Newcomerin mit Faible fürs Unbegreifliche

Ally Kleins Debütroman erscheint im August 2018 – zum Bachmannpreis tritt sie als Unbekannte an

Von Leon F. HuffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Leon F. Huff

„Vielleicht geht’s ja genau darum, dich nicht zu begreifen.“ So lautet das Zitat, mit dem die Seite der Autorin Ally Klein auf der Website des Literaturverlags Droschl überschrieben ist. Die Berlinerin wird bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2018 in Klagenfurt am Wettlesen um den Bachmannpreis teilnehmen. Sie liest auf Einladung des in Zürich lebenden Publizisten Michael Wiederstein.

Ob sich auch Kleins Publikum auf eine Konfrontation mit dem Nicht-Begreifen einzustellen hat, ist im Vorfeld des Wettbewerbs nur zu erahnen. Denn dem Begreifen müsste schließlich das Lesen vorangehen und in dieser Hinsicht erweist sich Ally Klein als weitgehend unbeschriebenes Blatt. Sie ist unter den Autorinnen und Autoren beim Bachmannpreis 2018 die einzige ohne bisherige literarische Veröffentlichung, und ihr Vorstellungstext auf der offiziellen Website ist der kürzeste aller Teilnehmenden. Man erfährt, dass sie 1984 geboren wurde, Philosophie und Literatur studiert hat und in Berlin lebt und arbeitet. Dazu gibt es ein Videoportrait, das das Nicht-Herausgeben jeglicher Information geradezu zelebriert: Ally Klein steht im Sonnenschein vor einer roten Klinkerwand. Sie streicht nachdenklich mit den Fingern über ihr Kinn, verschränkt die Arme und fährt sich mit der Hand durch die Haare. Lächelt still vor sich hin, legt den Kopf schief und blickt in die Kamera, in die Ferne, zu Boden. Setzt immer wieder zum Sprechen an und sagt dann doch nichts. Dabei bleibt es – zweieinhalb Minuten Warten auf das Wort.

Dieses Warten wird im Sommer 2018 ein Ende haben. Nicht nur tritt Ally Klein beim Bachmannpreis auf, am 10. August erscheint zudem ihr Debütroman Carter im Literaturverlag Droschl. Der Verlag mit Sitz in Graz sieht sich nach eigener Aussage besonders „der Tradition der Aufsässigen, der formalen Erneuerer und Traditionsbrecher“ verpflichtet. Eine Ahnung davon, wie Ally Klein in diese Reihe passt, vermitteln die knappen Ankündigungstexte zum Roman und die wenigen Seiten, die als Leseprobe verfügbar sind: Ein namenloses Ich, über das kaum etwas zu erfahren ist, streift durch die Straßen der Stadt und trifft auf Carter, eine Frau, die alle um sich herum in ihren Bann zieht und das Ich schließlich ins Verderben stürzt. Dessen sinnliches Erleben steht immer im Vordergrund, und dennoch wirkt dieses Ich auf eigenartige Weise entkörpert, scheint stets in Distanz zur Welt zu bleiben, von der es in rhythmischen und oft gedankenstromartig verschachtelten Sätzen erzählt:

„Die Sirene sauste hinter der Häuserfassade an mir vorbei, entfernte sich immer mehr, raste wahrscheinlich gerade über die Brücke. Meine Hände froren, die Arme wurden taub, tauber und starrer, alles löste sich auf. Es kribbelte in den Enden, in den Fingerspitzen, ging in die Hände über, die Arme hoch, das Kribbeln, das die Glieder unspürbar machte, uneigen, ich sah zu den Armen hinunter, sah auf die Hände, krempelte den einen Ärmel hoch, fuhr über die Haut – nichts, alles darunter und die Haut selbst war schon zum Unmeinigen geworden.“

Vielleicht ist es diese Entfremdung von sich selbst, diese Erfahrung des „Unmeinigen“, die den Kern von Ally Kleins Schreiben ausmacht; das eingangs erwähnte Zitat legt es nahe. Zwar ist es im Textausschnitt eine äußerliche, von der Kälte hervorgerufene Entfremdung, doch die scheint bei Ally Klein nicht von der geistigen trennbar zu sein – schließlich bewirbt der Verlag ihren Roman mit dem Versprechen, dass dort Sprache körperlich erfahrbar würde. Vielleicht steckt in diesem Ansatz aber auch zu viel Spekulation, ist er selbst ein Fall von Nicht-Begreifen. Nach Klagenfurt wissen wir mehr.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen