Um Mitternacht ging ich … –

Zeitbewußtsein und Alterskunst in einem Gedicht Goethes

Von Walter Müller-SeidelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Müller-Seidel

 

Johann Wolfgang Goethe

Um Mitternacht ging ich, nicht eben gerne,
Klein, kleiner Knabe, jenen Kirchhof hin
Zu Vaters Haus, des Pfarrers, Stern am Sterne,
Sie leuchteten doch alle gar zu schön;
Um Mitternacht.

Wenn ich dann ferner in des Lebens Weite
Zur Liebsten mußte, mußte weil sie zog,
Gestirn und Nordschein über mir im Streite,
Ich gehend, kommend Seligkeiten sog;
Um Mitternacht.

Bis dann zuletzt des vollen Mondes Helle
So klar und deutlich mir ins Finstere drang,
Auch der Gedanke willig, sinnig, schnelle
Sich ums Vergangne wie ums Künftige schlang;
Um Mitternacht.
(MA 13.1, S. 518)

Daß Gedichte, wie literarische Texte überhaupt, nicht aus sich selbst heraus, sondern aus der Zeit heraus zu verstehen sind, wird hier vorausgesetzt. Ein Bekenntnis zu unverändertem Historismus ist damit nicht ausgesprochen. Eher versteht sich Historisches mit Beziehung auf Gedichte im Sinne Gottfried Benns, der an etwas entlegener Stelle seines Werkes bemerkt:

„Aber Gedichte sind, ich möchte sagen keine private, vielmehr eine universale Sache. Für jedes neue Gedicht braucht man eine neue Orientierung, jedes neue Gedicht ist eine neue Balance zwischen dem inneren Sein des Autors und dem äußeren, dem historischen, dem sich mit dem Heute umwölkenden Geschehen.“[1]

Historisches – das betrifft im Blick auf das frühe Werk Benns seine medizinische Lyrik und die wissenschaftskritischen Aspekte auf dem Hintergrund medizingeschichtlicher Entwicklungen, die der Interpret zu erhellen hat. Aber personale Bezüge im lebensgeschichtlichen Sinn fehlen nicht gänzlich. Formelhafte Wendungen, wie sie im Beerdigungsritual vorkommen – „Ruhe sanft, / kleine Aster!“ –, lassen an das Pfarrhaus der eigenen Kindheit und an Gegensätze zum väterlichen Weltbild denken. Im Bereich dessen, was wir gemeinhin Liebeslyrik nennen, haben lebensgeschichtliche Bezüge im allgemeinen ein anderes Gewicht als zum Beispiel in sogenannter Gedankenlyrik. Die Textanalyse, die im Verständnis von Goethes Trilogie der Leidenschaft die Begegnung mit der jungen Ulrike von Levetzow in Marienbad aus Furcht vor dem Verdikt des Biographismus ausspart, liefe auf eine Verarmung der Lebensfülle hinaus, die es zu vermitteln gilt. Die Lyrik des West-östlichen Divan ist nicht auf die Begegnungen mit Marianne von Willemer in Heidelberg oder auf der Gerbermühle bei Frankfurt zu reduzieren. Aber jede Deutung dieses Dichtwerkes bliebe unbefriedigend, wollte man über diese Begegnungen und den Briefwechsel hinweggehen, der sich damit verbindet. Auch lebensgeschichtliche Bezüge gehören zum historischen Kontext und sind nicht im vorhinein als Biographismus abzutun. Sie sind nicht Beiwerk, das man vergessen kann, wenn die Textanalyse beginnt. Wünschenswert ist es weit mehr, daß Kontextbezüge als Hintergrundwissen nicht im Hintergrund bleiben, sondern den Vorgang der Analyse begleiten.

Für das 1818 entstandene Gedicht Um Mitternacht sind lebensgeschichtliche Bezüge auf Goethes Verhältnis zu Charlotte von Stein geltend gemacht worden. Walter Hof hat dies in mehreren seiner Veröffentlichungen getan.[2] Er hat über die wiederkehrenden Nordlicht-Motive hinaus die Gruppe der drei Gedichte, die mit der Zeitangabe „um Mitternacht“ beginnen, einschließlich des Gedichts Der Bräutigam, auf Charlotte von Stein bezogen oder „festgelegt“. Eine Wiederannäherung Goethes an Charlotte von Stein in der Zeit, in der die Druckfassung der Italienischen Reise hergestellt wurde, wird ausgemacht; und in der „endgültigen verstehenden Einordnung jener Jahre mit Charlotte“ habe auch das Gedicht Um Mitternacht seine Wurzeln.[3] Zweifellos wird hier der Bogen der Einordnung überspannt. Das Mitternachtsgedicht des Jahres 1818 wird zu einem Gedicht auf Charlotte von Stein im ganzen. Aber belanglos sind diese Bezüge keineswegs. Mondlyrik – „Füllest wieder Busch und Tal“ – gibt es seit der frühen Weimarer Zeit bis hin zu den Dornburger Gedichten.[4] Aber der wiederholt zu bemerkende Zusammenhang zwischen Charlotte von Stein und den Himmelserscheinungen des Nordlichts oder des Vollmonds in Gedichten oder Briefen fällt doch auf. Im Brief vom 12. Oktober 1780 wird das erste der Gedichte eingefügt, das mit der Zeitangabe „um Mitternacht“ beginnt:

„Um Mitternacht wenn die Menschen erst schlafen
Dann scheinet uns der Mond
Dann leuchtet uns der Stern“
(siehe den Beitrag von Reiner Wild, S. 100 ff.).

Am 9. Oktober 1781 wird das Briefgedicht an Charlotte von Stein übersandt, das mit den auf die Geliebte bezogenen Versen schließt:

„Sie leuchtet mir freundlich und treu
Wie durch des Nordlichts bewegliche Strahlen
Ewige Sterne schimmern“
(MA 2.1, S. 65).

Dem Nordlicht oder „Nordschein“ (V 8) hat Goethe seit seiner Jugend Bedeutung geschenkt, wie den frühen autobiographischen Aufzeichnungen Ephemerides zu entnehmen ist (MA 1.2, S. 524). Hinsichtlich des Nordlichts handelt es sich um eine Lichterscheinung der oberen Luftschichten, die in voller Pracht nur in den Polarländern zu sehen ist. Als Nordlicht heißt es ,aurora borealisʻ, als Südlicht ,aurora astralisʻ. Das erstere wird gelegentlich auch in Gegenden Mitteleuropas wahrgenommen, aber äußerst selten. Es bilden sich regenbogenartig gestreifte Gebilde; sie scheinen zu wandern und befinden sich in flackernder Bewegung. Die Dynamik dieser Himmelserscheinung steht im Kontrast zur Statik des Sternenlichts. Nordlichterscheinungen, und zwar solche der heftigsten Art, wurden nachweislich im September 1781 in Thüringen wahrgenommen. Einen denkbaren Zusammenhang zwischen diesen Erscheinungen und Gedichten Goethes wie An Lida und Um Mitternacht hat schon Karl Vietor in seinem Aufsatz über Goethes Altersgedichte hergestellt, der eine noch heute höchst lesenswerte Einführung in die späte Lyrik darstellt.[5] Ein Zusammenhang anderer Art, der das Gedicht Um Mitternacht in die Nähe Charlotte von Steins bringt, betrifft die Edition in der 1827 veranstalteten Ausgabe letzter Hand; und hier geht es um die Zeichensprache Goethes, der man wenig Beachtung geschenkt hat. Diese Zeichensprache ist eine sprachlose Sprache, eine solche mit versteckten Bezügen und Anspielungen. Gewiß nicht unüberlegt folgt Um Mitternacht einer Trilogie von Gedichten, die sich alle auf Charlotte von Stein beziehen. Das erste, unter der Überschrift „Für ewig“, enthält Verse, die zweifellos in der frühen Weimarer Zeit entstanden sind, als die Verbindung zu Charlotte noch weithin ungebrochen war, aber nunmehr, 1820, zuerst veröffentlicht werden (MA 2.1, S. 93). Das zweite Gedicht, das den Erinnerungen an Charlotte von Stein seine Entstehung verdankt, trägt die Überschrift Zwischen beiden Welten. Die Freundin der Weimarer Jahre, hier mit dem dichterischen Namen Lida angesprochen, und Shakespeare erscheinen in einer Art Huldigungsgedicht vereint; und was ihnen verdankt wird, wird unmißverständlich zum Ausdruck gebracht:

„Tag‘ und Jahre sind verschwunden,
Und doch ruht auf jenen Stunden,
Meines Wertes Vollgewinn“
(MA 13.1, S. 33).[6]

Das letzte dieser Gedichte, Aus einem Stammbuch von 1604, die Nachdichtung eines Shakespeare zugeschriebenen Stammbucheintrags, ist zweifellos, wie am Ort in der Ausgabe letzter Hand erkennbar, auch dem Andenken der Geliebten von einst gewidmet, von der es verhüllt und verschlüsselt spricht – ein Gedicht, das zugleich die klarste Nacht feiert (MA 11.1). Dieses zweite auf Shakespeare und verhüllt auf Charlotte von Stein zu beziehende Gedicht ist im März 1818 entstanden, einen Monat nach dem Gedicht Um Mitternacht, das auf diese Trilogie folgt. Auf diese Anordnung aufmerksam gemacht zu haben, deren zeichenhafte Bedeutung kaum zu unterschätzen ist, bleibt das Verdienst Walter Hofs. Dieser lebensgeschichtliche Bezug ist so unverkennbar, daß man die Erinnerungen an Charlotte von Stein, die sich damit verbinden, nicht auf sich beruhen lassen kann. Ein weiterer lebensgeschichtlicher Bezug, der das Mitternachtsgedicht des Jahres 1818 mit Charlotte von Stein in Verbindung bringt, kommt hinzu. Er ist so erstaunlich wie frappierend und bestätigt abermals die Zeichensprache in Goethes Alterskunst. Dem Brief mit Datum vom 16. Februar 1818, der die Übersendung des Mitternachtsgedichts an Zelter begleitet, fügt Goethe einen Brief an Charlotte von Stein bei, der am 18. April 1787 in Palermo geschrieben wurde – und bemerkt:

„Da ich so manches Liebe von Deiner eignen Hand empfange und dagegen wenig erwiedere, so sende Dir ein uralt Blättchen, das ich nicht verbrennen konnte, als ich alle Papiere, auf Neapel und Sicilien bezüglich, dem Feuer widmete“ (MA 20.1, S. 528).[7]

Der Brief wird nicht übersandt, um Zelters Autographensammlung zu bereichern, falls es eine solche gegeben hat. Es muß auch nicht angenommen werden, daß die Geliebte der frühen Weimarer Jahre Goethe nichts mehr bedeutet. Was er tut, indem er ein Briefzeugnis aus der Zeit der italienischen Reise dem Freund seines Alters zum Geschenk macht, erschließt sich nur in der zeichenhaften Bedeutung, die solchem Tun zukommt; und nicht zufällig wird ein Geschenk wie dieses dem Freund seiner späten Jahre gemacht.

Carl Friedrich Zelter ist die zweite ,Bezugsperson‘, die aus dem lebensgeschichtlichen Kontext des Gedichts kaum wegzudenken ist. Ihm wird erlaubt, das Gedicht, in Noten gesetzt, zuerst zu veröffentlichen. Das geschieht in der Neuen Liedersammlung von Carl Friedr. Zelter, die 1821 erscheint. Erst danach, ein Jahr später, gibt es Goethes eigene Publikation des von ihm sehr geliebten Gedichts in der Hauszeitschrift Über Kunst und Altertum wie im Stuttgarter Morgenblatt (MA 13.1, S. 518);[8] und ungewöhnlich, was die Freundschaft mit Zelter angeht, ist etwas Weiteres. Zu einer Diskussion über den ein Jahr zuvor erschienenen Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre nimmt Goethe mit freundlichen Worten Stellung. Das geschieht in dem Beitrag Geneigte Teilnahme an den Wanderjahren (MA 13.1, S. 516). Es geht ausschließlich um diesen Roman und einige damit zusammenhängende Probleme, vornehmlich solche der Pädagogik. Völlig unvermittelt wird dem Beitrag der Zusatz hinzugefügt: „Hier nun fühl’ ich unwiderstehlichen Trieb ein Lebenslied einzuschalten“ – kein anderes als das Gedicht Um Mitternacht, das im Wortlaut mitgeteilt wird. Der Hinweis, daß es von Zelter komponiert worden sei, wird nicht vergessen. Goethe nennt ihn, ungewöhnlich im Ausdruck, seinen „treuen Wirkens- und Strebensgefährten“ (MA 13.1, S. 518). Nicht genug damit, schließt sich eine Anzeige der Neuen Liedersammlung zu keinem anderen Zweck an als dem, eigens auf die Komposition des „Lebensliedes“ aufmerksam zu machen. Dem Ausdruck „Lebenslied“ entspricht der bekenntnishafte Ton in diesen Mitteilungen. „Man lasse mich bekennen“, wird da gesagt (MA 13.1, S. 518 f.); oder es heißt: „Da nun einmal für mich die Zeit freier Geständnisse herangekommen, so sei auch Folgendes gegenwärtig ausgesprochen“ (MA 13.1, S. 516). Auf die vielfach beteuerte Vorzugsstellung des Gedichts vor anderen – „eine meiner liebsten Produktionen“ (MA 13.1, S. 518) – ist hinzuweisen. Man hat Grund, über Zelters Anteil an Goethes Gedicht nachzudenken – nicht in der Weise, wie das für Marianne von Willemer zutrifft, die sich mit eigenen Gedichten am Zyklus des West-östlichen Divan beteiligt. Der Anteil Zelters ist anders beschaffen. Er wirkt mit seiner Person und seiner Anteilnahme an dem, was Goethe tut, in das Gedicht hinein. Er ist eine der Voraussetzungen des gelungenen Lebensliedes, eines gelungenen Lebens im hohen Alter.

Zum lebensgeschichtlichen Kontext gehört endlich der Tag des Gedichts, seine Entstehung. Besser spräche man wohl von seiner Fertigstellung oder von der die Entstehung abschließenden Niederschrift; denn die Annahme, daß Goethe Gedanken des Gedichts seit längerem durch den Kopf gegangen sind, ist nicht abwegig. Diese Niederschrift wurde in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1818 abgeschlossen. Es gibt keinen Grund zu bezweifeln, was hierüber in der Anzeige der Neuen Liedersammlung gesagt wird:

„Man lasse mich bekennen, daß ich, mit dem Schlag Mitternacht, im hellsten Vollmond aus guter, mäßig-aufgeregter, geistreich-anmutiger Gesellschaft zurückkehrend, das Gedicht aus dem Stegreif niederschrieb, ohne auch nur früher eine Ahnung davon gehabt zu haben.“ (MA 13.1, S. 518f.).

Es war nach Auskunft des Tagebuchs ein arbeitsreicher Tag, der mit einer Einladung zu dem kurz zuvor nach Jena berufenen Juristen Christian Gottlieb August Konopack endete. Zugegen war an diesem Abend neben dem Juristen Anton von Ziegesar, damals Oberappellationsgerichtspräsident in Jena, auch der von Goethe hochgeschätzte Karl Dietrich von Münchow, um diese Zeit noch Professor der Astronomie in Jena und Leiter der dortigen Sternwarte (WA III 6, S. 171). Man denkt an den Astronomen im Haus der Makarie, der Wilhelm Meister eines Abends mit dem gestirnten Himmel konfrontiert.[9] Schwer vorzustellen, daß an diesem Abend in Anwesenheit eines Astronomen und Direktors der Jenaer Sternwarte über Himmelserscheinungen nicht gesprochen worden ist! Das Unvorhergesehene des Gedichts – „ohne auch nur früher eine Ahnung davon gehabt zu haben“ – ist nicht mißzuverstehen. Es bezieht sich auf das unvermutete Gelingen, auf die spontane Konzeption in ebendieser Nacht. Goethe hat sie in den Annalen bekräftigt; hier heißt es: „Ein wundersamer Zustand bei hehrem Mondenschein brachte mir das Lied Um Mitternacht, welches mir desto lieber und werter ist, da ich nicht sagen könnte, woher es kam und wohin es wollte“ (MA 14, S. 268). Wenn man die Aussage so zu verstehen hat, daß das Gedicht aus dem Unbewußten gekommen sei, so muß nicht ausgeschlossen werden, daß im Gedächtnis zahlreiche Erinnerungen bereitlagen, die eine derart spontane Konzeption begünstigten. Aber auf den Akt der Herstellung des Gedichts ist dieses Unbewußte nicht zu beziehen. Dieser Akt ist im Gegenteil ein Akt höchster Bewußtheit, dem die Bewußtseinserhellung in Verbindung mit den Lichterscheinungen, von Stufe zu Stufe und von Strophe zu Strophe, entspricht.[10]

Im Sinne einer solchen Bewußtseinserhellung erinnert die erste Strophe an einen Zustand des naiven dumpfen Daseins, mit dem sich Angst und Erfahrungen des Unheimlichen verbinden, wie sie in den frühen Balladen gestaltet werden. Im Gegensatz hierzu die Geborgenheit des elterlichen Pfarrhauses! Sofern es eine solche Geborgenheit gibt, kann die Angst des Kindes vom Licht der Sternennacht überwölbt werden, kann es in fast redensartlichem Ton heißen: „Sie leuchteten doch alle gar zu schön“. Daß das lyrische Ich nicht unmittelbar spricht, sondern in der Rolle eines Pfarrkindes, ist nicht zu übersehen – verhüllte Autobiographik, die für das Gedicht im ganzen bezeichnend ist. Aber diese Fiktion kommt dem Gedicht in mehrfacher Hinsicht zugute. In paradoxer Weise wird gleich eingangs an die Nähe toter Menschen in diesem Lebensrückblick erinnert, obwohl das reale Leben auf den Tod hin verläuft, von dem man hätte annehmen können, daß seine Nähe der dritten Strophe vorbehalten worden wäre. Zugleich erleichtert diese Fiktion eine Reminiszenz an Literatur, die Goethe stets gegenwärtig geblieben war und auf die er in Dichtung und Wahrheit zu sprechen kommt. Die Zeit der eigenen Kindheit ist die Zeit der englischen Kirchhofspoesie. Der bekanntere dieser Texte, Thomas Grays Elegy written in a country-churchyard, war 1751 erschienen. Goethe ist dieser traurigen Poesie offensichtlich nicht sehr gewogen. Im dreizehnten Buch seiner Autobiographie äußert er sich über sie in einem fast an Satire grenzenden Ton:

„Selbst ihre zärtlichen Gedichte beschäftigen sich mit traurigen Gegenständen. Hier stirbt ein verlassenes Mädchen, dort ertrinkt ein getreuer Liebhaber, oder wird, ehe er voreilig schwimmend seine Geliebte erreicht, von einem Haifische gefressen“.

Es folgen die Ausführungen über Grays Dorfkirchhofe und „jene bekannten Melodieen“, die Melancholie verbreiten (MA 16, S. 615). Noch am meisten geschätzt unter diesen Poesien sind Youngs Nachtgedanken (MA 16, S. 614). Wenn Goethe am 20. September 1781 ein Briefgedicht mit der Überschrift Nachtgedanken an Charlotte von Stein übersendet, so ist die Anspielung unverkennbar, aber der Gegensinn zu Edward Youngs düsterer Poesie nicht minder (MA 2.1, S. 64). Um Sterne, um weiten Himmel und um Mitternacht geht es auch hier, und im Kommentar der Münchner Ausgabe, in dem Band Erstes Weimarer Jahrzehnt 1775-1786, hat sein Herausgeber, Hartmut Reinhardt, mit Beziehung auf Charlotte von Stein vielsagend vermerkt: „(lebhaft an der ,Sternkunde‘ interessiert!)“ (MA 2.1, S. 584). Solches Interesse, vielleicht am wenigsten an der Wissenschaft der Astronomie, ist weit verbreitet, um nur an Hölderlins Kritik an den bloß messenden und zählenden Astronomen in der Ode Dichterberuf zu erinnern.[11] Aber schon in der ersten Strophe unseres Gedichts und erst recht in den folgenden fordert die Sprachform unsere Aufmerksamkeit, und kaum einem der Interpreten sind ihre Eigenwilligkeiten entgangen. Der „Wenn“-Satz werde nicht deutlich zu Ende geführt, und der „Bis“-Satz habe keine grammatische Vorstufe; so Erich Trunz im Kommentar der Hamburger Ausgabe (HA I, S. 747); der Satzbau sei zweideutig, und die Syntax komme ins Wanken, bemerkt Max Kornmerel1;[12] der geschlossene Raum der ersten Strophe werde in den folgenden erweitert und „syntaktisch dynamisiert“, stellt Victor Lange in seiner schon genannten Deutung des Gedichts fest.[13] Meinerseits füge ich hinzu: Die Stilform der Parataxe, die sich der Syntax nicht mehr durchweg fügt, prägt die Struktur des Ganzen. Das zeigt sich in der ersten Strophe an dem sich wiederholenden Adjektiv ,kleinʻ und in den folgenden Strophen an der mit Absicht mangelhaften Verknüpfung untereinander. Wie in der Ballade gibt es Sprünge; Situationen des Lebens werden in lockerer Folge und ohne strenge Gedankenverbindung vergegenwärtigt.

Mit der zweiten Strophe wird der Raum in die Ferne und ins Weite hin geöffnet. Aber wie die erste bleibt auch sie von Gegensatz und Widerstreit bestimmt, ehe von Seligkeiten gesprochen wird. Von diesem Gegeneinander sind auch die Himmelserscheinungen betroffen. Das eine spiegelt sich im andern: Dem Streit zwischen Gestirn und Nordschein entspricht in der Erinnerung an die Liebste die Unentschiedenheit zwischen Gehen und Kommen und eine Erfahrung des Wissens dort, wo Wollen sein sollte. Die Naturbilder der Lichterscheinung sind nicht mehr wie im Lied An den Mond subjektiv-gefühlshaft getönt; sie sind naturwissenschaftlicher Erläuterung zugänglich wie schon in dem 1781 entstandenen Gedicht An Lida, das sich in Erinnerung bringt. Im Briefwechsel des Jahres 1781 befinden sich die Himmelserscheinungen nicht im Widerstreit zueinander: das Bewegliche wird vom Ewigen überhöht (MA 2.1, S. 65); und an den Lichterscheinungen muß Widerstreit nicht gezeigt werden, weil die Verhältnisse noch weithin ungetrübt sind – im Himmel wie auf Erden. Das ist jetzt, aus der Sicht des Jahres 1818, nicht mehr der Fall. Die Zeit der italienischen Reise ist zur Zeitwende geworden; seitdem sind die Erinnerungen nicht mehr ungetrübt. Goethe spricht im Hinblick auf diese Zeit (der italienischen Reise) von einem Wendepunkt und gebraucht das Wort in dem Schreiben an Zelter, das mit dem Gedicht Um Mitternacht auch das Geschenk des Briefes an Charlotte von Stein enthält.[14] Dieser Brief liest sich wie ein Wink zu besserem Verständnis der zweiten Strophe unseres Gedichts. Hier wie dort die Lichterscheinungen und die Seligkeiten, aber das Widerstreitende doch auch. Der Passus, der zu solchen Vergleichen anregt, ist dieser:

„Leb wohl Geliebteste mein Herz ist bey dir und jetzt da die Weite Ferne, die Abwesenheit alles gleichsam weggeläutert hat was die letzte Zeit über zwischen uns stockte so brennt und leuchtet die schöne Flamme der Liebe der Treue, des Andenckens wieder fröhlich in meinem Herzen“ (WA IV 8, S. 212).

Aber die Anklänge bleiben auf die zweite Strophe beschränkt. Sie lassen es nicht zu, daß wir von einem Gedicht zum Andenken an Charlotte von Stein sprechen. Dagegen spricht ebenso die erste wie erst recht die dritte Strophe, in der es um Bewußtseinserhellung auf einer ganz anderen Lebensstufe geht.

Der mit der zweiten Strophe auf die Weite des Lebens hin geöffnete Raum erhält nunmehr eine andere Dimension. Das wird auch in der Syntax zum Ausdruck gebracht: Die dritte Strophe steht unverbunden zur zweiten und losgelöst von ihr; die Sprachbewegung, die dort mit dem ersten Vers eingeleitet worden war, wird nicht fortgesetzt. Der zum Leben hin geöffnete Raum der zweiten Strophe wird nunmehr zur Überschau über das Leben im ganzen. Dafür stehen in anderen Gedichten wie in den Versen des Lynkeus der Turm, die Schloßwarte oder ein anderer Ort zwischen Himmel und Erde. Auch die 1826 durch bildliche Darstellungen angeregten Verse Schwebender Genius über der Erdkugel sind Lyrik der Überschau (MA 13.1, S. 132). Im Gedicht Um Mitternacht ordnen sich die vorausgehenden Strophen der letzten unter. Die erste wie die zweite Strophe sind auf die dritte hin komponiert, sind Krönung und Höhepunkt zugleich.[15] In ihr kommt die Zeit zum Stillstand. Hier wird Simultaneität in dichterischer Form artikuliert. Das Wort, das die Zeitenverbindung bewirkt, ist das der Liebessprache zuzuordnende Verbum ,umschlingenʻ. Die Zeiterfahrung „Vergangenheit und Gegenwart in Eins“ als eine solche der Simultaneität hat Goethe, vor allem in seinem Spätwerk, vielfach zum Ausdruck gebracht; so in Dichtung und Wahrheit, wenn es dort heißt: „Ein Gefühl aber, das bei mir gewaltig überhand nahm, und sich nicht wundersam genug äußern konnte, war die Empfindung der Vergangenheit und Gegenwart in Eins“ (MA 16, S. 662 f.). Äußerungen dieser Art gibt es im Spätwerk wiederholt. In den Wanderjahren werden wir daran erinnert, „daß Vergangenheit auch in die Gegenwart übergehen könne“ (MA 17, S. 376). Im Gegenwärtigen Vergangenes heißt ein bekanntes Gedicht des West-östlichen Divan (AA 3, S. 295). Friedrich Meinecke, der Historiker des deutschen Historismus, hat „die Empfindung der Vergangenheit und Gegenwart in Eins“ das „inhaltreichste Wort“ für die Erkenntnis von Goethes historischem Sinn genannt.[16] Aber nicht nur um Vergangenheit und Gegenwart in Eins geht es in Goethes historischem Sinn: der Gedanke schlingt sich „ums Vergangene wie ums Künftige“, und der Denkform des Historismus fehlt die Dimension der Zukunft weithin.[17] Daß Erinnerung nicht ohne Zukunft sein soll, betont Goethe auch sonst; wie im Gespräch mit dem Kanzler von Müller: „Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet“ (GA 23, S. 315). Doch nicht nur in diesem Punkt entfernt sich Goethes Geschichtsdenken von den Denkformen des deutschen Historismus; denn der Vorgang der Bewußtseinserhellung, den das Gedicht gestaltet, zielt nicht nur auf Zeitbewußtsein und Stillstand der Zeit, sondern auf einen Zustand gesteigerten Glücksgefühls, wie es die ersten Verse der dritten Strophe zum Ausdruck bringen:

„Bis dann zuletzt des vollen Mondes Helle
So klar und deutlich mir ins Finstere drang“.

Dieser Zustand ist im Gegensatz zu den vorausgegangenen Strophen von Widerstreit und Leidenschaft frei. Er ist auch nicht so sehr historisch und geschichtswissenschaftlich, sondern weit mehr anthropologisch zu interpretieren, weil die erreichte Zeitstufe mit einer Lebensstufe besonderer Art einhergeht: mit derjenigen des hohen Lebensalters. Eine solche Altersstufe ist hier als eine anthropologische Gegebenheit die Voraussetzung lyrischen Sprechens. Erst mit der Länge der Lebenszeit ist Lebenshöhe erreichbar, von der aus der Überblick über das Leben als ein Ganzes möglich wird. Aber hohes Alter als abnehmende Lebenszeit, als Verfall zum Tode hin, war als ein literaturwürdiger Zustand bis dahin nicht geschätzt. Goethe seinerseits hat alles getan, um Änderungen zu bewirken. Die Umwertung, um die es geht, ist in hohem Maße ihm zu verdanken. Er hat auch zur gedanklichen Klärung im Hinblick auf die Lebensalter das Seine beigetragen. Es war ihm darum zu tun, eine zumal in der Literatur zurückgesetzte Lebensphase von den Voraussetzungen seines humanen Denkens zu rechtfertigen. Das geschieht wiederholt in dem Textcorpus, das man Maximen und Reflexionen nennt. In einem dieser Texte heißt es: „Die schwer zu lösende Aufgabe strebender Menschen ist die Verdienste älterer Mitlebenden anzuerkennen und sich von ihren Mängeln nicht hindern zu lassen“ (MA 17, S. 870, Nr. 862); oder an anderer Stelle derselben Textsammlung: „Der Alte verliert eins der größten Menschenrechte, er wird nicht mehr von seines Gleichen beurteilt“ (MA 17, S. 783, Nr. 371). Die Rechtfertigung des hohen Alters ist bis in Goethes letzte Lebenszeit zu verfolgen. An den Sohn des Arztes und Physikers Thomas Johann Seebeck schreibt er am 3. Januar 1832: „Und so bleibt denn im höchsten Alter uns die Pflicht noch übrig, das Menschliche, das uns nie verläßt, wenigstens in seinen Eigenheiten anzuerkennen und uns durch Reflexion über die Mängel zu beruhigen“ (WA IV 49, S. 191). Aber die nur gedankliche Rechtfertigung kann nicht genügen; sie muß auch ästhetisch überzeugen. Das geschieht in Goethes Alterskunst dadurch, daß die Weite des Blickfeldes, die Standorte der Überschau zwischen Oben und Unten, zwischen Sternenhimmel und Erdenwelt, daß Turm, Sternwarte oder Schloßwarte zu dichterischen Bildern werden, die als Raumsymbole immer auch Zeitliches symbolisieren. Die Entwicklung zur Lebenshöhe hin, die in ein Glück einmündet wie im Weg Wilhelm Meisters, kann weithin in biologisch-morphologischen Bildern verdeutlicht werden. Für die absteigende Linie zum Lebensende hin sind sie nicht zu gebrauchen. Alles kommt nunmehr auf Lebenslinien an, die der biologischen Entwicklung nicht entsprechen und in ein Glück anderer Art einmünden – in eine Lebensbejahung, die in dem Vers des Gedichtes Der Bräutigam ihren gültigen Ausdruck gefunden hat: „Wie es auch sei, das Leben, es ist gut.“ Die Ästhetik dieser Daseinsbejahung – sie ist der Grundtenor in Goethes Alterskunst – gibt sich gelegentlich „mohammedanisch“, dem Geist des West-östlichen Divan gemäß.

„Diese Mohamedanische Religion, Mythologie, Sitte geben Raum einer Poesie wie sie meinen Jahren ziemt. Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Überblick des beweglichen, immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erde-Treibens, Liebe, Neigung zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale geläutert, sich symbolisch auflösend“ (MA 20.1, S. 601).

So steht es in einem Brief an Zelter vom 11. Mai 1820; und es ist alles andere als Zufall, daß Sätze wie diese an den Freund der späten Jahre gerichtet sind. Zelter ist maßgeblich an der ästhetischen Rechtfertigung des hohen Lebensalters beteiligt. Er ist nicht nur aus dem lebensgeschichtlichen Kontext des Gedichts Um Mitternacht, sondern mehr noch aus Goethes Alterskunst im ganzen nicht wegzudenken.

Daß Goethe in der brieflichen Partnerschaft mit Zelter nicht nur der Gebende war, geht deutlich aus seiner Anzeige der Neuen Liedersammlung hervor, in der das Gedicht Um Mitternacht in der Vertonung Zelters zuerst erschien. Von diesen Vertonungen wird empfehlend gesagt: „Sie zeigen von der Wechselwirkung zweier Freunde, die seit mehreren Jahren einander kein Rätsel sind; daher es denn dem Komponisten natürlich ward sich mit dem Dichter zu identifizieren“. Sein Inneres sei auf diese Weise aufgefrischt und belebt worden (MA 13.1, S. 519). Todesnähe wird in den Briefen dieser Altersfreundschaft keineswegs verdrängt, zumal beide vom Tod nächster Angehöriger heimgesucht werden.[18] Über alle Mühsal späten Lebens wird für Goethe durch das tätige Fortwirken des Freundes belebt; und so sind es immer wieder Reflexionen über das Alter, die Zelter und meistens nur ihm mitgeteilt werden. Die erneute Lektüre der Schrift De senectute von Cicero ist ein gutes Beispiel solcher Interessen. Goethe führt an, was sein Verfasser dem Alter hoch anrechnet und nennt: „die Würde, die Achtung, die Verehrung, die man ihm, nach anständig vollbrachter Lebenszeit erweist“. Schließlich fügt er im Zitat hinzu, was gewiß ganz in seinem Sinn gesagt ist: „,ich lerne immerfort nur daran merke ich daß ich älter werdeʻ“ (MA 20.2, S. 1546 f.). Im Begleitbrief, mit dem das Gedicht Um Mitternacht mit Datum vom 16. Februar 1818 an Zelter übersandt wird, lesen wir den nicht leicht zu deutenden Satz: „Daher nur einige Stoßgebete, als Zweige meines Paradieses“ (MA 20.1, S. 528). Was immer das heißen mag – die Zweige seines Paradieses deuten auf ein Glücksgefühl besonderer Art hin, auf ein Arkadien, wie es Zelter im Antwortbrief benennt (MA 20.1, S. 528). Es ist klar, daß ein solches aus dem Zeitbewußtsein in Glücksgefühl überführtes Denken, wie es im Brief vom 29. April 1830 zum Ausdruck gebracht wird, nur ihm, dem gleichfalls alterserfahrenen Freund, mitgeteilt werden kann:

„Und dann darf ich Dir wohl ins Ohr sagen: ich erfahre das Glück, daß mir in meinem hohen Alter Gedanken aufgehen, welche zu verfolgen und in Ausübung zu bringen eine Wiederholung des Lebens gar wohl Wert wäre“ (MA 20.2, S. 1351 f.).

 

Hinweise der Redaktion

Erstdruck Walter Müller-Seidel: Um Mitternacht ging ich … –. Zeitbewußtsein und Alterskunst. In: Gerhard Sauder (Hg.): Goethe-Gedichte. Zweiunddreißig Interpretationen. Karl Richter zum 60. Geburtstag. München: Carl Hanser Verlag 1996, S. 298-308.

Die erneute Veröffentlichung zum Gedenken an Walter Müller-Seidels 100. Geburtstag im Juli 2018 (siehe literaturkritik.de 7/2018) gehört zu der Reihe „Lyrik aus aller Welt. Interpretationen, Kommentare, Übersetzungen“. Herausgegeben von Thomas Anz und Dieter Lamping.

Der Aufsatz ist Teil einer Reihe von Beiträgen, die Müller-Seidel seit 1958 über Alterskunst veröffentlicht hat:

Goethes Gedicht „Der Bräutigam“. Ein Beitrag zur Form seiner Alterslyrik. In: Goethe. Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft, Bd. 20. Hg. v. Andreas B. Wachsmuth. Weimar 1958, S. 6-27.

Goethe und das Problem seiner Alterslyrik. In: Klaus Lazarowicz (Hg.): Unterscheidung und Bewahrung. Festschrift für Hermann Kunisch. Berlin 1961, S. 259-76.

Spätwerk und Alterskunst. Zum Ort Fontanes an der Schwelle zur Moderne. In: Evangelische Akademie Baden (Hg.): „Was hat nicht alles Platz in eines Menschen Herzen …“ Theodor Fontane und seine Zeit. Karlsruhe 1993, S. 120-151.

Alterskunst. Fontanes autobiographischer Roman „Meine Kinderjahre“ an der Epochenschwelle zur Moderne. In: Monika Hahn (Hg.): „Spielende Vertiefung ins Menschliche“. Festschrift für Ingrid Mittenzwei. Heidelberg 2002, S. 235-262.

T.A.

Siglen und Abkürzungen:

MA (Münchner Ausgabe)
Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. 21 Bde. (in 33). Hg. von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauder und Edith Zehm. München: Carl Hanser Verlag 1985-1998.

HA (Hamburger Ausgabe)
Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1982.

WA (Weimarer Ausgabe)
Goethes Werke. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 143 Bde. Weimar 1887-1919. Nachdruck München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1987. Bd. 144-146: Nachträge und Register zur IV. Abt.: Briefe. Hg. von Paul Raabe. Bde. 1-3. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1990.

AA (Akademie-Ausgabe)
Goethe. West-östlicher Divan. Bd. 3: Paralipomena. Bearbeitet von Ernst Grumach. Berlin 1952

GA (Gedenk-Ausgabe)
Johann Wolfgang Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hg. von Ernst Beutler. Bd. 23. Zürich 1949.

Beitrag von Reiner Wild
Die Liebe ein Traum: Um Mitternacht wenn die Menschen erst schlafen. In: Gerhard Sauder (Hg.): Goethe-Gedichte. Zweiunddreißig Interpretationen. Karl Richter zum 60. Geburtstag. München: Carl Hanser Verlag 1996, S. 100-106.

Anmerkungen

[1] Monologische Kunst ? Ein Briefwechsel zwischen Alexander Lernet-Holenia und Gottfried Benn. Wiesbaden 1953, S.21.

[2] Zuerst in dem Aufsatz: „Um Mitternacht“. Goethe und Charlotte von Stein im Alter. In: Euphorion 45 (1950), S. 50-82; später in dem Buch: Wo sich der Weg im Kreise schließt. Goethe und Charlotte von Stein. Stuttgart 1957.

[3] Hof (Anm. 2; Euph.), S. 64.

[4] Über diesen Motivzusammenhang handelt Wolfgang Schadewaldt in einem Aufsatz, der mit Erläuterungen zum Mitternachtsgedicht des Jahres 1818 beginnt: Mond und Sterne in Goethes Lyrik. Ein Beitrag zu Goethes erlebtem Platonismus. In: Goethe und die Tradition, hrsg. von Hans Reiss. Frankfurt am Main 1972, S. 58-83.

[5] Vorsichtig heißt es in seinem Aufsatz, und nicht zufällig in den Anmerkungen: „In der zweiten Septemberhälfte des Jahres 1781 war die aurora borealis in den Thüringer Gegenden mehrfach aufgetreten.“ Zuerst veröffentlicht in: Euphorion 33 (1932), hier zitiert nach dem Buch des Verfassers: Geist und Form. Aufsätze zur deutschen Literaturgeschichte. Bern 1952, S. 325. Auf einen Aufsatz von Karl Goedeke wird in diesem Zusammenhang verwiesen: Zu Goethes Gleichnissen. In: Archiv für Litteraturgeschichte 7 (1878), S. 93.

[6] Daß die ersten Verse des Gedichts Zwischen beiden Welten der „Zeit der Liebe zu Frau von Stein entstammen“ könnten, „die letzten drei Verse (…) wahrscheinlich kurz vor dem Druck“ entstanden sind, wird von den Herausgeberinnen des Bandes Die Jahre 1820-1826 der Münchner Ausgabe erwogen (MA 13.1, S. 630).

[7] Frau Dr. Edith Zehm macht mich dankenswerterweise darauf aufmerksam, daß der erste Teil des Briefes möglicherweise eine Woche früher geschrieben wurde; aber mit Sicherheit sei anzunehmen, daß der auf Charlotte von Stein zu beziehende Passus am 16.2.1818 geschrieben worden ist – nach Fertigstellung des Gedichts.

[8] Hierzu die Erläuterung von Erich Trunz (HA I, S. 746).

[9] Hierzu Hans Dietrich Irmscher: Wilhelm Meister auf der Sternwarte. In: Goethe-Jahrbuch 110 (1993). S. 275-296.

[10] Der Begriff „Erhellung des Bewusstseins“ bei Victor Lange: Herkommen und Erneuerung. Goethes „Um Mitternacht“. Jetzt in: Ders.: Bilder – Ideen – Begriffe. Goethe-Studien. Würzburg 1991, S. 145. Der Bewußtseinsvorgang wird in dieser Textanalyse vorzüglich herausgearbeitet, und kein Interpret hat das Recht, hinter diesen Erkenntnisstand zurückzugehen. Auch Erich Trunz betont den hohen Bewußtseinsgrad: „Von Strophe zu Strophe hat es mehr Helligkeit gegeben“ (HA I, S. 747).

[11] Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe, hrsg. von Friedrich Beißner. Stuttgart 1952, Bd. 11, S.47.

[12] Max Kommerell: Gedanken über Gedichte. Frankfurt am Main 1943, S. 132- 134.

[13] Lange (Anm. 10; Bilder),S. 144.

[14] „Es ist ein so hübsches Wort auf dem Wendepunkt des ganzen Abenteuers, und gibt einen Dämmerschein rückwärts und vorwärts. (MA 20.1, S. 528).

[15] So auch in der umsichtigen Interpretation von Eva Bosshardt: Goethes späte Landschaftslyrik. Diss. Zürich 1962, S. 213: „Um Mitternacht – drei Stufen: drei Stufen auf ein Zentrum hin.“

[16] Darauf macht Werner Keller mit weiteren Hinweisen auf dieses Zeitmotiv aufmerksnm, in dem er die von Meinecke vertretenen Auffassungen einschränkt: Goethes dichterische Bildlichkeit. Eine Grundlegung. München 1972, S. 133. Die zitierte Stelle bei Friedrich Meinecke Die Entstehung des Historismus. München/Berlin 1906. Bd. 2, S. 502.

[17] Hierzu Walter Schulz: Philosophie in der veränderten Welt. Darmstadt 1972,S. 546: „Freiheit von der Geschichte gibt es nur durch Freiheit zur Geschichte, in der ich – im Blick auf den möglichen und notwendigen Trend zur Zukunft hin – das Vergangene reflektierend durchdringe.“

[18] Hierzu Bettina Hey‘l: Der Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Lebenskunst und literarisches Projekt. Tübingen 1996, besonders S. 126 f.