Annäherungen

Armin Burkhardt und Thorsten Unger versammeln in dem Band „Der Erste Weltkrieg“ Beiträge zu interdisziplinären Fragestellungen

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Armin Burckhardt und Thorsten Unger von der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg versammeln in ihrem Band Der Erste Weltkrieg Aufsätze aus verschiedenen Fachbereichen, die aus ihrer jeweiligen Perspektive interdisziplinäre Annäherungen – so der Untertitel des Bandes – an den Ersten Weltkrieg leisten sollen. Der Band enthält drei Beiträge zu „Philosophie, Sprache, Recht“; ebenfalls drei Beiträge erörtern „historische Spezialfragen“; fünf Beiträge liefern „Studien zur Literatur“ und ein Beitrag erläutert „mediale Adaptionen“.

Alle Beiträge sind durchweg gut lesbar und vermögen unterschiedliche  Einstiege ins Thema zu verschaffen. Damit ist aber auch zugleich ein Manko des vorliegenden Bandes benannt. Wer sich – auch als Laie – für den Ersten Weltkrieg interessiert, wird in keinem der Beiträge etwas grundlegend Neues oder Ungewöhnliches entdecken können.

Im Bereich „Philosophie, Sprache, Recht“ bestätigen beispielsweise Burkhardt und Manuela Retschke in ihrem Beitrag zur Kriegsberichterstattung und Kriegsrhetorik 1914ff. die propagandistische Funktion der Kriegsberichterstattung, die zum einen dazu diente, den Gegner zu diffamieren und zum anderen darauf zielte, eigene Taten zu heroisieren. So wie es beispielsweise auf deutscher Seite die Deutsche Kriegszeitung tat – eine vom Berliner Lokal-Anzeiger herausgegebene illustrierte Wochenzeitung, die von August 1914 bis Dezember 1918 erschien. Ein Beispiel für die englische Variante dieser Art von Propaganda ist der Bryce-Report des britischen War Propaganda Bureaus, der darauf zielte, eine antideutsche Stimmung zu erzielen, indem er die angeblichen deutschen Gräueltaten in Belgien „dokumentierte“. Peter Simons liefert einen Überblick über die philosopischen Schulen und ihre maßgeblichen Vertreter an den Universitäten des Reiches und der am Krieg beteiligten Länder. Die von ihm selbst aufgeworfene Frage, „was hätte werden können“, wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre, bleibt unbeantwortet. Thomas Hennes Beitrag zum Recht im Umbruch 1914–1919 kommt zu dem Schluss, dass der Krieg „im Bereich des Rechts wenig zerstört, sondern vor allem viel Neues erzeugt und Altes umcodiert“ habe.

Im Bereich „Historische Spezialfragen“ beschäftigt sich Michael Thomas mit den deutschen Turn- und Sportvereinen an der „Heimatfront“. Bemerkenswert ist, dass die bis 1914 von der deutschen Turnbewegung sowie der bürgerlichen Sportbewegung ablehnend betrachtete Arbeitersportbewegung im Zuge der „Burgfriedenspolitik“ zur Herstellung der nationalen Einheit nun Akzeptanz fand. Thomas führt aus, dass der Sport im Ersten Weltkrieg ein „wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens“ war – als „ein Element der Freizeitgestaltung, ein effektives Massenunterhaltungsmittel und ein bedeutender Faktor der Wehrerziehung.“ Zwei weitere Beiträge ergänzen den Themenbereich: Markus Pöhlmann gibt in seinem Beitrag über „Militär und Technik im gesamtgesellschaftlichen Krieg von 1914 – 1918“ einen interessanten Einblick in das Wechselverhältnis von Technik und Krieg, während Klaus Pohlmann in seinem Beitrag „Friedrich Meinecke und der Erste Weltkrieg“ den Historiker, der im Vergleich zu vielen seiner zeitgenössischen Kollegen aus heutiger Sicht eine vergleichweise nüchterne Haltung zum Krieg einnahm, eben auch deshalb wohlmeinend würdigt.

Im Bereich „Studien zur Literatur“ liefert Gudrun Hoes einiges zur russischen Literatur und ihrer Beschäftigung mit dem Krieg und seinen Auswirkungen. Das rote Lachen von Leonid Andrejew (1871–1919) dient ihr als anschauliches Beispiel für das Motiv der verschiedenen Gestalten des Todes im Krieg. Burkhardt analysiert Heinrich Manns Untertan als „Dokument der politischen Sprache der Vorkriegszeit“ und begründet aus dieser sehr spezifischen Sicht, wie bedeutsam der Roman war, und – wie man hinzufügen möchte – auch heute noch ist, wenn man bedenkt, wie ähnlich aktuelle rechtspopulistische Kommunikation funktioniert. Unger informiert in seinem Beitrag Kriegstagebücher, Feldbüchereien und Tarnschriften über „den Reclam-Verlag im Ersten Weltkrieg“. Mit den Kriegstagebüchern stellte man sich in den propagandistischen Dienst der Heeresleitung, während die Feldbüchereien tatsächlich eine bildende Funktion haben sollten – als ‚handliche‘ Sammlung ausgewählter Literatur für den Soldaten an der Front. Obwohl das aus heutiger Sicht ein kurios anmutendes Verständnis zum Ausdruck bringt: mit Johann Wolfgang von Goethe guten Gewissens „jeder Stoß, ein Franzos“ – dessen literarische Vertreter, die vor 1914 in der Universal-Bibliothek sehr präsent waren, hier nun fehlen. Wie bekannt die Reclam-Aktivitäten aber auch den Kriegsgegnern waren, zeigen Tarnschriften, wie die kriegskritische Schrift Zwei Fragen, mit denen die Alliierten die deutschen Soldaten beeinflussen wollten. Wolfgang Ranke liefert eine kluge Interpretation der unterschiedlichen literarischen Verarbeitung des Kriegserlebnisses am Beispiel Ernst Jüngers, dessen In Stahlgewittern einer  heroischen Idealisierung des Kriegsgeschehens Vorschub leistet, und Erich Maria Remarque, der mit dem Roman Im Westen nichts Neues die grausame Alltäglichkeit des Krieges thematisiert. Susanne Peters Beitrag Spare neither horse nor rider! über „Tiere im Ersten Weltkrieg“ rundet den Themenbereich ab.

Der umfangreichste Beitrag des Bandes von Johannes Fromme und Ralf Biermann, Der Erste Weltkrieg im Computerspiel, ist zugleich der einzige Beitrag zum abschließenden Themenbereich „Mediale Adaptionen“. Die beiden Autoren nehmen verschiedene Computerspiele zum Ersten Weltkrieg in den Blick und würdigen „neue Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten“, die die digitalen Medien für die Nutzerinnen und Nutzer eröffnen können. Auf diese Weise können „auch komplexe Lern- und Bildungsprozesse angeregt werden.“

Titelbild

Thorsten Unger / Armin Burkhardt (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Interdisziplinäre Annäherungen.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2018.
302 Seiten, 29,50 EUR.
ISBN-13: 9783865256300

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