Scheinbar schwebend und schwerelos

Vom Ernst des Lebens berichtet der Lyriker Franz Hohler in „Sommergelächter“ mit sanfter Heiterkeit

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ins Schwyzerdütsch übersetzt werden Gedichte von Heinrich Heine in diesem Band, sogar von William Shakespeare – launig, auch souverän – auf Doppelseiten präsentiert, als ob Franz Hohler, der Zürcher Erzähler und Poet schelmisch einladen wollte, die große Dichtung und ihre Nachdichtung zu vergleichen, hin- und herzuschauen, nachdenklich, lächelnd. Altmodisch gesagt werden meisterhafte Gedichte, die ins Hohe und Erhabene des Allgemein-Menschlichen weisen, in denen Vergängliches auch nur Gleichnis sein kann, soll und darf, in neuer Perspektive vorgestellt – menschlich, allzu menschlich, gelassen, schweizerisch. Shakespeares Sonett Nummer 66 hebt an, stolz, tragisch, deklamierend: „Tired with all these for restful death I cry“ – und Hohler nennt das Gedicht schlicht „Mued“, murmelt nur: „I bi so müed, i wär am liebste tot.“ Das Drama bleibt, doch Hohlers Verse lassen den Leser atmen, frei von Theatralik, Pathos, aber doch nicht leichtgewichtig, nur ein wenig leichter formuliert. Der Ernst bleibt, der Leser lächelt, einen Augenblick lang, besinnt sich, verharrt und grübelt, grübelt lange.

Schwermütig dichtet Hohler nicht. Er webt Geschichten, deutet an, empört sich auch zuweilen, etwa über regionale Haie aus der Hochfinanz – gemütvolle Bären wären ihm lieber –, erzählt Lebensgeschichten, dezent geformt, mit dankbarer Zuneigung, zuweilen ganz persönlich, für viele gute, lange Ehejahre. Er berichtet von einem „Tramabonnement“, fährt also ruckelnd durch Zürich. So bekennt er auch freimütig, dass er „gerne Schlange“ stehe, nur warum? Plausibel sagt er: „ich weigre mich / die Stunden sinnvoll zu verbringen“. Ein Leistungsethiker ist Hohler nicht, schaut Fernsehen, ist gelangweilt von Auftragsmorden und öden Dialogen. In Krimis würden so oft „Seifenblasen“ statt „Wörter“ verwendet, für immer dieselben Geschichten, die eigentlich gar keine sind. Sie beginnen, enden und beginnen wieder, monoton, mit viel zu vielen Toten, die mal so und mal anders aus dem Leben scheiden müssen. Die Mattigkeit wächst vor der Mattscheibe beträchtlich.

Neues erzählt Franz Hohler selbst, so in dem Gedicht „Der andere“. Der Fremde tritt auf, der die geliebte Frau nicht erobert, nur anschaut, berührt, von innen her. Die Geliebte ruft zwar dem Verlassenen zu: „ich komme zurück / und du wünschst ihr Glück / denn sie hat ihn verdient“. Die Liebesgeschichten nehmen ihren Lauf – „und kannst es nicht fassen / wie sehr du sie liebst / und wie sehr es dich schmerzt“. Was bleibt? Erinnerung und Sehnsucht, „komm doch wieder / Geliebte / und bleibe bei mir / ich möchte dich streicheln / bis ans Ende der Zeit“. Hohler spricht über Versehrte, die einander noch sehen, auch wenn sie sich gar nicht mehr sehen können, und die trotz allem liebevoll für sich bewahren, aufheben, was doch nicht wiederkehrt. Ein Gran Güte bleibt, noch mehr Traurigkeit, weil der eine die andere nicht aufhalten kann, wenn sie denn gehen möchte. Auch der Liebende weiß, dass er loslässt, was ihn nie loslassen wird.

Hohler erzählt in Sommergelächter von Krieg und Frieden, nicht begrenzt auf Militärisches. Krankheit und Not werden sichtbar, so der Furor „mitleidloser Krebsgeschwüre“. Lesend erahnen wir unsichtbare Kinder, die bald zu Waisen werden und das längst wissen. Strahlend freudige Kinderaugen stellen wir uns vor, wenn vom schwerelosen Alltagsglück einer Mutter erzählt wird, die, versonnen lächelnd, mit frischem Salat vom Markt heimkehrt. Hohler kennt scheue Prinzen, aus fernen Ländern kommend, geflügelte Hoheiten, gefiederte Freunde, die für Augenblicke der Freude sorgen und ebenso scheu wie lautlos entschwinden. In den Gedichten spiegelt sich die Endlichkeit, besonders in den späteren Werken schaut der Poet ahnungsvoll hinaus, nichts Ungewisses erwartend. Er ist immer noch rettungslos in die Sprache verliebt, auch wenn er sich das Deutsche musikalischer wünschte. Diese Sprache sei doch „Dichtung, Bürokratie und Wahnsinn“, also „frage ich mich / wo ist deine Zärtlichkeit / Deutsch“? Über Gott denkt Hohler nach, die nach menschlichem Ermessen unmögliche Möglichkeit, bringt philosophische Gedanken ins Spiel – und hofft, vielleicht auch: hat die Hoffnung noch nicht verloren, dass das „Lächeln des Säuglings“ und der „Geruch des Meeres“ doch Himmelsboten sein könnten.

Die kirchlichen Rituale werden bedacht, alle Unvollkommenheiten genannt oder angedeutet. Eine Pfarrersgeschichte folgt: Die einen ärgern sich, „engagierte Christen“ nämlich, „wenn ich nur Psalmen lese in Altersheimen“, zugleich aber „meckern die Altersheime“, sobald der Geistliche sich „zu den Engagierten“ setzt. Er sei also, „umstellt von Menschen / die es gut meinen / und die alle wissen / was ich zu tun hab“, und wendet sich ratlos betend an Gott. Auch Hohler gibt den Gedanken noch nicht ganz auf, dass er noch zu den Suchenden zählen könnte, zumindest manchmal. Er verehrt Nikolaus von Flüe und fragt sich: „Wer blickte dich an von da oben?“ Seine Antwort lautet, von eigener Art, vielleicht alle Menschen, die später, zu anderen Zeiten, ihn nun fragen: „Was sollen wir tun / Bruder Klaus / was sollen wir tun?“ So mag es auch Heilige geben für jene Menschen, die sich nicht ganz sicher sind, ob sie glauben oder nicht. Anstoß nimmt Franz Hohler, so scheint es, auch weiterhin, rätselt, bleibt von Fragen behelligt. Er schreibt kunstvoll, feinsinnig, sanft und sensibel. Er nimmt, beschreibt, schaut an, wundert sich und staunt. Die hier vorgelegten „Gesammelten Gedichte“ sind Stadien eines Lebenswerkes, das noch wachsen kann, darf und soll. Hohlers Lyrik beschenkt alle Lesenden reichlich, mit zuweilen heiteren Gedichten, ernsthaft und lebensnah, ohne jede Spur von künstlicher, gravitätischer Feierlichkeit und herzenskaltem Zynismus. In so vielen Mundarten und Sprachen ist der Dichter Franz Hohler zu Hause, seine kostbare Lyrik zeigt, wie sehr auch das oft so schwerblütige Deutsch leuchten kann.

Titelbild

Franz Hohler: Sommergelächter. Die Gedichte.
Luchterhand Literaturverlag, München 2018.
252 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783630875842

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