Nächste Ausfahrt: Mittelalter

Darstellungen von Mittelalterlichkeit und ihre Auswirkungen auf die Immersionserfahrungen im Freizeitpark und auf dem Mittelaltermarkt

Von Lena HofmeisterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lena Hofmeister und Isabell MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Isabell Müller

Wann waren Sie das letzte Mal auf einem Mittelaltermarkt? Erinnern Sie sich noch an das Gefühl danach wieder im hektischen Alltag der Gegenwartswelt gestrandet zu sein? Dort beobachteten Sie eine entschleunigte, naturverbundene und fremde Lebensweise, die plötzlich in der Realität keinen Halt mehr findet.

Diese Erfahrung resultiert aus dem kurzweiligen Eintauchen in eine andere Welt. Es stört uns nicht mehr der dreckige Wäscheberg oder der morgige Impftermin, Dinge, die uns an den Alltag erinnern. Stattdessen treten wir über die Grenze des Bilderrahmens in eine fiktive Landschaft, die wir zuvor nur betrachtet haben.

In der Medienwissenschaft wird dieses Phänomen als „Immersion“ bezeichnet. Hier steht das Eintauchen in eine virtuelle Realität im Vordergrund. Immersion erfahren folglich jene, die beispielsweise gebannt Hobbits, Elben und Orks auf einem Bildschirm beobachten oder jene, die den Helden eines Videospiels durch epische Schlachten führen. Es entsteht das Gefühl, sich irgendwo zwischen Pixel und Erzählung zu befinden, wodurch die Realität des Rezipierenden kurzweilig von der Fiktivität des Dargestellten übermalt wird. Aber ist Immersion nur auf virtuelle Medien begrenzt?

Mittelaltermärkte und Themenparks weisen – anders als virtuelle Medien – keine visuelle sowie haptische Trennung zwischen Fiktion und Realität auf. Die Grenzüberschreitung ist homogener als beispielsweise im Videospiel, wo der Bildschirm den Spielenden von der fiktiven Welt trennt. Außerdem ist die Partizipation auf Mittelaltermärkten und in Themenparks intensiver. Der Besucher kann uneingeschränkt und ohne spezielle Hilfsmittel in der Immersion handeln. Die Aktionen und Kommunikationen erfolgen realitätsgetreu und ohne Verzögerungen. Obwohl man sich in einer alltagsfremden Welt befindet, bleibt der Komfort der Gegenwart erhalten. Die menschlichen Bedürfnisse wie Essen und Trinken oder auch der Toilettengang, werden im Videospiel – sofern sie überhaupt thematisiert werden – nur virtuell nachgestellt. Sobald der Spieler jedoch tatsächlich diesen Bedürfnissen nachgehen muss, wird die Immersion unterbrochen. Im Themenpark sowie auch auf dem Mittelaltermarkt geschieht dies nicht. Der Besucher befindet sich in allen Umständen und Situationen in der Immersion.

Wie das konkret umgesetzt wird, haben wir exemplarisch bei Feldforschungen auf dem 2. Junker Hansen Mittelaltermarkt in Neustadt (Hessen) und im „mittelalter-mystischen“ Themenbereich Klugheim des Freizeitparks Phantasialand (Brühl) untersucht. Dabei ist besonders interessant, wie die Immersion in beiden Fällen konstruiert wird. Welche Symbole inszenieren die Historizität? Und welche Auswirkungen haben diese auf den Besucher?

Die Mediävistik läuft hierbei zuweilen Gefahr Authentizität zu sakralisieren; sich in historischer Genauigkeit zu verrennen. Mit einer Aussage wie „Softeis hat es im Mittelalter aber noch nicht gegeben“ ist niemandem geholfen, weswegen wir solcherlei Ansätze nicht verfolgen. Es ist kein historisches Wissen über das Mittelalter von Nöten, um ein Gefühl von Mittelalterlichkeit zu erzeugen. Viel wichtiger ist es zu untersuchen, warum solche Abweichungen trotzdem Historizität vermitteln und die Immersion dennoch unterstützen. Also ziehen Sie Ihre Eintrittskarte und treten Sie ein!

Mittelaltermarkt und Themenpark: Was hat es damit eigentlich auf sich?

Die omnipräsente Legitimation von Mittelaltermärkten und Themenparks ist das Vergnügen der Besucher. Ausgelassenheit und Spaß entwickeln sich in ihrer Gänze durch das Ausblenden von Alltagssorgen. Der Unterhaltungsfaktor auf Mittelaltermärkten und in Themenparks resultiert also aus der bereitwilligen Entführung des Besuchers in die realitätsferne Anderswelt. Doch diese Entführung will geplant sein. Gerade in Themenparks wie dem Phantasialand hat man es mit akribisch ausgefeilten Illusionswelten zu tun, in denen kein Stein zufällig gesetzt ist. Seit 2016 gibt es dort mit Klugheim jetzt auch einen Bereich mit mittelalterlichem Setting. Sogar der schwäbische Kartoffelsalat, den man in Klugheims Taverne verzehren kann, ist, laut Thorsten Hoffmeister, Direktor der Gastronomie und der Hotels des Phantasialands, nach Rezepten von Hausfrauen aus der Region zubereitet. Es wird folglich höchsten Wert auf eine detaillierte Ausarbeitung des Narrativs gelegt.

Themenparks zeichnen sich außerdem durch eine mannigfache Abbildung fiktiver Welten aus. So gibt es im Phantasialand neben Klugheim, auch noch Bereiche wie China Town, Deep in Africa oder Mexico. Der Aufenthalt im Phantasialand resultiert eher selten aus dem alleinigen Interesse für das Mittelalter, denn aus der Sehnsucht nach Abwechslung in jeglicher Form. Um Geschichtsvermittlung geht es dabei nicht. Neben der Erfahrung von Alterität, welche hier auch in besonderem Maß für die Immersion verantwortlich ist, erwartet der Besucher eines Themenparks Action. Es ist der forcierte Kick, das Adrenalin, welches Spaß garantiert: die Achterbahn.

