt zu einem „Mars-Rover“-ähnlichen Cyborg werden will und sich schon einmal ein Messgerät für biometrische Daten in den Unterarm implantieren ließ, verdächtig nachdenklich, als seine elfjährige Tochter wünscht, dass er bei seiner Transformation zumindest sein Gesicht behalte. Fast schon rührend wirkt dagegen das Geständnis des jungen Transhumanismus-Aktivisten Roen Horn, dass ihm Sex mit Frauen viel zu gefährlich sei („Eine echte Frau könnte dich betrügen, fremdgehen. Du könntest dir eine Geschlechtskrankheit einfangen. Du könntest sogar sterben.“), weshalb er auf die Entwicklung von „Sexbots“ wartet. Inzwischen hat sein Reinheitswahn ein neues Ziel gefunden: Er unterstützt Donald Trump, weil nur der die USA vor „fremden Horden“ schützen könne.

Titelbild

Mark O'Connell: Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen.
Übersetzt aus dem Englischen von Sigrid Schmid.
Carl Hanser Verlag, München 2017.
299 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783446256675

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