Knapper Plot, rasante Handlung
Deutsche Krimis müssen sich gegen den Ruf durchsetzen, ein wenig behäbig zu sein. Roland Sprangers „Tiefenscharf“ versucht sich am Gegenbeweis
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSpätestens wenn der Blick auf die französische, italienische oder amerikanische Konkurrenz fällt, bleibt der Eindruck, dass deutsche Krimis irgendwie doch behäbig sind. Außerdem krankt der deutsche Krimi an seinen Schauplätzen, denen das Biedere nie ganz auszutreiben ist. Nicht einmal Berlin kann sich ganz davon befreien, auch wenn sich zahlreiche Autoren daran gewagt haben, die deutsche Hauptstadt auf internationales Krimi-Niveau zu heben. Da sind Film und Serie zwar schon weiter, aber der Roman holt kräftig auf. Daran beteiligt ist nicht zuletzt Roland Spranger, dessen eben im Hamburger Polar-Verlag erschienener Roman Tiefenscharf alles daran setzt, das kriminelle Berlin international konkurrenzfähig zu machen.
Ein knapper Plot, eine rasante Handlung, eine gelungene Mischung von Medien-, Drogen- wie Nazi-Szene, Autoanzünder und krimineller Polizei, machen Tiefenscharf zu einem hinreichend geglückten Exemplar eines deutschen Polar-Krimis – und damit zu einem gelungenen Versuch, den französischen Polar auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Die Gesellschaft ist zerrüttet und in ihre Einzelteile zerfallen. Jeder muss sehen, wie er oder sie damit klarkommt, und die Leser profitieren davon mit Krimis, die sehr unterhaltsam sind.
Sicher, gelegentlich stellt sich auch ein bisschen Unbehagen ein, ob das denn alles halbwegs plausibel ist oder nicht einfach nur auf Wirkung gepresst. Hin und wieder schleichen sich nämlich ein paar Unbeherrschtheiten und Macken ein, die man sich bei literarischen Sturzfahrten nicht erlauben darf. So etwa die prallen Brüste der Frau eines der Protagonisten, in die die Milch schon vor der Geburt eingeschossen ist. Was stimmt hier nicht?
Und braucht es das? Eigentlich nicht, womit gesagt sein soll, dass ein rasanter, cooler, moderner und vielleicht auch politischer Krimi (so unkorrekt er sich auch geben mag) solche kreativen Mehrfachvolten eigentlich nicht nötig hat, um zu funktionieren. Was man auch aus anderer Länder Krimis lernen kann. Die Behäbigkeit deutscher Krimis ist aber vielleicht auch nur ein Vorurteil. Und der Verfasser dieser Zeilen bekennt sich schuldig.
Immerhin ist Sprangers Tiefenscharf recht kurzweilig: Ein Drogendealer namens Max schmuggelt Crystal Meth aus der Tschechischen Republik nach Deutschland und vertickt es über ein Verteilernetz nicht zuletzt in die örtliche (soll heißen Berliner) Nazi-Szene. Blöderweise wird er bei einer seiner Fahrten überrascht, muss sich hastig von seiner Lieferung trennen und er schmeißt sein Päckchen aus dem Fenster. Damit ist seine Investition zum Teufel und er muss sich strecken, um das alles wieder auszugleichen. Das nennt man wohl unternehmerisches Risiko. Die Kompensation gelingt ihm zwar, allerdings erschießt er bei einer seiner nächsten Fahrten zwei Polizisten, was nachhaltigen Stress verursacht.
Auf Max’ Spur setzt sich ein Fernsehjournalist, der von seinem Sender rausgeschmissen wird, weil er im Suff einen Unfall mit dem Dienstwagen gebaut hat. Seiner Frau erzählt er lieber nichts davon, sondern versucht, sich als Freier mit eigenen Beiträgen und ordentlichem Enthüllungsjournalismus wieder ins Rennen zu bringen. Da kommt ihm die Prügelei mit einem Nazi, in die er hineingerät, ganz recht. Denn so kommt er Max und dessen Drogenring auf die Spur. Er folgt Max und Genossen, filmt, was er kann, wird bedroht und muss hinnehmen, dass auch seine Frau – die sich von ihm gerade getrennt hat – und seine Kinder bedroht werden. Ja, die Eskalationsstärke nimmt im Laufe des Romans zu.
Das Ganze endet, wie es das Genre will, für keinen der Beteiligten gut. Der Showdown ist hinreichend plausibel und blutig. Und begreiflicherweise zeigen sich einige der Figuren auch von ihrer bösen Seite. Das bringen solche Handlungen mit sich.
Daran zeigt sich allerdings, dass solche Krimis nur unter bestimmten Bedingungen funktionieren. Sie setzen eine Gesellschaft voraus, die nicht von Offenheit und – sagen wir – Rechtschaffenheit, sondern von Gier, Brutalität und Gerissenheit bestimmt ist (das Mensch/Wolf-Ding), und in der die Frage, mit welcher Farbe eine Küchenwand gestrichen werden soll, mindestens exotisch wirkt. Was das angeht, nimmt Spranger ein sehr traditionelles Motiv aus dem amerikanischen Hardboiled-Krimi auf: Bei uns zuhaus ist gar nichts in Ordnung. Wer kommt, um das zu richten?
|
||