Mal so, mal so

Vorbemerkungen zum Schwerpunkt der August-Ausgabe „Mittelalter in der Populärkultur“

Von Alissa TheißRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alissa Theiß

Wer hat sich nicht schon einmal in eine ferne Welt und den Ruhm vergangener Zeiten geträumt? Einmal mit König Artus an der Tafelrunde sitzen, das Schwert Excalibur aus dem Stein ziehen oder als tapferer Held gegen Drachen und andere Ungeheuer kämpfen. Unzählige Anregungen für solche fantastischen Abenteuer bietet das Mittelalter – oder das, was wir dafür halten.

Oder, um genau zu sein, das, was man uns dafür halten lässt: Wir schalten den Fernseher ein, gehen ins Kino oder streamen die neusten Serien, wir lesen Bücher oder lassen uns von Videospielen in den Bann ziehen. Es ist erstaunlich, wie oft man auf kühne Ritter, stolze Burgen und heroische Schlachten trifft. Immer wieder wird dort auch, am Lagerfeuer sitzend, von den ruhmreichen Taten tapferer Helden berichtet und in verklärender Rückschau eine Zeit beschworen, in der selbst der Krieg noch eine schöne und ehrenhafte Angelegenheit war.

Eine Auseinandersetzung mit der modernen Rezeption des Mittelalters bietet einen spannenden Einblick in die Interessen und Vorlieben der populären Kultur. Schon in den 1970er Jahren boomte die Epoche in den Massenmedien und noch heute ist es schwer, nicht mit mittelalterlichen Themen konfrontiert zu werden. Was sind die Gründe für dieses große, und weiterhin wachsende, Interesse am Mittelalter? Identitätsstiftung durch die Auseinandersetzung mit Vergangenem, Eskapismus durch die Alteritätserfahrung oder Neugier an Geschichte, all das kann hierbei eine Rolle spielen. In der Populärkultur steht jedoch nicht die Geschichtsvermittlung im Vordergrund, sondern die Unterhaltung. Es geht nicht um die Rezeption historisch korrekter Fakten der Zeit von 500 bis 1500 nach Christus, sondern darum, Stereotypen des Mittelalters zu schaffen und in neue Kontexte zu setzen. So finden sich in den fiktiven Welten „Westeros“ von George R. R. Martin oder „Mittelerde“ von J. R. R. Tolkien immer wieder vom Mittelalter inspirierte Elemente. Das Eintauchen, beispielsweise in ein Mittelalter-Szenario im Videospiel, wird als Immersion bezeichnet. Das funktioniert auch bei Filmen, Büchern oder Events mit mittelalterlichem Setting. Es ist ein Prozess der Distanzierung vom Gewohnten und bewirkt eine jeweils individuelle Auseinandersetzung mit dem Mittelalter während und nach der Alteritätserfahrung. Diese Prozesse entführen uns kurzzeitig aus dem Alltag und ermöglichen das Eintreten in ein Paralleluniversum, das von virtuellen Gaming-Welten über die eigene Vorstellungskraft bis hin zur politischen U- oder Dystopie alle Formen annehmen kann.

Die Populärkultur bedient sich einer mittelalterlichen Kulisse um Historizität und die Atmosphäre einer längst vergangenen Zeit, die dennoch ihre Spuren in der modernen Welt hinterlassen hat, zu erzeugen. Die moderne Darstellung des Mittelalters macht deutlich: Es gibt nicht das eine Mittelalter. Aber wie genau wird das Thema vom popkulturellen Bereich bis zur Tagespolitik be- und verhandelt? Das Zeitalter als Ganzes lässt sich nicht umfassend darstellen, also nehmen wir uns spezifische Bruchstücke heraus und beleben diese seit Jahrhunderten neu – und zwar so, wie es gerade passt: Das Bild vom „finsteren Mittelalter“ dient als Inspiration für Schauerliteratur und Vergleichsfolie für moderne Rückständigkeit, während Fantasy und Kinderbuch das Mittelalter als Steinbruch zum Aufbau einer romantisierten „Märchenwelt“ verwenden.

Der „Rückfall“ ins Mittelalter wird besonders gern bei weltanschaulich motivierten Konflikten zwischen Orient und Okzident heraufbeschworen, während bei allem, was Spaß machen soll, eine heile mittelalterliche Welt entworfen wird, wo man, je nach Zielgruppe, mit sorglosem Biertrinken beschäftigt ist oder in zauberhaften Prinzessinnenkleidchen herumläuft.

Die Beliebigkeit, mit der das Mittelalter mal als Beispiel für schlimmste Zustände, mal als großes Zeitalter, wo es noch echte Liebe gab, herhalten muss, ist für Mediävisten schwer zu ertragen. Während Donald Trump 2016 mit Bezug auf islamistische Terroranschläge wetterte: „we are living in medieval times”, stilisiert sich die First Lady aktuell als mildtätige „Medieval Queen“.[1] „Es hat eben jeder seine eigene (meist verdorbene) Idee vom Mittelalter“[2], um es mit Umberto Ecos – nicht ganz unkritischen – Worten zu sagen.

All diese Aspekte sind Thema unserer Sonderausgabe: Isabell Müller und Lena Hofmeister vergleichen die unterschiedlichen Arten von Immersion, die der Besuch von Mittelaltermärkten und Freizeitparks bewirken kann. Bernhard Runzheimer erschließt in seinem Essay die Darstellung des Mittelalters in Games. Thematisch anknüpfend bespricht Benedikt Klein das Buch Digitale Heldengeschichten von Aline Madeleine Holzer. Von Nathalie Glasow werden mittelalterliche Kulissen im Disney-Film in den Blick genommen. Mit dem Stauferbild im italienischen Historienroman befasst sich Gala Rebane in einem weiteren Essay und die politische Dimension von Mittelalterrezeption verdeutlicht Jan Alexander van Nahl in seiner Rezension zu Andrew B.R. Elliotts Medievalism, Politics and Mass Media, um nur einige Beispiele zu nennen.

Hinweis: Der Schwerpunkt „Mittelalter in der Popkultur“ wurde von den Studierenden der Übung „Lehrredaktion“ im Sommersemester 2018 unter der Leitung von Dr. Alissa Theiß an der Philipps-Universität Marburg initiiert und erarbeitet. In der praxisorientierten Übung, die Bestandteil des Master-Studiengangs „Literaturvermittlung in den Medien“ ist, erhielten die Studierenden Einblicke in den Literaturbetrieb, speziell in die Arbeitsabläufe der Mittelalter-Redaktion von literaturkritik.de. Sie haben unterschiedliche kulturjournalistische Texte eingeworben (zum Teil auch selbst geschrieben), in Redaktionssitzungen gemeinsam diskutiert, redigiert und zu diesem Schwerpunkt zusammengestellt. Das Thema des Schwerpunkts ist zugleich Teil des gleichnamigen Lehrprojekts, das unter der Federführung von Benedikt Klein am Marburger Institut für deutsche Philologie des Mittelalters angesiedelt ist.

[1] https://www.theatlantic.com/politics/archive/2018/06/trumps-medieval-queen/563381/, aufgerufen am 11.07.2018.

[2] Umberto Eco: Nachschrift zu Der Name der Rose. München 1987, S. 89.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg