Unter der Robe der Gerechtigkeit

Petra Morsbach folgt in „Justizpalast“ einer Richterin auf der Karriereleiter

Von Paul GeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Paul Geck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer mit einem Fuß im Gerichtssaal steht, steht mit dem anderen schon fast in der Literatur. Wie kaum ein anderer ist der Gerichtssaal ein Ort, an dem beim Aufeinanderprallen heftigster Emotionen und menschlicher Tragödien – Verrat, Gier, Missgunst, Trauer – auf eine  nüchterne, technisierte und künstliche Fachsprache der Stoff entsteht, aus dem Kunst gesponnen wird. Es ist ein Stoff aus Kontrasten, aus Emotion und Abstraktion, auf der Bühne eines Gerichtssaals. Tränen und Paragraphen, Fehden und Schriftsätze, Empathie und – Gerechtigkeit? Viele Romane, Dramen, Thriller und Fernsehserien sind hier schon entstanden. Daneben steht nun der Roman Justizpalast von Petra Morsbach, der das Kunststück gelingt, mit diesem Genre noch einmal etwas ganz anderes zu machen.

Sie soll, so lässt der Verlag verlauten, über neun Jahre für dieses Buch recherchiert haben, mit zahlreichen Anwälten, Richtern, Klägern und Beklagten gesprochen haben und im Münchner Justizpalast, Ort der Romanhandlung, ein und ausgegangen sein. Das System, das sie dort erlebt hat, scheint ihr in Fleisch und Blut eingegangen zu sein, ohne sie dabei zu verschlingen. Justizpalast ist gezeichnet von den Kontrasten aus nüchterner, an juristisches Kunstjargon erinnernde Sprache, bittere juristische Konflikte, deren Absurdität dadurch nur gesteigert wird, und mittendrin eine hochemotionale  – dies allerdings nur in den eigenen vier Wänden – Richterin als Zelebrantin von Hochämtern souveräner Zivilität.

Thirza Zorninger, der Vater Theaterschauspieler, die Mutter Spross einer Juristenfamilie, wird in familiär prekäre Verhältnisse hineingeboren. Die Ehe der Eltern hält nicht, sie wächst bei den Tanten und dem Großvater auf, dem pedantischen, mit der Entnazifizierung aus dem Richteramt vertriebenen Dr. Kargus. Im Stile von Robert Seethalers Ein ganzes Leben verfolgt der Leser das Leben der hochbegabten  und ehrgeizigen Thirza von Geburt bis zum Schlaganfall. So ist das Buch auch gegliedert: Vier Teile, zwölf Kapitel, ein ganzes Jahr, ein ganzes Leben.

Unaufgeregt ist auch der Tonfall, in dem erzählt wird. Das relativ beständige Hinauf der Karriereleiter, bis die Protagonistin schließlich einer eigenen Kammer für Kartellrecht vorsteht, die amourösen (Nicht-)Abenteuer, Freundschaft und Konkurrenz, und auch ein bisschen Tragik ist dabei. Man folgt Petra Morsbach gerne, wenn sie mit der juristisch brillanten, menschlich jedoch recht durchschnittlichen Thirza Zorninger all diese Fährnisse des Lebens durchschifft, sie ist eine gute Identifikationsfigur. Nebenbei wird noch der Stand der deutschen Justiz verhandelt – jedes Jahr sind es mehr Fälle, die Thirza zu verhandeln hat, dabei werden ständig Stellen gekürzt und Fälle aufgehäuft. Unter der Last der Akten bersten die Regale in den Richterbüros, und bis der Handwerker kommt, kann schon mal ein Jahr vergehen.

Vorangestellt ist dem Buch ein Kant-Zitat: „Tue das, was dich würdig macht, glücklich zu sein.“ Eine Maxime, der die Protagonistin nicht immer zu folgen scheint. In ihrem Fall müsste man für das Glück die Gerechtigkeit einsetzen: Mit ihrer Arbeit, mit ihrer Methodik, setzt sie sich in den Prozessen dafür ein, der Gerechtigkeit würdig zu sein. Ob und wie sich diese dann einstellt, ist so wenig berechenbar wie das Glück: Meist liegt es im Auge des Betrachters, und ist auf Knopfdruck nicht zu haben.

Titelbild

Petra Morsbach: Justizpalast. Roman.
Knaus Verlag, München 2017.
480 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783813503739

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