Vom vegetarischen Tiger, der erkannte, wie Atlantis unterging

Ein Portrait des Bachmann Literaturwettbewerb Nominierten Joshua Groß

Von Liliane HasnainRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Hasnain

„Ja, die haben da massiv Gummibärchen gegessen. Ich glaube, die sind da auch versunken, weil sie so viele Gummibärchen gegessen haben, und die dann so aufgedunsen sind und sich voll Wasser gesogen und dann einfach irgendwie so schwer geworden [sind]“, präsentiert der 1989 geborene Joshua Groß halb grinsend, halb ernsthaft dem YouTuber apfelknecht seine Theorie zum Untergang der sagenumwobenen Stadt Atlantis. „Das hat die Erdoberfläche dann nicht mehr halten können.“

Es ist wohl diese Mischung aus Verschmitztheit, Sarkasmus und Ernst, die den Endzwanziger zu einem der Nominierten des diesjährigen Bachmann Literaturwettbewerbs werden ließ. 2017 sorgte er mit seiner im Korbinian-Verlag veröffentlichten Erzählung FLAUSCHkontraste zuletzt für Gespräche im deutschen Literaturbetrieb. Im Jahr 2016 beschrieb der Deutschlandfunk Groß als „genialisch flackerndes Irrlicht“ und als „Konventionsverweigerer, der dem vermeintlich bräsigen Literaturbetrieb mit Witz und Intelligenz den Spiegel vorhält“. Grund dafür waren seine bei starfruit publications erschienenen Werke: Faunenschnitt (2016) und Magische Rosinen (2014), die auf eine künstlerische Gestaltung durch den Einsatz von Bildern setzten. Letztere Veröffentlichung wurde zu einem der 25 schönsten deutschen Bücher gekürt. Faunenschnitt fiel durch seine sogenannte Schmetterlingsbindung auf, die dazu zwingt, das Buch zum Lesen aufzuschneiden.

Doch wer ist dieser junge Mann, der offenbar so viel Wert auf kreativ gestaltete Bücher legt und sich nach eigener Aussage nicht scheut, Hand an erworbene Werke zu legen, um Lieblingsstellen auf den Seiten zu markieren?

„Ja, ich bin natürlich ein Tiger“, scherzt Groß im oben genannten YouTube-Video und beantwortet so zumindest die Frage, als welches Tier er sich sieht. „Das glaubt mir immer niemand, aber ich bin natürlich ein smoother Tiger, der eigentlich auch gar nicht so scharfe Zähne hat.“ Er schmunzelt und fügt hinzu: „Ich war mal ein Säbelzahntiger vor langer Zeit und jetzt bin ich ein vegetarischer Tiger geworden.“ Eine Aussage, die viele Interpretationen zulässt. Ebenso wie das Video, mit dem sich Groß auf der Internetseite des Bachmann Literaturpreises 2018 präsentiert. „Ich mag den Satz, dass wir unsere Köpfe in Treibhäusern ziehen“, heißt es dort, während Pelikane hinter dem Autor in die Höhe flattern und kurz darauf Palmen zu Hiphop-Musik gezeigt werden.

In einem Interview mit dem Curt-Magazin gibt Groß da schon klarere Anhaltspunkte: Er möge es, verschiedene Ausdrucksformen wie Bild und Text aneinander zu reiben und die daraus entstehenden Synergieeffekte zu nutzen. Außerdem liebe er Rap und Hiphop, deren Texte ihn im Alter von circa 17 Jahren zum Schreiben veranlasst hätten, obwohl er davor kaum gelesen habe, und er bevorzuge es, in bildlicher, humorvoller und erlebbarer Sprache zu schreiben, die mit Wahrem und Erfundenem spiele. Er sagt: „Im besten Fall wächst die Sprache so weit über sich hinaus, dass sie zu einem Bild wird. Dass man – wenn man es liest – in Bildern denkt und nicht mehr in Sprache.“

Vergleichen lassen sich seine Ergebnisse so beispielsweise mit den Texten von Jack Kerouac und William Burroughs, die Groß in der Vergangenheit sehr begeisterten. Weitere Inspiration zieht er aus seinem Ökologie- und Politikwissenschafts-Bachelorstudium, welches ihm ein gutes Allgemeinwissen vermittelte, seinem Masterstudium in „Ethik der Textkulturen“ und aus seinem Wohnort – aktuell handelt es sich dabei um Nürnberg.

Dabei entsteht anscheinend eine Kombination, die Früchte trägt: Fünf Auszeichnungen erhielt der in Grünsberg geborene Bayer bereits für seine ebenfalls fünf größeren Veröffentlichungen und publizierte viele kleinere Artikel, unter anderem in der ZEIT.

Der von Insa Wilke Eingeladene will Neues in die deutschsprachige Literatur bringen, die laut ihm zu oft auf Muster zurückgreifen würde, auf deren Erfolg man sich verlassen könne, ohne etwas Innovatives zu wagen. Und dieses Neue kommt gut an: Mehrfach wurde er als „Wunderkind“ gefeiert, doch nimmt er dies nicht an. Über Preise und Ähnliches denke er nicht nach, er sei kein Wunderkind, sondern viel mehr wie Woody Woodpecker, der hyperaktive, quietschige Comic-Specht aus den 1950er Jahren. Eine Aussage, die erneut einen Spielraum zwischen ironisierendem Humor und Ernsthaftigkeit aufmacht. Es bleibt also spannend, wie sich der junge Autor in wenigen Tagen im österreichischen Klagenfurt präsentieren wird, wenn der Bachmann Literaturwettbewerb in die diesjährige Runde startet. Möglicherweise wird Joshua Groß dann wohl doch einmal über Preise nachdenken, auf die eine oder eine andere Weise …

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen