Das Leben verstehen in einem Meer von Hoffnungslosigkeit
Lavinia Branişte beschreibt den Alltag einer jungen Frau in Bukarest und zugleich das Lebensgefühl einer Generation
Von Anke Pfeifer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNach dem Studium von Sprachen und Literatur und brotlosen Kulturjobs ist Cristina nun in einer missliebigen, aber besser bezahlten Anstellung als Assistentin der Geschäftsführung einer Baufirma gestrandet und in dieser Eigenschaft Mädchen für alles. Ihren Lebensunterhalt kann sie auch davon kaum bestreiten. Dazu hat sie jede Menge Ärger mit der Chefin, den Kollegen, dem Vermieter, eine unklare Fernbeziehung und dann macht sich auch noch die Freundin mit einem Typen auf und davon. Ist das das Leben? Wie lebt man es eigentlich?
Das Motto zum Alltagsroman Null Komma Irgendwas der jungen rumänischen Schriftstellerin Lavinia Branişte liefert die offensichtlich an die Autorin gerichtete Facebook-Nachricht eines Dichterkollegen. Er begreift sich als „Teil einer großen Arbeiter-Maschinerie“, die ihn auch körperlich schlaucht, sodass er fragt: „Kann es sein, dass wir das Leben nicht verstehen, Lavi?“
Die Handlung des Romans findet überwiegend im Bukarest von heute statt und vermittelt allerhand Lokalkolorit: Cristina, Anfang 30 und Single, berichtet detailreich von ihrem täglichen Einerlei. Die Arbeitstage erscheinen ihr endlos, sind angefüllt mit sinnlosen oder langweiligen Tätigkeiten, unterbrochen durch eilige Aufträge von Chefin und Kollegen. Selten kommt sie pünktlich aus dem Büro, in dem es im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß ist. Ausstattungsmängel, wie der schlecht funktionierende Drucker oder fehlende Servietten beim Besuch der spanischen Geschäftspartner muss sie durch Improvisation ausgleichen. Aufstiegsmöglichkeiten gibt es hier keine für sie. Am liebsten würde Cristina dem öden Büro für immer den Rücken kehren, aber „dann steigt der heilige Springerstiefel Gottes vom Himmel herab, tritt mir auf den Kopf und schubst mich zurück in den Schlamm – dahin, wo mein Platz ist.“ Wenn sie auf der Baustelle durch den Schlamm rutscht und ihr Gleichgewicht zu halten sucht, ist das gleichnishaft für ihr Leben. Auch privat läuft es bei Cristina nicht gerade toll. Mit Mihai verbindet sie eine laue Liebe, wenn es denn überhaupt Liebe ist. Beide sind einigermaßen unfähig, Entscheidungen zu treffen. Cristinas ungeplante Schwangerschaft könnte dem Leben nun immerhin einen Sinn geben, doch Mihai will nicht Vater sein, und ohnehin ist die Angelegenheit vorzeitig beendet. Der Club Control beschert nur unverbindliche Männerbekanntschaften, die Dating-App ist auch keine Lösung, und so treibt sie durch ihr Leben, in dem sie sich einsam und unbehaust fühlt und das vor allem durch andere bestimmt wird: Die fordernde und kritische Chefin, die sie dennoch für ihre Courage bewundert, drangsaliert sie und der unverschämte Vermieter, zugleich ihr Kollege, stellt trotz ihres Protestes erneut seinen Krempel auf ihrem Balkon ab.
Erzählt wird ausschließlich aus Cristinas Perspektive und im Präsens, sodass sich die Figur wie auch der Leser mitten im Geschehen befinden. Wie die Zukunft aussehen könnte, ist ihr vollkommen unklar. So schwankt sie zwischen Sinnkrise und dem Gefühl, dass es ihr eigentlich so schlecht gar nicht geht. Pflichtbewusst und hilfsbereit will sie es allen recht machen, denn sie scheut Konflikte. Scham und Schuldgefühle belasten sie. Häufig fühlt sie sich unbeachtet und es fehlt ihr jemand, mit dem sie zusammen lachen kann. Cristina kämpft allein mit den kleinen Katastrophen des täglichen Lebens: der Haarausfall und der Entschluss, sich vom Friseur kahl rasieren zu lassen, das von der Mutter für sie gekaufte Bio-Huhn, das nun im alten Kühlschrank festgefroren ist und dann doch im Müll landet, der unkomplizierte gynäkologische Eingriff, den ihr aber die Mutter bezahlen muss.
Ganz wesentlich ist Null Komma Irgendwas auch eine Mutter-Tochter-Geschichte, mit der die Autorin, die diesen Roman übrigens ihrer Mutter widmet, eigene Erfahrungen verarbeitet. Cristinas Mutter arbeitet seit vielen Jahren in Spanien in der Tourismus-Branche. Beide leiden emotional unter der langanhaltenden räumlichen Trennung und sehnen sich nach einander. Doch die gemeinsamen Treffen sind selten und kurz. Der größte Wunsch der Tochter wäre eine kleine Eigentumswohnung für sich – und am liebsten noch eine für ihre Mutter, doch daran ist finanziell nicht zu denken. Und überhaupt taugt die Qualität der neuen Wohnblöcke einheimischer Bauträger nichts, und die der ausländischen mit ihren bodentiefen Fenstern sind für rumänische Winter gar nicht geeignet. Das ist köstlich zu lesen und überhaupt ist es der trockene Humor und die Selbstironie, die das Leben für die Erzählerin erträglich und für den Leser sehr vergnüglich machen.
Obwohl in einem locker-leichten Ton verfasst, gehört der Roman zu einem Strang in der rumänischen Gegenwartsliteratur, der Pessimismus und Verzweiflung seiner jungen Helden in den Mittelpunkt stellt. Selbstbezogen suchen diese in einer vom Geld regierten Welt, wo traditionelle Lebensweisen immer weniger verbindlich und Rituale oft nur noch Fassade sind, nach Orientierung, Lebensinhalt und Glück, doch häufig erscheinen sie überfordert, einsam, traurig. So auch Cristina, die dennoch tapfer, aber oft genug vergeblich dagegen rebelliert. Wie nebenbei werden Themen wie weibliche Emanzipation, Migration oder sexuelle Orientierung berührt und verankern den Roman im Heute.
Die Übersetzerin Manuela Klenke – im gleichen Alter wie die Autorin – hat den Ton des Originals ganz hervorragend getroffen. Der Roman wurde in Rumänien als bestes Buch des Jahres 2016 ausgezeichnet und zog im deutschsprachigen Raum – eher selten bei rumänischer Literatur – die Aufmerksamkeit etlicher Literaturkritiker auf sich. Antworten auf die Lebensfragen nach dem richtigen Job, der richtigen Beziehung, der richtigen Art zu leben gibt er nicht, aber auf unterhaltsame Art und Weise liefert er Denkanstöße.
|
||