Zum 42. Mal: Der Bachmann-Wettbewerb/die Tage der deutschsprachigen Literatur starten in Klagenfurt

Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ist eine Institution im deutschsprachigen Literarturbetrieb und – aus finanziellen Gründen – seit einigen Jahren ein Diskussionsthema in der österreichischen Medienlandschaft. Für sogenannte ‚Nachwuchsautoren‘, die dort unveröffentlichte deutschsprachige Prosatexte mit einer maximalen Lesedauer von 25 Minuten lesen dürfen, galt der Wettbewerb lange Zeit als das Nadelöhr, dessen Passage den erfolgreichen Eintritt in die Literatur- und Verlagslandschaften des deutschsprachigen Raums nahezu garantierte. Umso erstaunlicher wirkt es da, dass neuerdings auch bereits arrivierte Autoren nach Klagenfurt streben (im letzten Jahr etwa der Popautor Eckhart Nickel). Die bloße Teilnahme gilt schon als Erfolg – und nach wie vor wird die Bekanntgabe der 14 Auserwählten Anfang Juni zelebriert; dieses Jahr lesen:

Bov Bjerg, D

Martina Clavadetscher, CH

Özlem Özgül Dündar, TUR

Raphaela Edelbauer, A

Stephan Groetzner, D

Joshua Groß, D

Ally Klein, D

Stephan Lohse, D

Lennardt Loß, D

Tanja Maljartschuk, UA

Anselm Neft, D

Jakob Nolte, D

Corinna T. Sievers, D

Anna Stern, CH

Seit einigen Jahren hat sich der in Berlin ausgerichtete internationale deutschsprachige Literaturwettbewerb open mike zu einer Art Konkurrenzunternehmen der TddL entwickelt. Beide gelten als Generatoren von Aufmerksamkeit und Indikatoren für künftigen Erfolg im Literaturbetrieb – in zahlreichen Autoren-Preis-Biographien reihen sich die (Finalisten-)Plätze in Klagenfurt und Berlin aneinander. Anders als der 1993 gegründete mike feiern die TddL aber nicht nur die Autoren und deren Lesungen, sondern huldigen zugleich der Literaturkritik: der Wettstreit literarästhetischer Wertungsdiskurse, sachlicher Argumente, historischer Einordnungen, poetischer Geschmacksfragen und polemischer Nebenbemerkungen inszeniert das Ringen um poetische Qualität und Urteilsfindung auch als literaturbetrieblichen Showdown. Insofern ist Klagenfurt nicht nur ein Ort literarischer Präsenz, sondern auch eine Arena des Literaturbetriebs. Dass dessen Konsekrationsmechanismen öffentlich und im Angesicht der Autoren in Szene gesetzt und live übertragen werden, hat schon etlichen Anlass zur Kritik gegeben. So urteilt der Autor Klaus Modick: „Es ist ein ironischer Witz der Betriebsgeschichte, dass ausgerechnet Sieburgs Erbe [d. h. Erbe eines erbitterten Feinds der „Gruppe 47“, A.P.] Reich-Ranicki aus dem Bodensatz dessen, was die Gruppe 47 längst nicht mehr war und im Grunde auch nie werden wollte, die markt- und medienkompatiblen Reste zusammenklaubte, um daraus den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis zu inszenieren, den letzten Strich der Gruppe 47, auf dem die Autoren konsequenterweise nur noch als Schnittblumen am Fuß der Schwadroneurspulte einer Jury aus Kritikern fungieren.“ (Klaus Modick in: ders.: Ein Bild und tausend Worte. Die Entstehungsgeschichte von „Konzert ohne Dichter“ und andere Essays. Köln 2016) – Exhibitionismus und Voyeurismus sind eben nicht erst Effekte von DSDS-Formaten.

Die Juroren stehen deshalb in Klagenfurt ebenso im Zentrum der Aufmerksamkeit wie die vorgetragenen Texte und deren Autoren. Wechsel in der Jury dürfen auf ähnliches Interesse rechnen wie die Auswahl der TeilnehmerInnen durch die JurorInnen und die Reihenfolge der Lesungen. In diesem Jahr werden Insa Wilke und Nora Gomringer erstmals in der Jury dabei sein – die mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnete Literaturwissenschaftlerin, freie Kritikerin und frühere Leiterin des Kölner Literaturhauses, die mit sanfter Stimme klug zu analysieren versteht und – bis dato – wenig zur Polemik neigt, und die auch als Lyrikerin und Autorin tätige, 2015 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnete Leiterin des Bamberger Literaturhauses, die sich jüngst zur Verteidigung ihres Vaters Eugen (und der Freiheit der Poesie) zu Wort meldete. Sie lösen die Literaturkritikerinnen Maike Fessmann und Sandra Kegel ab. Beide hatten – bei aller Sachlichkeit und Zurückhaltung, mit der die Jurorinnen sich von einzelnen ihrer männlichen Jury-Kollegen absetzten – im letzten Jahr Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Sandra Kegel, weil sowohl der Bachmann-Preisträger Ferdinand Schmalz als auch der Gewinner des ersten Deutschlandfunk-Preises John Wray von ihr zur Teilnahme eingeladen respektive ausgewählt worden waren – und beide sich zudem als unumstrittene Publikumslieblinge erwiesen; Maike Fessmann, weil sie mehrfach in Friktionen mit Jury-Kollegen geriet und ihr Plädoyer für Pathos in der Literatur (auch und gerade angesichts von sehr viel Pop-Literarischem im Wettbewerb 2017) wenig expliziten Zuspruch fand.

Ungeachtet der Kritik an Klagenfurt als literarischer Fleischbeschau und Spektakel haben die dort verliehenen Auszeichnungen sich stetig vermehrt. Inzwischen werden insgesamt fünf Preise vergeben:  der  Ingeborg-Bachmann-Preis (gestiftet von der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee in Höhe von 25.000 Euro), der Deutschlandfunk-Preis (gestiftet von Deutschlandradio in Höhe von 12.500 Euro), der Kelag-Preis (gestiftet von der Kärntner-Elektrizitäts-Aktiengesellschaft in Höhe von 10.000 Euro) sowie der 3sat-Preis (gestiftet von 3sat, dem Gemeinschaftsprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ZDF, ORF, SRG und ARD in Höhe von 7.500 Euro) und der BKS-Bank-Publikumspreis (gestiftet von der BKS-Bank in  Höhe von 7.000 Euro), mit dem zudem ein Stadtschreiberstipendium in  Höhe von 5.000 Euro verbunden ist (vergeben von der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee). Das ist gut für die 14 Autoren, deren Chancen, mit einem der fünf Preise Klagenfurt zu verlassen, so gar nicht schlecht stehen. Die Preisvermehrung folgt zugleich einem generellen Trend im deutschsprachigen Raum: der Diversifizierung und Heterarchisierung von Preislandschaft und literarischem Feld.

Sicher: Klagenfurt steht auch für die Eventisierung des Literaturbetriebs und für die Inszenierung des Kompetitiven. Beides droht der Literatur den Status des ganz ANDEREN zu rauben, der vielen (LeserInnen wie AutorInnen) lebenswichtig erscheint. Aber Klagenfurt trägt zugleich die stille Freude an gutgemachten Texten, an sprachlichen Experimenten und eigenen oder eigen erzählten Geschichten in die Öffentlichkeit und bedeutet die seltene Chance, am Ringen und Streiten um Qualitätssicherung im Bereich der sogenannten Schönen Künste teilzuhaben, zusehend und -hörend oder eben auch kommentierend, widersprechend, weiterdenkend.

Wir möchten diese lebendigen, leidenschaftlichen, zuweilen polemischen Auseinandersetzungen nicht missen, wir freuen uns auf neue Stimmen und unbekannte Texte, die in kürzester Frist eingeordnet, bewertet und diskutiert werden wollen, wir freuen uns darauf, dass Literatur und der argumentative Streit um ihre Machart, Bedeutung und Wirkung einen Ort hat, in Klagenfurt, in den Medien (ORF und 3-Sat), im Netz (http://bachmannpreis.orf.at/) und auf literaturkritik.de, wo in diesem Jahr live und tagesscharf aus Klagenfurt berichtet wird: Wenn Millionen heimlicher Bundestrainer über strategische Fehler von Löws Aufstellung und den Altherrenfußball der deutschen Nationalmannschaft philosophieren und die Straßen deutscher Städte am Nachmittag des 27. Juni verwaist und trostbedürftig daliegen – dann wünschen wir uns, dass vom 5. bis 8. Juli Millionen heimlicher LiteraturkritikerInnen vor den Bildschirmen und Displays über vermurkste Metaphern, falsche Perspektiven, gelungene Twists und bewegende Plots diskutieren: neun TeilnehmerInnen aus Deutschland, zwei aus der Schweiz, je eine aus der Türkei, der Ukraine und Österreich gehen an den Start – alle lesen für die deutschsprachige Literatur.

Die Redaktion Gegenwartskulturen ist mit StudentInnen der Literaturwissenschaft der UDE in Klagenfurt vor Ort: Sie berichten schon vor Beginn der TddL über die teilnehmenden AutorInnen und ab Donnerstag direkt von den Lesungen und Jurydiskussionen – im Live-Ticker auf der Startseite von literaturkritik.de und im Tagesrückblick ausführlich über die Lesungen und Jurydiskussionen.  Es mag den AutorInnen nicht immer gefallen, aber wir freuen uns (auch) auf den produktiven Streit über Literatur, von dem Literaturkritik lebt und der auch Literatur am Leben hält.

Alexandra Pontzen für die Gegenwartskulturen

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen