Ein Akademiker auf Abwegen

Lennardt Loß wird bei den 42. Tagen der deutschsprachigen Literatur von Michael Wiederstein in den Ring geschickt

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„Irgendwas hat mich getriggert.“ Mit diesen Worten beginnt Lennardt Loß sein Videoportrait auf der offiziellen Homepage des Bachmannpreises 2018. Die Freude, die er beim Schreiben hat, braucht er dabei nicht zu erwähnen. Er lächelt, seine Augen funkeln und es wirkt, als würde er jede Situation nutzen, um neue Ideen für seine Erzählungen zu sammeln. Die „Arbeiterkneipe“, oder auch „Spelunke“ genannt, ist für ihn der Ort, um Menschen zu begegnen und sich mit ihnen auszutauschen; wie etwa den „alternden Boxer“ zu treffen oder die Geschichte von dem „unglücklich verliebten Schlachtermeister, der sein Herz ausschüttet“ zu hören. Seinen Fokus legt Loß auf die „kleineren Leute“, allerdings sei dies die falsche Formulierung. Vielmehr seien es Menschen mit Lebenserfahrung, mit Geschichten, die so einfach, so alltäglich erscheinen, dass eben diese seine Texte so unglaublich einzigartig und besonders machen.

Loß ist 1992 in Braunschweig geboren und somit der jüngste der Autoren, eine Tatsache, die aber keineswegs seinen literarischen Werdegang schmälert. Er studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Jena und gegenwärtig Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Frankfurt am Main. Seit 2017 arbeitet er als freier Autor für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, dabei weiß er in seinem Text zu Deutschem Humor auf Twitter seinem literarischen Milieu vom kleinen Mann treu zu bleiben.

 Lennardt Loß schreibt seit drei Jahren Kurzgeschichten, welche in verschiedenen Anthologien erschienen sind. Seine Protagonisten sind dabei meist viele Jahre älter als er selbst, wirken ausgebrannt und abgekämpft. Die Begeisterung des Autors für ein Thema lässt seine Leser in Zeiten eintauchen, die Loß selbst nie erlebt hat, aber in Erlebtes umzusetzen weiß. „Hier stand er, in einer Boxhalle im Süden Magdeburgs, die wie alle Boxhallen dieser Welt nach Schweiß stank und war umgeben von brüllenden, saufenden Verlieren, die bei jedem Treffer, den Nico einsteckte, dümmer und wütender wurden“ (aus: Russischer Tango, weissbooks, Frankfurt am Main 2018). Ein Boxer im Ring, der nicht wegen seines Gegners, sondern aufgrund eines Herzinfarkts zu Boden geht, mitten in der DDR. In einer anderen Kurzgeschichte weiß Loß gekonnt, die junge Dorfschönheit Evelyn an einen Metzger zu verheiraten und durch jahrelange Arbeit in einer Großschlachterei zu entzaubern, nur damit sie dem Begehren ihres letzten noch verbliebenen Verehrers nachgibt. „In den letzten dreißig Jahren hatte Evelyn fast alles verloren: ihre Mädchenhände, den Ekel vor dem süßlichen Blutgeruch im Schlachthof und den Respekt vor ihrem Mann. Aber ihre Eitelkeit war ihr geblieben“ (aus: Das Aschenroda Rindermassaker, ebd).

Als Akademiker unterscheidet sich sein Leben von dem seiner Protagonisten recht deutlich. Bei Loß jagt ein Erfolg den nächsten. So wurde beispielsweise seine Shortstory Das Aschenroda Rindermassaker für den hr2-Literaturpreis 2018 nominiert, eine Bestätigung, dass sich dieser Gegensatz bewährt. Die Lesebühne ist für ihn als Preisträger des Literaturforums Hessen-Thüringen 2016 und 2017 kein unbekanntes Terrain. Dessen ungeachtet war Lennardt Loß erstaunt über die Einladung zum Bachmannpreis von Germanist und Literaturwissenschaftler Michael Wiederstein.

Sein Debüt erscheint im Frühjahr 2019 bei weissbooks. Der Roman soll von einer jungen Frau handeln, die bei einem Flugzeugabsturz über dem Pazifik auf einer einsamen Insel strandet und dort 25 Jahre lebt. Spätestens seit Daniel Defoes Robinson Crusoe ist die Robinsonade ein beliebtes und vor allem bekanntes Motiv in der Literatur. Ungeachtet der Vorhersehbarkeit der Abläufe und was die Schiffbrüchige während der Zeit auf der Insel erlebt, so wird dieser Roman etwas anders. Nicht das Inselleben wird dabei im Vordergrund stehen, sondern diverse Short Stories über Figuren, deren Lebenswege eine Verbindung zu der jungen Frau darstellen. Über sie selbst wird der Leser dabei im Dunkeln gelassen. Es wird also eine „Robinsonade ohne Robinson“.

Nun wird Loß in Klagenfurt das Podium betreten und sich dabei sicherlich an den Protagonisten seiner Short Story Russischer Tango erinnern. Möglicherweise wird es ihm vorkommen, als würde er in den Ring steigen. Nur ohne den stinkenden Schweiß, den vor Wut tosenden Trainer und die schmerzhaften Schläge. Er sollte sich dennoch gegen ein paar Seitenhiebe der Jury wappnen. Als Filmkritiker ist er es gewohnt auszuteilen, ferner ist er mit dem Modus der Kritik wohl vertraut, aber wie er sich im literarischen Ring der Tddl schlagen wird, das muss sich noch zeigen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen