Tiere – Denken – Sprache

Drei unverzichtbare Lektüren, die dem Denken und Sprechen der Tierwelt auf die Spur kommen

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eva Meijer macht uns Mut zum Dialog mit Tieren

In Die Sprachen der Tiere gibt Eva Meijer einen einführenden Überblick über den philosophischen Diskurs zur Sprachfähigkeit der nicht-menschlichen Tiere und über erstaunliche Erkenntnisse der Biologie und Ethologie. Sie wünscht den Menschen einen interessierteren Blick auf das, was Tiere sprachlich und kognitiv zu leisten imstande sind – eben in ihrer Sprache. An zahllosen Beispielen zeigt Meijer auf, wie bisherige Ergebnisse der Verhaltensforschung nahelegen, dass in Tieren viel mehr vorgeht als wir uns bisher vorstellen konnten.

Meijer erklärt, warum der Kluge Hans überhaupt nicht dumm war, weshalb Grammatik nicht nur Menschensache ist und wofür es wichtig ist, sich stets die Reziprozität tier-menschlicher Kommunikationsformen vor Augen zu halten, wenn man über tierliche Verhaltensweisen urteilt. „Gesprochen“, sagt Meijer, „haben Tiere mit uns immer“ – es sei an der Zeit, endlich zu antworten. Die Frage sei nicht, ob Tiere menschensprachlich kommunizieren können, sondern was mit unserer Definition von Sprache und Denken nicht stimmt. Diesem diffizilen Aspekt geht sie auf den Grund – das Buch macht Spaß, ist nicht zu einfach, nicht zu schwierig geschrieben. Einige wissenschaftliche Erkenntnisse, die Meijer präsentiert, rühren trotz ihrer kühlen Klarheit zu Tränen: Denn dass nicht-menschliche Tiere immer noch nicht als politische Wesen und Rechtsträger anerkannt werden, müsste vor dem Hintergrund dessen, was wir über das Bewusstsein der Tiere bereits sicher aussagen können, ein Skandal sein.

Das einzige Problem des Buchs ist, dass es, da es sich einführend an jene richtet, die von der Debatte noch nicht so viel wissen, kaum auf die philosophischen Gegner zu sprechen kommt. Es ist aber auch sein Triumph, weil es die Argumente der Gegner – diese machen ja auch nichts anderes – damit von vornherein als obsolet ausweist. Ein Beispiel: Es wird ohne Wimpernzucken von Katzen, die Entscheidungen fällen, und Papageien, die Witze erzählen, geschrieben. Auch wenn sowohl die im Buch zitierten Untersuchungen als auch ein unvoreingenommer Blick auf Tiere für diese Annahmen sprechen, wäre es doch sinnvoll, die Gegner der Debatte mit Argumenten und nicht nur mit dem Setzen von Thesen ins Schwanken zu bringen. So ist es auch das Problem und der Triumph der kognitiven Ethologie zugleich, dass ihre Prämisse vielen nicht-menschlichen Tieren grundsätzlich geistige Fähigkeiten zuspricht. Es belebt den Diskurs, macht kompetente kognitive Denker frei von den Vorurteilen einer westlichen Denktradition im Namen René Descartes’ und es lässt ein Denken mit Tieren statt über sie zu. Es ist aber auch anfällig für Kritik vonseiten derer, die gleich beim Wort „Tier“ schon „intentionale Sprache“ oder „Vernunft“ brüllen.

Dem neuen Precht-Band eine Chance geben

Argumentierte Richard David Precht vor einiger Zeit noch, er würde Tintenfische nicht essen, weil die halt total schlau seien, hat er seine ethischen und theoretischen Ansätze, die eigentlich nicht seine sind, mittlerweile auf zusätzliche Tiere ausgeweitet und dabei gemerkt, dass Intelligenz allein kein tierethisches Argument sein kann. Dieser Prechtkerl scheint sich für überhaupt nichts zu schämen. Der Mann – derselbe Mann, der das deutsche Bildungssystem so oft und scharfsinnig kritisiert! – will ja auch eine dreibändige Philosophiegeschichte für Leute herausgeben, die Bammel davor haben, die Originaltexte selbst zu lesen. Das kann nur ein schlechter Witz mit einem fetten Augenzwinkern in Richtung Universität sein. Und zugleich ist so ein Werk der Traum aller Philosophiestudierenden, die das Fach nur deshalb gewählt haben, weil es eben total schlau klingt. Und für alle, die Philosophie halt so in ihrer Freizeit praktizieren.

Wenn man mal über die Logik der Populärphilosophie hinwegsieht, die schwer erarbeitete theoretische Positionen in verdünnter Form an die Öffentlichkeit bringt, darf man aber wirklich und ganz unironisch dankbar sein für Prechts Publikation Tiere denken. Klar – der vielkritisierte „Zusammenfasser“ und „Schmalspurphilosoph“ präsentiert komplexe Sachverhalte normalerweise so, dass man zur Annahme verleitet wird, Philosophieren hieße, doof herumzusitzen und manchmal Ideen zu haben, aus denen man dann schnell ein Buch macht, das jeder verstehen können soll. Aber diesmal hat das einen hervorragenden Zweck: Precht nimmt einem jeden Tierrechtler die Argumentations-Arbeit ab und stellt ein Werk zur Verfügung, das jeder, der in die Tierphilosophie einsteigen und mitdiskutieren möchte, gelesen haben sollte. Das Buch bietet einen herausragenden Überblick über die Geschichte der Ausbeutung nicht-menschlicher Tiere, über die Gründe dieser Zurichtungen und über jene Fragen, die in der Tierrechtsdebatte so häufig für Streit sorgen. Darüber hinaus zeichnet es unterhaltend und präzise die oft willkürliche Verortung nicht-menschlicher Tiere in religiösen, philosophischen, medizinischen, alimentären und politischen Kontexten nach. Natürlich lässt sich Kompliziertes nie einfach sagen. Aber vielleicht machen wir es uns auch nur zu kompliziert.

Precht traut sich, klare und elaborierte Positionen zu beziehen. Der Hampelmann, der das etwas beschämende Sprachrohr der Philosophie ist, ist ja zugleich das einzige öffentlichkeitswirksame Mittel, das die universitäre Tierphilosophie gerade hat: Niemandem sonst wird so viel zugehört, niemand sonst kann Menschen, die mit Philosophie nichts am Hut haben, so sehr für’s Denken begeistern. Sein Buch Tiere denken ist nicht nur eine Zusammenfassung der tiertheoretischen Debatte – Precht ist ein großartiger Erzähler, der das Mensch-Tier-Verhältnis nicht einfach referiert und definiert, sondern ihm eine lebendige narrative Bewegung verleiht. Seine Publikation kann zudem als politisches Manifest gelesen und sollte auch von jenen beachtet werden, die glauben, in Deutschland sei für den Tierschutz ausreichend gesorgt. Originalität erlangt das Buch durch seine klare ethische Positionierung bei gleichzeitiger Erfüllung eines notwendigen Bildungsauftrags: Es fordert das baldige Ende des Anthropozentrismus, aber nicht, ohne diesen Appell ausführlich und mit einem scharfen Blick auf historische, ökologische, kulturelle und soziale Differenzen zu begründen. Eines muss man dem „Dampfplauderer“ also lassen – er vermag es, den Lesenden in nur einem einzigen Buch so viele Informationen gleichzeitig schmackhaft zu machen und zu synthetisieren, ohne gleich zu überfordern. Die Hoffnung ist, dass die Wirkung des Buchs länger anhält als nur bis zum nächsten Leberwurstbrot.

Dieter Lohmars Publikation räumt mit wissenschaftlichen Vorurteilen auf

Es gibt nicht-menschliche Tiere, die lügen können, die sich selbst erkennen und die über ihre Vergangenheit kommunizieren können. Zwar liefern auch Meijer und Precht für solche Tiere zahlreiche konkrete Beispiele, aber interessant wird es gerade dort, wo man diese Beispiele auch auf eine wissenschaftliche Grundlage stellt. Das hat Dieter Lohmar ohne Zweifel mit Denken ohne Sprache geleistet – es handelt sich dabei um eine bisher erstaunlicherweise ausgebliebene Publikation zu Formen des nicht-sprachlichen Denkens bei Menschen und nicht-menschlichen Tieren aus der Perspektive der Evolutionsforschung, der Primatologie und der Neurologie: drei Bereichen, die man ernstnehmen sollte. Lohmar argumentiert mit einer phänomenologischen Methode, die insofern ergiebig ist, als dass sie gar nicht von der vorurteilsbeladenen Prämisse ausgeht, Denken sei ein rein sprachlicher Vorgang.

Eigentlich sollte es vollkommen evident sein, dass Menschen und andere Tiere auch auf nicht-sprachliche Weise denken. Wenn ich einen Ball auf dem Fußboden sehe und eine zerschlagene Fensterscheibe, kann ich mir auf nicht-sprachliche Weise vorstellen, wie es dazu gekommen ist. Ich muss dazu nicht denken „Der Ball ist durch die Scheibe geflogen“. Solche szenischen Phantasmen sind nur einer der drei Grundtypen nicht-sprachlicher Repräsentationen, die Lohmar untersucht. Die Mehrheit der momentan lebenden PhilosophInnen jedoch spricht sich gegen all diese Grundtypen aus. Denken ist Sprache, sagen sie, Tiere können offenbar nicht „Guten Morgen“ sagen, und damit hat sich die Sache. Das sieht dann so aus, dass diese TheoretikerInnen vor ihren weiß rauschenden Bildschirmen sitzen und sich in der Sterilität ihres von allen Tieren bereinigten Büros Gedanken darüber machen, wie überragend die menschliche Spezies ist, weil sie die einzige ist, die WissenschaftlerInnen hervorgebracht hat. Da sie sich alle einig sind, gibt es dann ordentlich Forschungsgelder und noch ein paar speziesistische Lehrstühle auf Lebenszeit. Dieter Lohmar war das offensichtlich zu langweilig. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die drei genannten Forschungsbereiche zusammenzuführen und in zehn Kapiteln einen Rundumschlag unter anderem über die Möglichkeit nicht-sprachlicher Repräsentationen, Argumente für dieselben, ihre konkrete Ausformung und ihren Bezug zu therapeutischen, theoretischen und technischen Feldern zu verfassen.

Lohmars Publikation ist über 300 Seiten lang, superteuer und jeden Cent wert. Der Autor hat auch keine Angst vor beliebten Positionen der Gegner: Mit Donald Davidson hält sich Lohmar zum Beispiel gar nicht lang auf (etwa 5 Seiten) – sein ganzes Buch ist ein gelungener Einwand gegen das sprachfetischistische Credo der zeitgenössischen analytischen Philosophie, das gerade wieder aufblüht. Lohmar legt zum Beispiel dar, dass der Begriff von Denken, den diese Philosophen haben, nicht mehr wegkommt von der Gleichsetzung logischer Wissenschaftssprachen mit alltäglichen sprachgebundenen Denkprozessen. Demgegenüber unterscheidet Lohmar unter anderem zwischen Reflexion und Metakognition und zeigt sogar auf, dass Sprache nicht einfach eine sterile Form des Denkens sein kann, sondern abhängiger von szenisch-phantasmischen Systemen ist als wir gemeinhin glauben. Er gesteht zu, dass es den einen, privilegierten Zugang zum Denken einer anderen Spezies nicht gibt – was aber nicht dazu führen darf, Morgans Kanon zu verfallen und ein Nachdenken über tierliche Wahrnehmungsstrukturen als Gefühlsduselei zu marginalisieren. Das Buch ist nichts für Anfänger, weil es trotz des offenkundigen Versuchs, verständlich zu bleiben, bereits eine Grundkenntnis der Debatte voraussetzt, aber kann zum Beispiel als Handreichung für Professoren dienen, die sich als Fanatiker anthropozentrischer Theorien herausstellen – nur bezahlen sollten sie es dann lieber selbst.

Titelbild

Eva Meijer: Die Sprachen der Tiere. Naturkunden.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Christian Welzbacher.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018.
176 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783957575364

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Richard David Precht: Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen.
Goldmann Verlag, München 2016.
509 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783442314416

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Dieter Lohmar: Denken ohne Sprache. Phänomenologie des nicht-sprachlichen Denkens bei Mensch und Tier im Licht der Evolutionsforschung, Primatologie und Neurologie.
Springer Verlag Berlin, Heidelberg 2016.
307 Seiten, 153,99 EUR.
ISBN-13: 9783319257563

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