Die Erzählung eines Lebens in 20 Neuinterpretationen
María Hesse legt eine illustrierte Biografie über Frida Kahlo vor
Von Anja Beisiegel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAn Büchern über Leben und Werk Frida Kahlos besteht gewiss kein Mangel. Die biografischen Koordinaten sind bekannt: Ihr tragischer Unfall mit 18, ihre unglückliche Liebe zu dem 20 Jahre älteren Diego Rivera. Schmerzen, Fehlgeburten und ein früher Tod mit nur 47 Jahren. Frida Kahlo bringt es auf den Punkt: „Ich hatte zwei schwere Unfälle im Leben, beim ersten hat ein Autobus mich von den Füßen geholt… Der andere Unfall ist Diego.“ Ihre Bilder sind bunt, prall, oft voller Leben und – häufiger – voller Schmerz. Leben und Kunst Frida Kahlos sind unlösbar miteinander verschränkt, ihre vielen Selbstbildnisse lesen sich wie autobiografische Aufzeichnungen. Zur Decodierung ihrer Bildsprache wurde bereits viel Kluges geschrieben.
Warum also noch ein Buch über die große mexikanische Künstlerin? Im Fall von María Hesses reich illustrierter und aufwendig gestalteter Biografie fällt die Antwort auf diese Frage leicht: Weil es einfach Freude macht, dieses Buch zu lesen und zu betrachten. María Hesse, geboren 1982 in Andalusien, ist nämlich weder Kunstwissenschaftlerin noch Historikerin, sondern Illustratorin. Ihr Zugang zu Frida Kahlo ist kein wissenschaftlich-distanzierter, sondern ein mutiger, künstlerischer.
Hesse geht das Wagnis ein, Frida Kahlos Bilder in ihre eigene, sehr individuelle Grafik zu übersetzen. Entlang von 20 bekannten und weniger bekannten Gemälden entwickelt sie Kahlos Biografie. Dabei lässt sie Magdalena Carmen Frida Kahlo Calderón auf zweifache Weise selbst zu Wort kommen: Hesse erzählt Kahlos Leben zum einen aus der Ich-Perspektive der Künstlerin, zum anderen montiert sie in diese fiktive Autobiografie Zitate aus Kahlos eigenen Aufzeichnungen, die sich typografisch geschickt in die Bild-Textgestaltung einschmiegen.
Da sich Hesse gar nicht erst in das Korsett wissenschaftlicher Korrektheit begibt, kommt ihr Buch sehr leichtfüßig daher. So wie sich der Sound der fiktiven Frida Kahlo mit deren echten Tagebucheinträgen vermischt (tatsächlich dient Kahlos Gemaltes Tagebuch als eine der wichtigen Quellen des Buches), so gehen auch Hesses Gemäldeadaptionen fließend in ihre freieren Illustrationen über. Dass Kahlo eine aufmüpfige, starke und tragische Frau war, spiegelt sich selbstverständlich auch in Hesses Buch. Hinzu kommt jedoch das Motiv einer kunstbesessenen und zeichenverliebten Künstlerin. Einem Kunst-Maniac, dem Pinsel, Leinwand und Palette zur zweiten Natur werden. Der jeden freien Fleck mit Farben, Mustern und Ornamenten füllt. Frida Kahlo zeichnete nach ihrem schweren Unfall im Bett liegend. „Ich begann fast beiläufig mit dem Malen. Mir schien es nur natürlich, dass ich malte, was für mich unerreichbar geworden war.“ María Hesse, die selbst „zeichnet, seit sie denken kann“, scheint ihrer Protagonistin in dieser Hinsicht sehr nahe zu sein.
Übrigens wirken Hesses eigenwilligen zeichnerischen Interpretationen der Kahlo-Innenwelten nie anmaßend. So findet die Illustratorin genau den richtigen Weg zwischen Wiedererkennbarkeit der Ursprungsbilder und individuellem künstlerischem Stil. Hesses Buch ist bunt und originell und erschütternd zugleich. Ihre Frida ist manchmal etwas niedlich, mit ihrer Stupsnase, den runden Augen und der markanten Augenbrauenlinie, was den Kontrast zu all dem Schmerz, den Wunden und dem Blut in den Bildern verstärkt und intensiviert.
Es lebe das Leben, so heißt Frida Kahlos (angeblich) letztes Bild. Ein Stillleben aus aufgeschnittenen Wassermelonen. Leicht, frisch und bunt. Aber gleichzeitig auch blutig und verletzt. Hesse beendet ihr Buch mit einer Neuinterpretation dieses Bildes. Es zeigt die Künstlerin auf dem Totenbett. „Ich hoffe, der Aufbruch wird freudig und ohne Wiederkehr.“
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