Themenparks vereinen somit das Verlangen von Alterität und Action, das Verlangen nach einer spannungsgeladenen Erfahrung in einer gesicherten, aber andersartigen und detailliert geplanten Welt. Die Immersion des Besuchers ist Folge einer wohlüberlegten Inszenierung. Es ist umso wichtiger, die Mittel zu untersuchen, die ein Gefühl von Historizität wecken sollen.

Auch ein Mittelaltermarkt wird geplant. Austragungsstätte, Reenactment-Gruppen, Teilnehmer, Stände und vieles mehr müssen koordiniert werden, um ein reibungsloses Event zu garantieren. Entscheidend ist hier jedoch, der höhere Grad an Spontanität. Während die Akteure des Phantasialands an gewisse Handlungsabläufe gebunden sind, erlaubt der geringere Besucherumfang auf dem Mittelaltermarkt, den Akteuren einen autonomeren und freieren Umgang mit den Gästen. Es entsteht ein offeneres Programm, da die Akteure auf Wünsche und Aufforderungen eingehen oder ein gelangweiltes Publikum anfeuern können. Auch die Motivation der Akteure trägt maßgeblich zur Atmosphäre auf einem Mittelaltermarkt bei: Es sind am Mittelalter Interessierte, die verantwortlich für das Dargestellte sind. Die selbsternannten Ritterschaften, welche die Mitwirkenden bilden, sind leidenschaftlich engagiert, wenn es heißt, ein vom Mittelalter inspiriertes Flair zur erzeugen. Geschichte wird für den Besucher erlebbar gemacht. Die Immersion besteht hier ebenfalls aus Alterität und Action. Feuerspucker oder Akrobaten, die Schwerter auf ihrem Kinn balancieren, sorgen auch für einen Pegel an Adrenalin, der jedoch im Vergleich zu einer Achterbahnfahrt eher geringfügiger ausfällt.

Ein prägnantes Element für einen Mittelaltermarkt ist auch immer seine Vergänglichkeit: Der Mittelaltermarkt ist nicht fest installiert wie der Themenpark und überdauert zumeist nicht mehr als ein Wochenende. Dem Besucher soll also möglichst innerhalb eines Tages das gesamte Mittelalter präsentiert werden. Klingt nach einer Mammutaufgabe, doch die Veranstalter schaffen ein stimmiges, durch Programmpunkte sortiertes, Bild von Mittelalterlichkeit.

Zurück in die Vergangenheit

Um in eine andere Welt abzutauchen, bedarf es einer Kulisse als Grundgerüst für eine Immersionserfahrung. Die Kulisse schafft eine Atmosphäre, die dem Besucher die Verortung in der fiktiven Welt ermöglicht.

Schon auf dem Weg zum 2. Junker Hansen Mittelaltermarkt in Neustadt kam man, bedingt durch die Fachwerkhäuser der Stadt, in den Genuss eines mittelalterlichen Flairs. Von Weitem markiert der, für den Markt namensgebende, Junker Hansen Turm den Schauplatz des Treibens. Er bildet die Basis der mittelalterlichen Kulisse. Die begrünte Parkanlage um den größten Fachwerkrundbau Europas dient als temporärer Veranstaltungsort. Der eigentlich öffentlich zugängliche Park wird für diesen Anlass durch Bauzäune abgrenzt. Ein zum Markt gehörendes Lager, in dem die Darsteller kampieren, ist jedoch für Interessierte jederzeit betretbar.

Nach dem Bezahlen des Wegzolls eröffnet sich die mittelalterliche Welt für alle Sinneseindrücke. Prägnant steigt einem der Geruch von Feuer, gebratenem Fleisch sowie der anregende Duft von Seife und Gewürzen in die Nase. Die bunten Farben der mit Leinen behangenen Zelte ziehen in den Bann. Mit Zinnen geschmückt, mit Seilen und Eisenheringen im Boden befestigt, bilden die meist zweifarbig gestreiften und spitzzulaufenden Zelte die Schmuckstücke der Kulisse. Aber nicht nur Stände aus Stoff finden sich auf dem Mittelaltermarkt. Auch hölzerne Marktstände locken mit ihren – meist ess- und trinkbaren – Angeboten. Nach ausgiebigem Essen und Trinken bedarf es irgendwann eines Orts für natürliche Bedürfnisse: der Toilette. In einem Baucontainer, außerhalb des abgegrenzten Geländes, findet der Besucher Erleichterung. Es scheint, als ob der moderne Komfort sanitärer Anlagen aus dem mittelalterlichen Markttreiben ausgeklammert wird.

Auf dem Gelände des Mittelaltermarkts wird ansonsten Wert auf natürliche Materialien gelegt. Schaffelle, grobes Holz, ausgelegtes Stroh, Stoffe wie Leinen, Baumwolle und Jute, aber auch Metalle sorgen für ein natürliches Flair von Mittelalterlichkeit. Die Verbindung mit der begründeten Parkanlage entfernt ganz und gar von der technologisierten Gegenwartswelt.

Auch im angrenzenden Lager wird der moderne Alltag ausgegrenzt. Hier ist kein Platz für herkömmlichen Luxus wie Matratzen, fließendes Wasser und Elektronik. Gelagert wird in Zelten oder direkt auf dem Rasen. Ein Großteil der Zelte grenzt sich durch ihre einheitlich weiße Farbe von den Marktständen ab. Einige wenige Mitwirkende formatieren sich in Ritterschaften. Mit farbig gestalteten Zelten und selbst entworfenen Wappen heben sie sich von den sonst monochromen Behausungen ab. Auch die Namensgestaltung der Gruppen ist mittelalterlich inspiriert: Hier treffen David von Drachenburg, Severus von Rabenstein oder Felix von der Loewenwiese aufeinander und wecken Assoziationen von Minnesängern und Ependichtern. Drache, Rabe und Löwe sind nicht nur Namensgeber, sondern zugleich Motive der eigens erstellten Wappen. Ergänzend zu den Wappentieren finden sich auch andere Figuren wie beispielsweise Ritterhelme, Schwerter, Burgen, heraldische Lilien oder lateinische Schriftzüge. Durch das Erfinden fiktiver Ritterschaften samt Wappen wird der Eindruck von einer mittelalterlichen Gesellschaft konstruiert. Der Besucher fühlt sich dadurch der mittelalterlichen Lebenswelt näher.

Ritterschaften alleine reichen jedoch nicht aus für eine vollständige, mittelalterliche Gesellschaft. So wandeln neben den Rittern auch Mönche, Gaukler, Barden, adlige Damen, Hexen, Musiker, Falkner, Wachen, Schmiede und Händler über den Markt. Die jeweilige Gewandung – von dem Begriff „Kostümierung“ ist auf Wunsch der Akteure abzusehen – sind individuell gestaltet. Hinter jedem Gewand steckt eine eigene Geschichte, eine Rolle mit Hintergrund, die von den Mitwirkenden präsentiert wird. Das trägt wiederum dazu bei, dass die Darsteller das Gesamtbild einer in sich geschlossenen Gesellschaft abrunden. Die Immersion wird für den Besucher dadurch einfacher; das Gefühl von Echtheit durch die lebhaften Figuren transportiert. Ein Schmied, der ein Schwert schmiedet oder eine Magd, die am Lagerfeuer kocht, stellen den vermeintlich mittelalterlichen Alltag nach.

Die Kulisse des Neustädter Mittelaltermarktes ist alles andere als ein flaches Bühnenbild: Viele kleine Details erschaffen eine mehrdimensionale Landschaft. Um der Immersion ein Grundgerüst zu geben, findet hier eine Symbiose von Natur, mittelalterlich inspirierten Alltagsgegenständen und aufwändig gestalteten Rollen samt Gewändern statt.

Ähnlich wie der Junker Hansen Turm in Neustadt sticht der Turm des Mystery Castles im Phantasialand, der weltweit einmalige Bungee Drop Tower, monumental aus der Ferne hervor. Der einer Burg nachempfundene Turm, mit Zinnen und in Steinoptik erbaut, lockt den Besucher schon vor dem Eintreten in die mittelalterliche Atmosphäre. Schon wenige Schritte hinter dem Drehkreuz befindet man sich in einer anderen Welt. Der Pfad durch diese Welt führt über gepflasterte Wege und vorbei an steinernen Mauern und hölzernen Zäunen. Anders als auf dem Mittelaltermarkt ist der Weg für den Besucher weitgehend vorherbestimmt. Betritt man diesen Weg, erhebt sich – kunstreich inszeniert – die Kulisse Klugheims: Den Hintergrund bilden schroffe, meterhohe Felswände, in die sich die metallenen Schienen der Achterbahnen als Mittelgrund einfügen. Große wie kleine Gebäude formatieren sich im Vordergrund schließlich zu einem Gesamtbild.

Die Klugheim einrahmenden Felswände erinnern an Basaltsäulen, wie man sie beispielsweise am Giant’s Causeway in Irland findet. Sie referieren vielleicht auf die irische Legende um Fionn mac Cumhaill und erschaffen ein mysteriöses Flair. Die in die Felswände integrierten Achterbahnschienen ziehen sich durch den gesamten Themenbereich. Um die modernen, zwangsweise technologisierten Schienen in das Gesamtbild der mittelalterlichen Welt einzufügen, wird das Material der Schienen immer wieder in Zäune, Lampen oder sonstige Dekorationen eingearbeitet. Dadurch gelingt die Fusion von Alterität und Kontinuität. Die Immersion wird durch die modernen Einflüsse nicht gestört; der Besucher nimmt die Achterbahn als natürliches Element des Themenbereichs und der Mittelalterlichkeit wahr.

Die im Vordergrund platzierten Gebäude bilden eine in sich geschlossene Organisation. Der Marktplatz, ausstraffiert mit Fachwerkhäusern und einer angrenzenden Taverne, bildet das Zentrum des erdichteten Dorfes. Essenziell sind auch Häuser, die eine Illusion von Belebtheit erschaffen sollen, paradoxerweise jedoch leer stehen. Dies wird inszeniert durch wohlplatzierte Alltagsgegenstände wie Eimer, Besen und Pferdegeschirre oder rußverschmierte Wände. Es wirkt als könnte jederzeit ein Bewohner aus einer Haustür treten. An Häusern angebrachte Schilder verweisen auf verschiedene Werkstätten, wie „Waldheyer“ oder „Kannenbäcker“, die allerdings nur Belebtheit suggerieren und für die Besucher nicht zugänglich sind. Die sanitären Anlagen werden – anders als auf dem Mittelaltermarkt – in die Welt eingefügt: Das „Stille Örtchen“ wird in eines der Dorfhäuser integriert. Die Gebäude dienen außerdem als Ein- und Ausgang der Achterbahnen.

All diese Bauten haben die sich immer wiederfindenden Materialien gemein: Sie bestehen aus massiv geschlagenen Steinen, die mit dunklen Holzpaneelen verkleidet sind. Die Schindeldächer sind rundlich oder spitz zulaufend. Die Fenster bestehen aus meist grünlichem Glas und erinnern an alte Kirchenfenster. Mittelalter scheint ohne Kirche undenkbar. Sakrale Gebäude bilden daher ein wichtiges Motiv zur Erzeugung von Mittelalterlichkeit.

Die Buntglasfenster treten vor allem in „Rutmor’s [sic] Taverne“, dem Restaurant des Themenbereichs, hervor. Schummriges Licht, steinerne Wände, hohe Decken und spitze Giebel erzeugen ein rustikales Flair. Hinzu kommen Felle auf hölzernen, thronartigen Stühlen, schieferne Tischsets und zahlreiche Kerzen, die die vom Phantasialand angepriesene zünftige, kräftig-deftige Atmosphäre unterstreichen sollen. Die hallenartige Taverne erinnert in ihrem Aufbau an Thronsäle aus Game of Thrones gemischt mit Tavernen-Stereotypen wie dem „Tänzelnden Pony“ aus der Der Herr der Ringe-Trilogie. Bei der Planung dieses Themengebietes war die Re-Rezeption solcher populären, mittelalterlich angehauchten Werke wohl essenziell, um den Zeitgeist einzufangen und den Erwartungen der Besucher gerecht zu werden. Zugleich wird auch hier eine mystische Stimmung aufgebaut. Dies geschieht zum einen aus dem Referieren auf besagte Filme und Serien, die mit düsteren Fantasy-Elementen aufgeladen sind sowie der Integration einer durchdachten Narration in den Themenbereich.

Um Klugheim herum wird eine Geschichte gesponnen. Hier hausen Kobolde, die in den Felswänden Minenarbeit verrichten. Die Kobolde sind den fiktiven Bewohnern Klugheims offenbar nicht wohlgesonnen und vice versa, denn ein Kobold findet sich gefangen und in Ketten gelegt in „Rutmor‘s Taverne“ wieder. Durch das physische Umherwandern in dieser konstruierten Welt wird der Besucher in die Immersion hineingezogen. Die Mitarbeiter des Themenbereichs agieren als Bewohner Klugheims und sind zuständig für die Arbeiten rund um die Achterbahnen oder die Essens- und Getränkeausgabe. Die Akteure sind nicht aus eigenem Interesse am Mittelalter in Klugheim stationiert; sie wurden vom Themenpark engagiert. Dies bedeutet aber nicht, dass das Design der Kostüme mit weniger Leidenschaft ausgearbeitet wurde. Laut Marlis Kriese, der Ingenieurin für Bekleidungstechnik des Phantasialands, wurden die Gewänder so detailreich wie möglich gestaltet. Es wurde Wert auf einen rustikalen Stil gelegt, der individuell und nach dem persönlichen Gusto des jeweiligen Mitarbeiters angepasst werden kann. Außerdem sollte der handwerkliche Charakter der Kleidung herausgestellt werden. Durch die individuelle Kostümierung der Mitarbeiter wird die Vielschichtigkeit der Narration unterstützt.

Auch die Achterbahn trägt zu dieser Geschichte bei. Die Achterbahnwaggons ähneln Minenwagen, die sich in das Konzept der in den Felswänden Stein abtragenden Kobolden, einfügen. Der Besucher muss durch das gefährliche Gebiet der Kobolde hindurchfahren. Dabei dient das an Widderhörner erinnernde Geweih am Vorderwaggon als symbolischer Rammbock und damit als Schutz gegen die Kobolde. Des Weiteren wird mit dem Rammbock auf epische Burgeroberungen aus diversen Mittelalter-Filmen verwiesen.

Aufgeladen wird die Narration außerdem durch Symbole, wie germanische Runen, keltische Knoten und religiöse Zeichen wie Kreuze an den Häuserwänden. Diese scheinen beinahe willkürlich platziert zu sein. An jeder Ecke, egal wo man hinschaut, lassen sich solche Symbole finden. Das raue Klima des abgebildeten Mittelalters wird zusätzlich durch die Rezeption wikingischer Motive verstärkt. An einigen Dachgiebeln ragen hölzerne Drachenköpfe hervor.
Die Kulisse Klugheims zeichnet sich durch eine mysteriös anmutende Narration aus. Entscheidend ist hierbei die Re-Rezeption populärer Filme und Serien, wie Game of Thrones, Der Herr der Ringe oder Vikings. Die Immersion wird erzeugt durch filmische Assoziationen. Der Besucher wandelt durch eine interaktiv erlebbare Filmkulisse.
Das Phantasialand betitelt den Themenbereich Klugheim nicht primär als Mittelalterwelt, sondern als Mystery-Landschaft. Das Mittelalter wird oft als Schauplatz für geheimnisvolle, mysteriöse Sagen und Geschichten verwendet. Auch im Film wird auf die vom Mittelalter inspirierte Kulisse Bezug genommen. Klugheim knüpft damit an Darstellungstraditionen und -konventionen an.

Hier spielt die Musik

Um sich ganz und gar in der Immersion zu verlieren, braucht es eine musikalische Untermalung, da Musik maßgeblich dazu beiträgt Emotionen zu wecken. Auf dem Neustädter Mittelaltermarkt dient dazu Livemusik von Spielleuten. Die Musiker spielen an unterschiedlichen Orten, mischen sich unter die Besucher, und animieren diese mit ihrer Darbietung. Die Liederpräsentation bietet ein Potpourri von irischer Folklore bis hin zu deutschen Texten, gemixt mit populären Eurodance-Melodien. Dadurch entsteht eine Fusion von Alterität und Kontinuität, die den Besuchern eine Verknüpfung an ihnen bekannte Partyhits und gängige Mittelalterklischees ermöglicht. Die Spielleute erzeugen dadurch eine lockere, humoristische, beinahe schon parodistische Atmosphäre, die einer Tavernen-Szene gleicht. Es wird deutlich, dass hier der Spaß im Vordergrund steht und nicht das ernsthafte Verlangen nach historischer Abbildung. Jedoch wird bei der Auswahl der Instrumente darauf geachtet, dass beim Besucher eine Assoziation mit dem Mittelalter entsteht. Es wird Gebrauch von Drehleiern, Lauten, Flöten sowie von mit Tierhaut überzogenen Trommeln und Tamburinen gemacht. Dass diese Instrumente als mittelalterlich gelten, kommt nicht von ungefähr: Zahlreiche Abbildungen aus bekannten Handschriften wie dem Codex Manesse oder den Cantigas de Santa Maria zeigen Musiker mit diesen oder ähnlichen Instrumenten. Durch diese Darstellungstradition wird die Immersion des Besuchers in der mittelalterlichen Welt verstärkt. Das Zusammenspiel von Instrumenten und mittelalterlich anmutenden Klängen versetzt den Besucher in die Stimmung eines altertümlichen Volksfestes. Dies spiegelt sich auch in den besungenen Themen wider. So preisen Trinklieder das Treiben in der Taverne sowie ausschweifende Feste. Sinnbildlich dafür steht die Aussage eines Spielmannes: „Lieber für Alkohol kämpfen, als für irgendeinen Herrn“, oder: „Ihr habt einen Grund heute zu sündigen“. An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass die Besucher in der fiktiven Welt Abstand von ihrem Alltag gewinnen sollen und die Festlichkeit in den Vordergrund rückt. Durch die gewonnene Distanz zur realen Welt fällt der Schritt in die Immersion auf dem Mittelaltermarkt besonders leicht.

