Ein kluger Kopf und ein Tausendsassa der Textformen

Auf Einladung von Nora Gomringer liest Anselm Neft 2018 bei den 42. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt

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Anselm Neft war schon vieles; Tellerwäscher, Unternehmensberater, Deutschlehrer, Schalmeibläser in einer Mittelalterband mit dem Namen Schelmish. Er sei leicht erregbar und könne nicht gut stillsitzen, eine problematische Eigenschaft für einen Autor, scherzt er selbstironisch.

Und doch wird er auf Einladung von Nora Gomringer, der neuen Jurorin und Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann Preises 2015, drei Jahre nach ihr, eben dort vor dem Klagenfurter Publikum der literarischen Welt, stillsitzen und lesen.

Ein Neuling in dieser Welt des geschriebenen und gesprochenen Wortes ist Anselm Neft keineswegs. Denn eigentlich ist der 1973 geborene Bonner durch seine zahlreichen Satiren, Glossen und Kolumnen, Nachrufe, Kurzgeschichten und Essays gut bekannt. Seine vielseitigen und thematisch diversen Texte finden sich in namhaften Blättern Deutschlands wieder, darunter WELT, Tagesspiegel, taz, Eulenspiegel, Titanic und DAS MAGAZIN. Seit 2004 tobte er sich zunächst wortgewandt und spitzfindig als Publizist und Satiriker auf dem journalistischen sowie literarischen Parkett aus. Um sich dann 2010 noch zusätzlich als Romanautor zu entpuppen, stets bewaffnet mit spitzer Zunge, Ironie auf den Lippen und einer höchst präzisen Beobachtungsgabe.

Außerdem gründete Neft 2005 gemeinsam mit Christian Bartel und Francis Kirps, aus den Wurzeln der deutschen Poetry Slam- und Lesebühnen Szene heraus, das Magazin EXOT. Als Hans Dampf in allen Stildisziplinen ist Neft zu dem Zeitpunkt bereits selbst auch im Slammen zu Hause und ergatterte 2005 erfolgreich den Titel des deutschen Vizemeisters bei den Poetry Slam Meisterschaften in Stuttgart. Das Magazin EXOT galt als einzige deutschsprachige, durchgehend illustrierte Zeitschrift für komische Literatur und veröffentlichte kurze Prosatexte zu oft grotesken oder tragikomischen Alltagssituationen, feuilletonistische Texte ebenso wie komische Lyrik. Neft fungierte bis zur Einstellung der EXOT 2015 als Mitherausgeber und Autor.

Seit 2016 lebt und schreibt dieser wortsprudelnde und stiljonglierende Tausendsassa in und von Hamburg. Außerdem betreibt er dort im Schanzenviertel gemeinsam mit Piero Masztalerz, Katrin Seddig und Ella Carina Werner erfolgreich die Lesebühne Liebe für alle. Hier tritt er monatlich auch selbst ins Scheinwerferlicht, um das Gefühl zu genießen, sich beim gemeinsamen Vortragen mehr als Band denn als einsamer Schreiberling zu fühlen.

Im Videoporträt auf der Website zum Ingeborg Bachmann Preis 2018 (http://bachmannpreis.orf.at/stories/2914744/) berichtet der Autor: „Schon als Kind ist die Welt immer in mich rein gefallen und ich musste ganz, ganz viel reden und ganz, ganz viel schreiben, um sie wieder aus mir raus zu bekommen.“ Diese Fülle an Beobachtungen, an erlebten oder gehörten Geschichten, an aufgesogener Lektüre und im Kopf gespeicherten Träumen schlägt sich deutlich in einer hohen thematischen Diversität seiner Texte nieder. So lassen sich Aufsätze zu Veganismus oder Pornographie ebenso finden wie solche über Marquis de Sade oder Edgar Allan Poe, sein großes literarisches, und nach Selbstaussage wohl prägendstes Vorbild. Ein sich durchziehendes thematisches Element Nefts ist darüber hinaus die Beschäftigung mit Religion und Philosophie, was durch die Prägung seines Studiums Vergleichender Religionswissenschaften, Volkskunde, der Vor- und Frühgeschichte sowie ein paar Semestern Philosophie an der Universität Bonn wenig verwundert. 

Sein neuester Roman Vom Licht erschien, ebenso wie sein Erstlingswerk Hell, im Berliner Independent Verlag Satyr. Ein Verlag, welcher, ähnlich der Zeitschrift EXOT, in der Lesebühnen- und Poetry-Slam-Szene verankert ist und sich auf Publikationen aus dem vorwiegend humoristisch-satirischen Feld konzentriert, jedoch zusätzlich grotesk-düstere Unterhaltungsromane in seinem Profil führt. Letzterem ließe sich wohl auch Vom Licht zuordnen. Denn genau hier lässt sich Nefts Faszination für das Abgründige und Groteske beobachten; in jenen Momenten, wenn sein großes Vorbild Poe in seinem Schreiben durchblitzt. Der Autor bedient sich gerne der eigenen Biografie und nimmt sich „irgendwelchen Neurosen [zur Hand], um dann daraus aber Dinge zu destillieren, die von allgemeinem Interesse sein könnten.“

Sein neuster Roman Vom Licht handelt von Adam. Adam ist auf einem entlegenen, verwilderten und komplett von der Welt und anderen Menschen abgeschotteten Selbstversorgerhof in den österreichischen Voralpen aufgewachsen. Er und seine geliebte Stiefschwester Manda wurden dort, unter fast gänzlichem Ausschluss aus der Gesellschaft, von ihren Zieheltern großgezogen und unterrichtet. Diese verstehen sich als radikale Gnostiker, die von einer bösen Welt predigen und die einzige Erlösung und das Ziel des Lebens in der Rückkehr ins entmaterialisierte Lichtreich sehen. Adam ist nun 21 Jahre alt, sitzt in der Dachkammer dieses einsamen Hofes und schreibt über sein bisheriges Leben. Über dieses Schreiben versucht Adam – ganz ähnlich seinem Erfinder –  nachzuvollziehen, wer er ist; wie er wurde, was er ist; und letztendlich was er tun kann um trotz dessen weiterzuleben. Mit Worten die Welt zu fassen zu bekommen, die durch Worte erst entstanden ist. Neft spannt über die Handlung vom Aussteigerroman des jungen Adam ein ganzes Gewebe an Metaebenen. Selbstreflexive Gedankenwindungen über die Tragik des Schriftstellers, der durch sein Schreiben stetig zwischen Selbstvergewisserung und Selbstvernebelung oszilliert, stellen dabei nur eine Ebene dieser Erzählung dar. Gleichfalls lässt sie sich als Abhandlung über einen radikalen Kern des Christentums lesen und gewährt präzise und wortgewaltige Eindrücke in fundamentalistisches Denken, religiösen Fanatismus, Herrschsucht und Weltflucht, Geist und Materie, Gut und Böse. Neft destilliert nicht nur, er seziert. Taucht durch Adams Notizen in die tiefsten Abgründe menschlicher Existenz und menschlichen Denkens ein. Er schreibt radikal, scharf, und erschafft mit seinem Roman das Geistwesen, das sein Protagonist werden sollte. Sein Schreiben fordert vom Leser Konzentration und den Willen mitzudenken und zu reflektieren. Vom Licht ist eine literarische Herausforderung, die mitunter lange nachwirkt – um abschließend Dietmar Daths Zitat der Satyr Verlagswebsite zu bemühen: Vom Licht „klingt wahr und phantastisch zugleich, wie eine alte Geschichte von einer jungen Seele.“

So herrlich ironisch und satirisch Anselm Nefts journalistisches Schreiben sich gibt, so tragisch komisch und düster melancholisch muten seine Romantexte an. Bei seinem ersten Werk Hell beispielsweise entwickelt er die dunkle Abgründigkeit noch in die Richtung eines mysteriösen Thrillers weiter, bei Helden in Schnabelschuhen (Knaus-Verlag 2014) verfolgt er den Weg einer bittersüßen und tiefgründigen Liebesgeschichte. Nefts Romane faszinieren, fesseln, stellen Fragen, geben nicht zu viele Antworten und gehen mit dem Leser auf Sinnsuche; und bei all ihrer Tiefe und gelegentlichen Abgründigkeit schenken sie doch immer auch Momente der unweigerlichen Komik.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen