Leben in der Krise

Über Gregor Michael Fröhlichs Ernst-von-Salomon-Biografie „Soldat ohne Befehl“

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vom Freikorps zum Pazifisten? Feind der Weimarer Republik sowie des „westlichen Materialismus“ und doch auf Distanz zum Nationalsozialismus? Gesprächspartner von Ernst Jünger und von Ulrike Meinhof? Wie ist das möglich? Ernst von Salomon hat das geschafft, und Gregor Fröhlich erzählt uns eingebettet in zeit-, geistes- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge, wie. In seiner Biographie unterteilt er das Leben von Salomons in drei Phasen, wobei die zweite Phase nach erheblicher Binnendifferenzierung verlangt.

Von 1913 bis 1918 absolvierte Ernst von Salomon eine Ausbildung in einer Kadettenanstalt. Bei aller Begeisterung für den Krieg und aller Opferbereitschaft war der im Jahr 1902 Geborene zu jung, als dass er am Ersten Weltkrieg hätte teilnehmen können. 1918 war nicht nur die alte kaiserliche Ordnung dahin und der Krieg verloren – auch der Blick auf das eigene Ideal warf kein schönes Bild zurück: „Ganz schnell gingen die Soldaten, dicht aneinandergedrängt. Wie Schemen tauchten die vordersten vier Mann auf. Nicht rechts, nicht links blickten die Augen“, fasste Salomon seinen Eindruck von Soldaten, die aus dem Feld zurückkehrten, in Die Geächteten zusammen. „Und wie ich diese tödlich entschlossenen Gesichter sah, die fremd an der Menge vorbeisahen, da wußte ich, das war ja alles ganz anders, wie wir es dachten.“ Sie waren nicht nur keine Heroen, sondern auch voller Verachtung für ihn. 1918 war für Salomon also nicht nur das Ende der alten, kaiserlichen Ordnung, sondern er sah auch seine soldatische Identität durch die einzigen infrage gestellt, die sie infrage stellen konnten.

Doch Salomon wusste sich Abhilfe zu verschaffen, wenn er schon nicht am großen Krieg teilnehmen konnte, so führte er seinen eigenen. Er ging zu den Mördertruppen der Freikorps. Vor den Kämpfen im Baltikum – von deren außergewöhnlicher Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit auch ein Kollege Salomons, der spätere Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, zu berichten wusste – und danach schlug er linke Erhebungen nieder. In dieser Zeit entstand die Ideologie des „Soldatischen Nationalismus“.

Aber es half alles nichts. Als er 1919 nach Deutschland zurückkehrte, versank er bald in politischer Bedeutungs- und Machtlosigkeit. Er schloss sich der rechtsterroristischen und antisemitischen „Organisation Consul“ an, die die Weimarer Republik beseitigen wollte. Für sie war er maßgeblich an der Vorbereitung des Attentats auf Reichsaußenminister Walther Rathenau beteiligt, wofür er für fünf Jahre ins Gefängnis ging.

Der „Soldatische Nationalismus“, den Salomon in diesen Jahren entwickelte, ist ein wichtiges Bindeglied zwischen alter und neuer Rechter. Salomon übernahm alte Denkmuster, entwickelte diese weiter und fügte neue hinzu. Der „Soldatische Nationalismus“ war nach wie vor antidemokratisch – aber nicht mehr monarchisch-reaktionär. Zudem bekam das Individuum mehr Bedeutung. Es übernahm die Funktion der alten Obrigkeit – aus alter Sicht ein nahezu anti-autoritärer Akt. Durch den Verlust alter Orientierungsrahmen musste das Individuum sich selbst ermächtigen. Salomon und seine Freikorps handelten de facto außerhalb der staatlichen Ordnung, auf die sich zuvor verpflichtet gesehen hatten. Sie standen außerhalb der offiziellen militärischen Organisation und der deutschen Nation, deren Teil sie bislang gewesen waren. Staatliche Ordnung, militärische Organisation und deutsche Nation, das war bislang eine bestehende Einheit gewesen. Der „Soldatische Nationalismus“ löste diese drei Elemente von den powers that be ab. Die Nation wurde entgrenzt und ins Seelenleben, ins Blut verlegt; sie wurde emotional virtualisiert und affektiv derealisiert. Die Gründung der Nation sowie der militärischen Ordnung (oder zumindest ihrer Keimzellen) geschah aus der Tat heraus. Der ‚Führer‘ sollte sich spontan, durch eigene Leistung und Anerkennung seiner Kameraden und von alleine herauskristallisieren.

Trotz dieser wichtigen Umbauarbeiten konnte Salomon keine Triumphe mit ihr feiern. Andere hatten sie bereits in den Nationalsozialismus hineingetragen. Als Salomon im Jahr 1927 wieder auf freiem Fuß war, feierte die nationalsozialistische Bewegung große Erfolge. Salomons Kreise waren bedeutungslos geworden. Die Straße und die Politik beherrschten NSDAP und KPD. Parteien aber lehnten Salomon und Konsorten grundsätzlich ab. Die NSDAP erschien ihm als eine besonders totalitäre Ausprägung der Massendemokratie. Zudem war ihm die NS-Bewegung insgesamt zu plebejisch sowie zu ideen- und geistlos. Ihrer Ideologie mangelte es an Systematik. In dieser Zeit wandte sich Salomon laut Fröhlich vom völkischen Denken ab. Antisemitismus habe bei ihm ohnehin nie eine große Rolle gespielt. Der Aufstieg des Nationalsozialismus und schließlich dessen Machtübernahme war für Salomon nicht – wie man erwarten könnte – die Erfüllung seiner Träume. Tatsächlich gerieten beide Seiten wiederholt aneinander. Als Drehbuchschreiber kam er mit Joseph Goebbels und Eva Braun aber gut aus. So kam er ganz gut durch den Nationalsozialismus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Salomon an alte schriftstellerische Erfolge anknüpfen. Der Fragebogen war Fröhlich zufolge der „erste groß angelegte Versuch einer Restauration des beschädigten deutschen Nationalbewusstseins“, der „erste literarische Erfolg der Bundesrepublik“ und „eine der ersten nationalkonservativen Geschichtsdeutungen des Dritten Reichs“. Darüber hinaus engagierte sich Salomon in der jungen Bundesrepublik gegen die atomare Bewaffnung. Er plädierte für einen „Nationalneutralismus“, war laut Fröhlich „keiner bestimmten Gruppierung zuzuordnen“, wurde als Kommunisten-Sympathisant verdächtig, las Antonio Gramsci und warb für die DFU. Salomon streckte aber auch Fühler in Richtung Neue Linke aus. Er zeigte große Sympathien für antikoloniale Bewegungen und begeisterte sich für Che Guevara. Gudrun Ensslin wollte Anfang der 1960er Jahre ein Gedicht von ihm in der Anthologie gegen den Tod. Stimmen deutscher Schriftsteller gegen die Atombombe verlegen. Salomon lehnte ab. Zu Ulrike Meinhof, die er schätzte, hatte er Kontakt, und die SDS-Führung lud er zu sich ein. Sie kam gerne.

Wie ist das nun zu verstehen? War Salomons Entwicklung eine kontinuierliche, ohne biografische Einbrüche, wie Fröhlich zu Anfang seines Buches schreibt – oder gab es bei ihm während des Nationalsozialismus einen „grundlegenden Wandel“, wie es zu Beginn des letzten Viertels heißt? Kehren wir zum Anfang des Buchs zurück, wo er folgert: „Ernst von Salomon, das ist ein Leben in der Krise.“ Wie sieht diese Krise aus? Sie äußert sich in Einsamkeit, Rastlosigkeit, Angst um den eigenen Status, Gewissheitsverlust sowie Angst vor und Hass gegen einen allgegenwärtigen und zersetzenden Feind. Aus diesem Grund habe Salomon geschrieben, so Fröhlich. Aufgrund seiner Krise habe er auf die „Innenschau des dokumentarischen Romans“ gesetzt. Aber nicht nur geschrieben hat Salomon, er hat auch gemordet, unterdrückt, zerstört, gehasst und konspiriert. Und er hat in all dem geschwelgt. Er hat viel darüber nachgedacht, wie er seinen Hass begründen und legitimieren kann, wer Schuld an seiner Misere hat und gegen wen er seinen Hass richten kann – und wie er diese Ziele auslöschen kann. Dabei ging er nicht nur gegen Individuen vor, sondern richtete seinen Blick vorzugsweise aufs große Ganze.

Die oben genannte „Innenschau“ geht in Fröhlichs Darstellung fast gänzlich verloren. Die innere Krise, gegen die Salomon nichts tat, die er aber fleißig fütterte, interessiert Fröhlich nicht. Die innere Krise von Salomon und Konsorten hat Klaus Theweleit in seinen Männerphantasien ausgiebig zu Wort kommen lassen. Aber Fröhlich verwirft Theweleit immer wieder und kümmert sich lieber um die äußere Krise. Der Terror der Revolution nach dem Ersten Weltkrieg sei für Salomon bedrohlich gewesen. Schutzlos sei er einer erdrückenden Menschenmasse ausgeliefert gewesen. Deren Hass habe bei ihm Gegenhass erzeugt. In dieser Weise geht es immer weiter mit den angeblichen realen Erfahrungsgründen des armen Salomon: Aus „Verdruss über die deutschen Nachkriegsverhältnisse“ sei er als Freikorps gen Osten gezogen. Dort habe er dann erfahren, „wie schnell sich Rechtsräume in Gewalträume wandeln konnten“. Bei Fröhlich wandeln sich Räume und Menschen tragen traumatische Erfahrungen davon, anstatt zu betonen, dass Salomon und dessen Schlächterkumpanen Räume in killing fields verwandelt haben. Die ungeklärten Territorialfragen und die mangelnde Rechtssicherheit hätten Salomon schwer zugesetzt. Aber hat nicht er die Grenzen, die er angeblich so dringend brauchte, zerstört, und hat er es nicht stets gehasst und verachtet, das bürgerliche Recht? Salomon ging dorthin, wo er das fand, was ihn verstörte und was er brauchte. Er stellte die Auflösung sowie die Raum- und Strukturlosigkeit selber her.

Fröhlich kann indes auch anders, etwa wenn er konstatiert, dass Salomon „die Unsicherheit der Moderne bewältigen und somit dauerhafte Ordnung erzeugen“ wollte. Aber erzeugte Salomon nicht allererst Unsicherheit, indem er seine eigene, innere brachial auf die äußere Welt übertrug? Und was wäre das für eine Ordnung gewesen? Und für wen? Wer übt Gewalt aus? Im Zweifelsfall eine ganz bestimmte Instanz: Im Jahr 1918 „brach die Moderne mit voller Gewalt hervor“ – als der Krieg aus war und eine Demokratie eingerichtet werden sollte.

Fröhlichs Assoziation von realer Erfahrung der Außenwelt mit Salomons Empfinden und Handeln wird in der Darstellung der Zeit nach 1945 zunehmend merkwürdig. Wer spricht hier, wenn es um „die totalitären Tendenzen, die auch dem Liberalismus innewohnen“, geht? Die siegreichen USA „sahen im Gegner keinen Feind, mit dem es nun einen Frieden auszuhandeln galt, sondern ein menschliches Übel, das nur zu verachten sei.“ Spricht hier Fröhlich oder Salomon? Hier spricht eindeutig Fröhlich: „Nicht die Diktatur, sondern die als Befreiungsakt deklarierte Besetzung Deutschlands brachte ihn, einen ab 1933 Unbescholtenen, hinter Gitter.“ Was selbst die Nationalsozialisten nicht geschafft oder gewagt haben, die USA hätten – nachdem sie Deutschland besetzt hatten (warum nochmal?) und diese Besetzung als Befreiung deklarierten – es gewagt. An den „Faschismus der USA“ (Salomon) scheinen auch andere zu glauben. Es passt, dass sich Fröhlich in den Fußnoten auf diesen Seiten positiv auf eine Publikation aus dem rechtsextremen Antaios Verlag bezieht.

Wer ist eigentlich Gregor Michael Fröhlich?

Titelbild

Gregor Michael Fröhlich: Soldat ohne Befehl. Ernst von Salomon und der soldatische Nationalismus.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2017.
380 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783506787385

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