Im Phantasialand erzeugt die musikalische Untermalung dagegen ein ganz anderes Flair: Wie in jedem Themenbereich des Parks wird auch in Klugheim eigens komponierte Themenmusik in Dauerschleife abgespielt. Wie die Reise eines Helden, erinnernd an Frodos Abenteuer auf dem Weg nach Mordor, baut die Hintergrundmusik einen Spannungsbogen auf. Der Besucher fühlt sich an vom Mittelalter inspirierte Abenteuerfilme erinnert und schlüpft in die Rolle eines Helden. Es entsteht ein cinematisches Moment. Die Musik begleitet jeden Schritt des Besuchers in der pseudo-mittelalterlichen Welt und bildet dadurch ein dominantes Element der Immersionsbildung. In jedem Winkel des Themenbereichs sind außerdem Geräusche zu hören, die die fiktive Welt charakterisieren und Atmosphäre erzeugen. Atmo-Töne sind ausgelegt für spezielle Bereiche wie beispielsweise Waldgeräusche beim Holzfäller, der im Phantasialand als „Waldheyer“ bezeichnet wird, oder herabfallende Steine beim Herantreten an die Felswände. Auch Geräusche wie hämisches Kichern und hohe, piepsige, unverständliche Koboldstimmen erklingen in der Nähe der Basaltsäulen. Dadurch wird die im Themenbereich integrierte Narration untermalt. In der Taverne wird auf eine ruhigere, entspannendere Harfenmusik Wert gelegt, die den Besucher nicht beim Essen stört, aber dennoch die Immersion aufrechterhält.

Die musikalische Untermalung auf dem Junker Hansen Mittelaltermarkt sorgt für ein feierliches Volksfest-Klima, das an einen mittelalterlichen Alltag erinnern soll, während in Klugheim Musik genutzt wird, um cinematisches Flair zu erzeugen und den Besucher in ein mystisches Abenteuer leitet.

„Hat Jemand einen Taschendrachen für mein stinkend Stänglein?“

Um sich als Besucher im Labyrinth von Kulisse, Zelten und Akteuren zurechtzufinden, bedarf es einiger Beschilderungen. Diese dienen dazu den Besucher zu leiten, ihm bei Bedarf Erklärung zu verschaffen und Gegenwartskomfort zu gewährleisten. Eine tragende Rolle im Hinblick auf Immersionsbildung und ‑wahrung spielt dabei die Sprache, und zwar schriftlich wie mündlich. Sie dient dazu, die gewünschte Atmosphäre zu erzeugen und hilft auch dabei die Verortung und die Immersion zu unterstützen.

Auf dem Neustädter Mittelaltermarkt finden Beschilderungen vielerlei Verwendung: Einerseits preisen sie die an den Ständen angebotenen Produkte an, andererseits informieren sie darüber, wo sich die Organisation, Toiletten und die Sanitäter befinden, oder kündigen spezielle Darbietungen an. Auf den ersten Blick wirken diese Schilder nicht besonders mittelalterlich. Können sie dennoch helfen, die Immersion zu unterstützen?

Bei den meisten Schildern wird Wert auf „Authentizität“ gelegt. Das heißt, die verwendete Schrift wird mittelalterlichen Schriftarten durch Schnörkel oder auch runenähnliche Buchstabenkonstruktionen nachempfunden. Dabei ist das wichtigste Kriterium aber stets die komfortable Lesbarkeit für den modernen Besucher. Auffällig ist, dass Informationsschilder über Orte, die modernen Ansprüchen genügen müssen, weniger „vermittelalterlicht“ werden. Dabei handelt es sich vorwiegend um „WC“- und „Orga“-Schilder. Auch im fiktiven Mittelalter dürfen Datenschutzregelungen nicht fehlen! Beim Nachstellen eines Ritterschlags oder einer Hinrichtung wird mit einem Schild auf den rechtmäßigen Gebrauch von Daten beim Fotografieren aufmerksam gemacht. Das zu diesem Zwecke gestaltete und in Plastik laminierte Schild ist mit einer nur leicht verschnörkelten Schrift bedruckt, die für den Besucher leserlich ist und die Informationen damit leicht zugänglich macht. Mit abgedruckten Blumenbildchen und einem Ritterhelm wird bei der Gestaltung auf einen mittelalterlichen Bezug geachtet.

An den Marktständen finden sich wiederum Schilder mit mittelalterlich anmutenden Slogans, wie „alles seye zu verkosten“ und „feynstes Soft-Eis mit fangfrischen Erdbäären“. Mittelalterliche Sprache wird dabei nur angedeutet und mit einem Augenzwinkern verwendet. Der Besucher soll auch ohne Mittelhochdeutsch-Kenntnisse und Wörterbuch unbeschwert auf dem Mittelaltermarkt flanieren können. So wird – eher frühneuhochdeutsch – zumindest aus einem i ein y, um dennoch das Klima einer anderen Zeit zu erschaffen. Mittelalterlich inspiriert scheint auch die mündliche Kommunikation, sowohl zwischen den Akteuren, wie auch mit den Gästen. Floskeln wie „ja wahrlich“, „seid gegrüßt“ und „habt Dank und gehabt euch wohl“ fließen immer wieder – oft auch mit dramatischen und ausschweifenden Handbewegungen – in den Kommunikationsakt ein. Gerade die Gespräche unter den Darstellern in dieser frei erfundenen Sprache zeigen, mit wie viel Herzblut und vor allem Spaß die Mitwirkenden im fiktiven Mittelalter agieren. Für den Besucher trägt diese Kommunikationsweise erheblich dazu bei, in der Immersion zu verweilen. Das Mittelalter wird dadurch detailreich neu konstruiert.

Als quasi mittelalterliche Parodie auf die Gegenwart werden moderne Alltagsgegenstände mit Fantasienamen kodifiziert: Das Feuerzeug wird zum Taschendrachen, das Smartphone zum Hörknochen und die Zigarette wird – ein wenig kritisch – als „stinkend Stänglein“ bezeichnet. Um den Taschendrachen zum Speien zu animieren wird schließlich Werbung für die Website des Gauklers, als Zauberspruch getarnt, im Chor von den Zuschauern gesprochen.

Wenn sich Gaukler oder Spielleute an ihr Publikum wenden, spielen sie mit den Vorstellungen der Besucher vom Mittelalter als Partylandschaft oder finsterem Zeitalter. Essen, Saufen und die Taverne werden hier favorisiert. Während seiner Aufführung fragt der Gaukler das Publikum immer wieder: „War Euch das gefährlich genug?“. Mit lautem Gebrüll wird diese Frage natürlich verneint, was offensichtlich im Interesse des Gauklers ist, denn es folgt eine Showeinlage nach der anderen. Mit seiner Frage spielt der Spaßmacher auf das „finstere“ Mittelalter an, in dem es anscheinend sehr gefährlich zuging.

Auf Sprache – egal ob mündlich oder schriftlich präsentiert – wird auf dem Junker Hansen Mittelaltermarkt großen Wert gelegt. Sicherlich ist dabei das historische Interesse der Mitwirkenden, aber auch der Spaß am Parodieren ausschlaggebend. Für die Besucher des Marktes wird durch die Sprache die Illusion vom Mittelalter ausgeschmückt. Die Abgrenzung zur Alltagswelt wird hervorgehoben und die Immersion in der Alterität unterstützt. Auch bei der Beschilderung werden durch die fantasievolle Typografie Informationen in ein mittelalterliches Gewand gesteckt. Der Besucher kann sich so trotz Immersionserlebnisses orientieren.

Auf Verzierungen und farbenfrohe bildliche Gestaltung wird auch in Klugheim großen Wert gelegt. Kunstvoll geschnitzte und bemalte Schilder fügen sich stimmig in die Kulisse ein. Auch die Schilder der Achterbahnen „Raik“ und „Taron“ sind mit keltischen Knotenmustern verziert und dabei einfach lesbar. Bei der Beschilderung wird auf Detailreichtum geachtet. Germanische Runen, die an das skandinavische Mittelalter und an filmische Interpretationen dieser Zeitspanne erinnern sollen, werden als Dekoration verwendet. Anders als auf dem Mittelaltermarkt müssen diese hier nicht lesbar sein und dienen hauptsächlich zum Aufbau der Kulisse. Speisenkarten und Wegweiser informieren den Besucher in moderner Sprache und in einer lediglich leicht verschnörkelten Schrift über das Angebot. Der Komfort des Besuchers steht dabei an erster Stelle. Dieser soll Informationen einfach und ohne Aufwand verstehen können. Trotzdem wurde darauf geachtet, dass die Vorstellung einer rustikalen Mittelalterwelt in den Köpfen der Besucher entsteht. Die sonst sehr modern gestaltete Speisekarte wirbt mit der Überschrift „Speis und Trank“ und der Parkguide preist die Taverne als „kräftig-deftiges“ Restaurant an.
Im Gegensatz zum Neustädter Mittelaltermarkt sprechen die Angestellten in Klugheim modernes Deutsch. Die Immersionserfahrung wird davon allerdings nicht gestört. Der Alltag rückt trotzdem in die Ferne.

Sprache kann im Allgemeinen eine große Wirkung auf die Immersion eines Besuchers haben. Allerdings ist die Verwendung einer mittelalterlichen Sprache nicht zwingend notwendig. Auch modernes Deutsch, verkleidet in ein vermeintlich mittelalterliches Gewand, egal ob auf Schildern oder als gesprochene Sprache, kann zur Immersionserfahrung beitragen. Das Thema Mittelalter wird so anzitiert, aber Informationen bleiben leicht zugänglich.

Darf ich noch mitspielen?

Immersion ist eine subjektive Erfahrung, die – wie bereits erläutert – durch äußere Einflüsse auf das Individuum gelenkt werden kann. Es scheint beinahe, als habe der Besucher eines Mittelaltermarkts oder Themenparks gar keine andere Wahl als sich in der dargestellten Anderswelt zu verlieren. Doch wie tief er in den Strudel aus Alterität und Action eintaucht, ist dem Besucher überlassen, indem er selbst darüber bestimmt, wie weit er an der fiktiven Welt partizipieren möchte. Der Immersionsumfang ist also Aufgabe des Besuchers. Beide Angebote, Mittelaltermarkt und Freizeitpark, bieten Möglichkeiten für diese Partizipation, wobei der Immersionsgrad vom Individuum abhängig ist.

Auf dem Neustädter Mittelaltermarkt prägt sich die Partizipation in der Immersion vielschichtig aus. Gleich beim Betreten des Marktplatzes schmeichelt der Geruch von süßen und herzhaften Speisen die Nase. Die zahlreichen Essensbuden verleiten damit schnell zur Teilhabe an der Immersion: dem Verzehren von authentischem Speis und Trank aus dem vermeintlichen Mittelalter. Im Angebot finden sich „Ritterriemen“ (Bratwurst), „Fleischlappen vom Schwein“ (Schweinesteak), „King Arthur‘s legendary food“ (Teigprodukte mit Hanf) sowie diverse Süßspeisen wie ungarischer Baumkuchen, gebrannte Mandeln oder Softeis. Die Getränkeauswahl besteht vorwiegend aus diversen Met- und Biersorten. Softdrinks bekannter Marken werden nicht angeboten. Wer etwas Nicht-alkoholisches trinken möchte, muss sich mit Wasser oder Apfelschorle begnügen. Dem Besucher wird eine eher traditionell-europäische Auswahl an Verpflegung geboten. Auf Exotisches oder Modernes wird verzichtet und geläufige Bezeichnungen, wie Bratwurst, mit „Ritterriemen“ vermittelalterlicht. Auch bei neuweltlichen Errungenschaften wie dem Ketchup wird durch die Umhüllung der Flaschen mit Jute darauf geachtet das mittelalterliche Bild aufrechtzuerhalten. Zudem wird Wert auf eine ursprüngliche und natürlich anmutende Präsentation der Speisen gelegt, das meiste wird über Feuer oder Glut zubereitet. Der Besucher erhält durch die Einschränkung des Angebots möglicherweise das Gefühl, dem mittelalterlichen Alltag näher zu sein, und kann durch das Konsumieren in seiner Immersionserfahrung unterstützt werden. Auch das Referieren auf King Arthur suggeriert, dass die Rezepte der Speisen bereits seit hunderten von Jahren weitergetragen wurden. Fiktivität spielt dabei keine Rolle, Arthurs Name allein reicht, um ein Gefühl von Mittelalterlichkeit beim Besucher zu erzeugen.

