Das Spiel mit dem Feuer

Martina Clavadetscher, immer auf der Suche nach brennbaren Themen, liest bei den 42. Tagen der deutschsprachigen Literatur 2018 in Klagenfurt

Von Lea BittnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lea Bittner

Die 1979 in Zug geborene Autorin Martina Clavadetscher hat ein zunächst rätselhaftes Videoportrait für die 42. Tage der deutschsprachigen Literatur eingereicht: Eine Frau, die in der Natur spazieren geht und dabei vollkommen gelassen von den Entzündungstemperaturen unterschiedlicher Stoffe berichtet. Von Streichhölzern über Schreibpapier bis hin zu feuerfesten Stoffen wie Stein und Sand. Martina Clavadetscher weiß ihrem Videoportrait zufolge bestens über diese Dinge Bescheid: „Überall, wirklich überall, wo man hinsieht, ist Material. In Form geraten, in Zusammensetzung, mit molekularem Aufbau. Alles Stoffe, die sich bewegen, verbinden, verändern und verbrennen können. Die Welt ist voller Brennstoffe, wenn man so will. Stoffe, die Feuer fangen und verglühen, wenn die Temperatur stimmt.“ Möchte die Autorin damit zum Ausdruck bringen, dass sie auf der Suche nach Material für ihre Schreibarbeit gerne mit dem Feuer spielt, Stoffe gedanklich verändert oder gar entzündet? Martina Clavadetscher ist kein Neuling auf dem Gebiet des Schreibens, des Geschichtensuchens und -erfindens und der Umsetzung solcher Erzählungen für das Theater, kurz: Sie ist kein Neuling in der Welt der AutorInnen. Nun wird sie auf Einladung der Literaturprofessorin, Kritikerin und Regisseurin Hildegard E. Keller an den 42. Tagen der deutschsprachigen Literatur am Wettbewerb um den Bachmannpreis teilnehmen.

Nach ihrem Studium der Germanistik, Linguistik und Philosophie an der Universität Freiburg schrieb Clavadetscher ihr erstes Bühnenstück. Drei Frauen wurde 2006 unter der Regie von Sophie Stierle am Luzerner Theater uraufgeführt. Seit 2009 arbeitet Clavadetscher als Dramatikerin, Autorin und Radio-Kolumnistin für das Schweizer Radio SRF 1. 2014 erschien ihr Prosa-Debüt Sammler (Verlag Martin Wallimann), mit dem sie zur Leipziger Buchmesse eingeladen wurde. Die Geschichte handelt von einer jungen Frau, die ein Buch mit eingeklebten Gedichten und persönlichen Notizen findet und sich aufmacht, den Eigentümer zu suchen, wobei sie ihrer Leidenschaft für das geschriebene Wort auf einen gefährlichen Weg folgt. An den Erfolg ihrer ersten Veröffentlichung knüpfte Clavadetscher 2017 mit ihrem Roman Knochenlieder (Edition Bücherlese) an, dieses Mal mit einem etwas abweichenden Thema. Knochenlieder zeichnet das Bild einer dystopischen Zukunft, in der die ProtagonistInnen in einer archaischen Siedlung unter totaler Überwachung leben. Es erzählt die Geschichte zweier Familien über rund sechs Jahrzehnte hinweg. Mit poetischer Raffinesse und dicht gewebten Beschreibungen lässt Martina Clavadetscher diese Geschichte eine apokalyptische Wucht entfalten, wie sie die Menschen seit jeher fürchten. Für Knochenlieder wurde die Autorin für den Schweizer Buchpreis nominiert und erhielt den Marianne und Curt-Dienemann-Preis für das Manuskript.

„Wut, Reibung und aufgestaute Aggressionen sind für mich ein guter Nährboden fürs Schreiben“, berichtet Martina Clavadetscher 2014 in einem Interview mit der WOZ und spricht über die Hassliebe zu ihrer Heimat, den Schweizer Kanton Schwyz, in den sie immer wieder zurückkehrt. Und das, obwohl Kultur gerade dort keinen hohen Stellwert hat und nicht sonderlich gefördert wird. Auf sich selbst gestellt, muss sich die Autorin dort aber auch nichts vorschreiben lassen, kann ihre Kreativität ausleben. Geprägt von ihrem Leben in der ländlichen Region und der manchmal vorherrschenden Tristesse schrieb Clavadetscher eines ihrer bekanntesten Bühnenstücke: My only friend the end. In dem Stück geht es um eine Gruppe schweizerischer Jugendlicher, die ihrem Wunsch nach der Wildnis abseits der bäuerlichen Idylle nachjagen und dabei feststellen müssen, dass der jugendliche Weltschmerz beizeiten alles andere überlagert und als einzigen Ausweg das absolute Ende, den Tod, bereithält. Das Stück ist „ein Abgesang an die verlorene Kindheit und an eine verlogene Welt, die auch vor den alpinen Bergkämmen nicht Halt macht und die in einer traurigen Gewissheit gipfeln kann“, heißt es auf Clavadetschers Homepage.

Weitere Bühnenstücke der Autorin erschienen in den Folgejahren, darunter Milchdieb (2015, Uraufführung Luzerner Theater), Der letzte Europäer (2017, Uraufführung Theater am Neumarkt, Zürich) und zuletzt Umständliche Rettung (2017, Uraufführung Schauspiel Essen), für das sie den Essener Autorenpreis und eine Nominierung zum Heidelberger Stückemarkt erhielt.

Umständliche Rettung erzählt die Geschichte einer Wissenschaftlerin, die sich in einer Art Sodom und Gomorrha zurechtfinden und dabei einsehen muss, dass sie von Phänomenen umgeben ist, die sich mit Rationalität nicht erklären lassen. „Eine Flucht verhält sich immer gleich. Vorne rennen die Fliehenden. Hinten rennen die Verfolgenden. Ein jeder muss rennen, weil der andere rennt. Ein einziges Müssen, vorne und hinten.“ Clavadetscher schildert eine Geschichte, in der alles möglich ist, auch das Unerklärliche und nicht Greifbare, und in der das Vertrauen auf einen anderen Menschen zum Grundstein wird. Dazu nutzt sie Gleichnisse, thematisiert Maßlosigkeit, Profitgier, Konsum und Überfluss und lässt auch die Hoffnung auf Rettung nicht außen vor. Die Macht des Erzählens selbst rückt immer wieder in den Vordergrund, wenn sich ihre Figuren gegen die eigenen Geschichten und Rollen wehren und verschiedene Versionen der Realität aufeinandertreffen. Martina Clavadetscher spielt in ihren Werken mit Sprache, die sie dazu nutzt, ihre Botschaften für die Leser und Theaterzuschauer auf außergewöhnliche Weise zu verpacken.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen