Ich schreibe, also bin ich
Der obsessive Erzähler Reinhard Jirgl
Von Eva Leipprand
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Und fühlte wie 1 Sturz das Hingeworfensein in die alte Gegenwart, an den alten Ort: ich saß noch immer, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, nahe dem Eingang, aus feuchtem Gemäuer Kälte, und Frösteln wie mit Spinnenbeinen über meine Haut. [...] in Händen die Fetzen Papier...die Schriftzüge die Krakel (wie es hieß) aus todlosen Stunden eines Fremden der nicht sterben konnte, die Angst ... diese würgende alles tötende Angst ...weder Helden-Geschichten noch Schelmenroman - nur die Sorge der Tiere & die ur-menschliche Frage Wozu das Ganze wozu denn nur - !"
Reinhard Jirgl, zu DDR-Zeiten zum Schweigen verurteilter Autor, wurde nach seinem letzten Roman "Abschied von den Feinden" mit Preisen bedacht und als Meister der "Ost-Moderne" gefeiert. Der Alptraum seiner "Hundsnächte" knüpft in Stil und Inhalt an den "Abschied" an. Zu Anfang ist der Erzähler Mitglied einer Arbeitskolonne, genannt die "Fremdenlegion", einer rohen Truppe, die nach der Wende den Todesstreifen zwischen Ost und West zu einem Radweg "niederbügeln" soll. Dabei steht eine Ruine im Weg, in der ein Fremder hausen soll, inmitten von Moder, verfaulten Zettelresten und Fliegenschwärmen, ein Bild des Erzählers selbst, wie sich am Ende zeigt. Der sitzt hier, in der Ruine, "im Mittelpunkt eines angehaltenen Todes", mit dem Ausgang im Blick, und entwickelt seine Horrorgeschichten und Ekelszenen, seine aus dem vermodernden Osten und dem nicht minder angefaulten Westen gespeisten Erinnerungen und Alpträume, die ihn immer wieder zurückschleudern in Zerfall und Gestank, in die Ruine neben den modernden Zettelhaufen, auf dem nichts anderes als der Roman selbst geschrieben steht.
Eine Abschweifung bringt die andere hervor, Traum und Wirklichkeit gehen nahtlos ineinander über. Aus uferlos sich zerteilenden Sätzen, die immer wieder neue Nebensätze und Partizipialkonstruktionen generieren, aus Wörterwasserfällen, Wirbeln und Buchstabenstrudeln entsteht ein gewaltiger Erzählstrom, der den Leser über mehr als fünfhundert Seiten mit sich fortreißt. Lautmalende Schreibweise und expressive Interpunktion verstärken den Druck. "Alles geschah wie unter Zwang. ... Als wären sämtliche anderen Wörter in einen Sog geraten od: als hätte in dem enormen Reservoir aller Wörter ein Mahlstrom sich gebildet -", in dem sich alles, zusammen mit Bruchstücken literarischer und künstlerischer Tradition, unaufhörlich dreht und mischt und überlagert: Szenen aus der Kindheit, "das 1. Mal im Leben, daß ich tot sein wollte"; ein mysteriöser Brudermord; die ganze "alte Zonenscheiße", in der alle irgendwie drin und schuldig sind; der "Steinhaufen" Berlin und der brutale Überlebenskampf nach der Wende; das Vernichtungslager der "Drexarbeitzwelt"; die Stasi-Mephistofigur des "Feisten", faustische Seelenverschreibung und Kreuzigung als Orgie der Grausamkeit; die unerfüllte Sehnsucht nach Hilfe und Halt bei einer Frau; und als zentrales Bild immer wieder die verrottende Ruine - ein hier angstbesessen, dort zynisch, oft auch sehr komisch entfesseltes, von Scheußlichkeiten und Obszönitäten wimmelndes Weltpanoptikum. "Schicksal u Scheiße, Meinlieber, haben mehr als nur den Anlaut gemein."
Jirgls Sprachgewalt ist atemberaubend. Er entfesselt die Sprache zur Beschwörung der "Finsterness". Insofern ist "Hundsnächte" auch und vor allem ein Buch über das Schreiben. "Solange ich Bilder habe -?!verstehstu - solange habe ich keine Angst -". In seinem bisherigen Werk waren dies vor allem Bilder von Fäulnis und Zerfall, in obsessiven Zyklen gefangen, zwischen Leben und Tod stagnierend. Am Schluß der "Hundsnächte" explodiert eine Mine im ehemaligen Todesstreifen. Auch wenn seine Schreibhand verwundet ist, fühlt sich doch der Erzähler am Schluß "entfesselt befreit losgelassen" ins Helle, Weite. Ein neuer Abschnitt beginnt. Wir sind gespannt auf Jirgls nächstes Buch.
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