Auf dem Mittelaltermarkt kann der Besucher jedoch nicht nur Speisen und Getränke erwerben, sondern beispielsweise auch Seifen, mittelalterliche Gewänder, Ledertaschen, Trinkhörner, Felle, Spielzeugwaffen (für Mädchen in pink und gut mittelalterlich vorwiegend mit Einhorn-Motiv) oder Schmuck. Alltagsgegenstände des vermeintlichen Mittelalters also. Beim angebotenen Schmuck finden sich viele populäre pseudo-mittelalterliche Symbole. So wird durch Thors Hammer auf die nordische Mythologie referiert und auch die keltischen Knoten halten – wie in Klugheim – Einzug.

Die Partizipation an der Immersion gelingt auf dem Mittelaltermarkt jedoch nicht nur durch das Geldausgeben. Vom Bogenschießen, Kerzenziehen, Gaukler-Schauspiel, Geschichtenerzähler, Ritterschlag und Kinderturnier, an dem die Besucher als Akteure teilnehmen können, bis hin zu Hexenprozessen, Pestumzügen und Feuershows, an denen die Besucher als Beobachter zusehen, sind viele Möglichkeiten geboten, um noch tiefer in die fremde Welt eintauchen zu können. Zugleich kristallisiert sich hier eine Dichotomie heraus: Auf der einen Seite erlebt der Besucher das Mittelalter als freudiges Spektakel und auf der anderen Seite als die finstere Zeit der Gewalt und Pestilenz. Diese Darstellung des Mittelalters transportiert die Alterität, schafft somit Abstand zur Kontinuität und ermöglicht es dem Besucher wieder ein Schritt weiter in die Immersion zu treten.

Der Geschichtenerzähler tritt an dieser Stelle für uns Literaturwissenschaftler besonders in den Vordergrund. Außerhalb des Marktplatzes in seinem persönlichen Campingbereich des Lagers, lädt der – stark an Troubadix aus der Comicserie Asterix erinnernde – Erzähler zu „keltische Mythen zur Sonnenwende“ ein. Noch während auf dem mit Fell ausgelegtem Boden Platz genommen wird, erklärt der Erzähler, dass ihm durchaus bewusst sei, mit keltischen Mythen nicht auf das Mittelalter abzuzielen. Dennoch lägen ihm die Kelten am Herzen, weswegen er ihre Geschichten weitertragen wolle. So zeichnet er zunächst die Historie der Kelten nach und verdeutlicht deren Einflüsse in verschiedenen Epochen, bevor er schließlich eine der ältesten keltischen Geschichten, den „Rinderraub von Cooley“ wiedergibt. Die mündliche Überlieferung versetzt die Zuhörer in eine ursprüngliche, vor der schriftlichen Tradition vorhandene Zeit. Hier wird besonders deutlich, dass Authentizität und historische Genauigkeit nicht vonnöten ist, um eine mittelalterliche Atmosphäre entstehen zu lassen.

Die Partizipation des Besuchers in Klugheim bildet sich – ähnlich wie auf dem Mittelaltermarkt – unter anderem durch die dargebotene Verköstigung aus. In Klugheim lassen sich jedoch andere Speisen und Getränke als auf dem Neustädter Mittelaltermarkt finden und somit auch eine andere Auffassung darüber, welche Form von Verköstigung beim Besucher mit mittelalterlicher Ernährung assoziiert wird. So wird in Klugheim Wert auf „zünftig, deftig-kräftige“ Küche gelegt. Brezeln, Flammkuchen, Nockerln, Bratkartoffeln und Kaiserschmarrn stehen auf dem Menü. Klugheim ist außerdem der einzige Themenbereich des Parks, der Bier anbietet und das nicht einfach in Plastikbechern, in welchen die üblichen Softdrinks – ja, hier gibt es sie – verkauft werden, sondern in gläsernen Bierkrügen. Die Immersion des Besuchers soll durch die vorwiegend süddeutsche Kulinarik vertieft und die Atmosphäre eines derben, häuslichen Mittelalters kreiert werden. Komfortaspekte der Moderne wie zuckerhaltige Getränke und Hochdeutsch bleiben jedoch erhalten, um dem Besucher seinen Aufenthalt so leicht wie möglich zu gestalten.

Im Gegensatz zum Mittelaltermarkt kann hier das Portemonnaie auch schon beinahe wieder weggepackt werden – dafür ist der Eintrittspreis deutlich höher. Neben Speis und Trank kann der Besucher nur noch Merchandise des Themenbereichs Klugheims wie T-Shirts oder Tassen erwerben. Keine Alltagsgegenstände des vermeintlichen Mittelalters, sondern der Moderne. Die Konzentration auf die Bedürfnisse des modernen Menschen und des weniger am Mittelalter denn an allgemeiner Alterität interessierten Besuchers wird deutlich.

Als essenziell für die Partizipation an der Immersion stellt sich im Themenpark das Achterbahnfahren heraus. Der Besucher erhält – dadurch, dass die Schienen der Achterbahn quer durch den Themenbereich verlaufen – die Möglichkeit, gewissermaßen mit der fiktiven Welt zu verschmelzen, für einen Moment also komplett in der Immersion zu versinken. Diese Erfahrung kann im Anschluss an die Fahrt auch in Form eines käuflich erwerbbaren Erinnerungsfotos mit nach Hause genommen werden. Ein weiteres beliebtes Motiv ist das Ausprobieren des Prangers, in dem der Fotografierte scheinbar gefangen ist. So wird auch in Klugheim ein finsteres Bild des Mittelalters transportiert. Im Vergleich zum Mittelaltermarkt fällt dieses jedoch deutlich schwächer aus. Zentral bleibt der Spaß, den es dem Besucher in der pseudo-mittelalterlichen Welt zu bereiten gilt.

Insgesamt zeichnet sich die Partizipation an der Immersion auf dem Neustädter Mittelaltermarkt vor allem durch seine Akteure aus. Durch die Kommunikation mit ihnen wird der Besucher förmlich in die Immersion hineingezogen. Diese Interaktionen verfestigen die Partizipation und bieten eine vielschichtige Erfahrung. Auf dem Mittelaltermarkt ist der Besucher also ein Stück weit von seiner Eigenverantwortung entlastet, da die Darsteller für einen Großteil seiner Immersion sorgen.

Im Vergleich dazu ist man in Klugheim beinahe auf sich allein gestellt, wenn man ganz in die dargebotene Welt eintauchen will. Die Kommunikation mit den Mitarbeitern fällt eher gering aus und will der Besucher Spaß erleben, muss er selber dafür aktiv werden. Im Themenpark ist das Individuum also selbst für seinen Grad an Immersion zuständig.

Auf ins Abenteuer

Die Immersionserfahrung des 2. Junker Hansen Mittelaltermarktes in Neustadt und des Themenbereichs Klugheim im Phantasialand weist Ähnlichkeiten auf. Dennoch wird die Immersion in beiden Freizeitangeboten durch unterschiedliche Faktoren konstruiert.

Das wichtigste und für den Besucher offensichtlichste Element ist die Kulisse. Einfachgehaltene Zelte, die nicht nur als Behausung im Lager benutzt werden, sondern auch als Stände beim Markttreiben, finden sich auf dem Mittelaltermarkt. Das Zusammenspiel von Natur, Bodenständigkeit und dem Interesse am Mittelalter der Akteure formen hier eine mehrdimensionale Welt und ein harmonisches Gesamtbild. Der Besucher spaziert in einer inszenierten und oft parodistischen Alltagswelt eines angenommenen Mittelalters. Das Phantasialand setzt die fiktive Welt Klugheim hingegen anders in Szene. Theatralische Bühnenbildkonstruktionen umrahmen die, in eine Narration eingebettete, konstruierte Dorflandschaft. Der Besucher wandelt durch einen filmisch inszenierten Raum, welcher durch cinematisch anmutende, musikalische Untermalung unterstützt wird.
Eine gemeinsame Besonderheit dieser beiden Welten ist, dass eine physische Partizipation innerhalb der Immersion stattfinden kann. Der Besucher beider Freizeitangebote kann nicht nur halbwegs frei durch diese hindurch wandeln, sondern ist in der Lage ohne Zeitverzögerung und haptische Trennungen handeln zu können. Essen, Trinken, Entertainment oder der simple Toilettengang kann ein Teil der Immersionserfahrung sein. Die Partizipation, Musik und auch die verwendete Sprache bilden kleine Details, die immer auch mit Emotionen verbunden sind und den Besuchern ermöglichen, tiefer in die fremde Welt einzutauchen und in dieser kurzzeitig zu verweilen.

Ein deutlicher Unterschied ist dabei die Motivation des Mittelaltermarktes und des Phantasialands. Der Mittelaltermarkt in Neustadt wird durch die Begeisterung der Akteure (und teilweise auch der Besucher) für das historische Mittelalter belebt. Klugheim ist hingegen nur ein Teilbereich eines großen Freizeitparks, der wechselnde Angestellte in Kostüme steckt. Das Interesse an einer Ausdrucks- und Handelsweise, die die Immersion des Besuchers unterstützen würde, fällt hier eher gering aus. Im Phantasialand steht nicht die Vermittlung des Mittelalters im Vordergrund, sondern das Erzeugen von Alterität in jeglicher Form. Das Zusammenspiel von Kulisse, filmischer Musik und einer gezielten Narration binden den Besucher an die Atmosphäre dieser detailreich konstruierten Welt.

Eine Fusion von Alterität und Kontinuität lässt sich in beiden fiktiven Landschaften wiederfinden, denn der moderne Komfort will auch in mittelalter-inspirierten Welten nicht vermisst werden. Aber stellen moderne Elemente, wie ein Fahrrad, angelehnt an ein mittelalterliches Zelt, sichtbare Verkabelungen oder Gullydeckel nicht einen Immersionsbruch dar? Durch die verschiedenen Elemente, die zu einer Immersionsbildung notwendig sind, wird der Besucher aus dem Alltag entführt. Toiletten, Ketchup aus Plastikflaschen und andere moderne Mittel stören nicht. Diese Dinge sind so alltäglich, dass sie gar nicht auffallen.

Historizität wird durch ein fast schon wildes Durcheinander von Symbolen germanischer, keltischer und auch mittelalterlicher Art erzeugt, die zwar nicht unbedingt authentisch sind, aber dennoch eine Immersion erwecken. Wir bekommen durch Fernsehserien, Filme und Literatur Darstellungstraditionen vermittelt, die sich hier wiederfinden lassen. Diese erinnern uns an die phantastischen Welten Mordors, Winterfells und Arborlons und geben uns die Chance einen Tag lang in einer ähnlichen Welt zu sein und zu agieren.

Wie sehr man sich auf die fremde Welt einlässt ist abhängig vom Einzelnen. Jeder ist sein eigener Held auf der Reise in sein persönliches Abenteuer, fernab von der Alltagswelt. Warum versuchen Sie es nicht einmal selbst?

 

Literaturverzeichnis

Neitzel, Britta u. Nohr, Rolf F.: Das Spiel mit dem Medium. Partizipation – Immersion – Interaktion, in: Das Spiel mit dem Medium. Partizipation – Immersion – Interaktion, hrsg. v. Britta Neitzel u. Rolf F. Nohr, S. 9-20, Marburg 2006.

Schirrmeister, Claudia: Der Themenpark. Vergnügliche Illusionswelt Jenseits des Alltags, in: Kultur des Vergnügens. Kirmes und Freizeitparks – Schausteller und Fahrgeschäfte. Facetten nicht-alltäglicher Orte, hrsg. v. Sacha Szabo, Bielefeld 2009, S. 227-237.

Schweinitz, Jörg: Totale Immersion, Kino und die Utopie von der virtuellen Realität. Zur Geschichte und Theorie eines Mediengründungsmythos, in: Das Spiel mit dem Medium. Partizipation – Immersion – Interaktion, hrsg. v. Britta Neitzel u. Rolf F. Nohr, Marburg 2006, S. 136-154.

 

 

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg