„Arisierung“ oder Verkauf aus freiem Willen?

Siegfried Lokatis, Sophie Kräußlich und Freya Leinemann rekonstruieren die Prozesse zwischen Otto Heinrich Scholz und dem Luchterhand Verlag um den Kauf einer Druckerei

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Otto Heinrich Scholz (1901–1990) übernahm mit finanzieller Unterstützung durch seine damalige Verlobte und spätere Frau Meta Recha Scholz (geschiedene Müller, 1890–1973), deren Vater Jude war, das Inventar einer Charlottenburger Buchdruckerei und legte damit den Grundstein für sein Unternehmen Asmus Druck, das am 1. Januar 1935 in das Handelsregister in Berlin eingetragen wurde. Später kaufte er die Druckerei seines früheren Arbeitsgebers Grünfeld sowie die des Betriebs M. Kempinski hinzu. 1939 erwarb er zwei Maschinen der jüdischen Sonnendruckerei – wohl im Rahmen einer Zwangsarisierung. Ab 1937 firmierte das Unternehmen als Otto Heinrich Scholz Druck.

Im November 1938 wurden Scholz und Meta Müller verhaftet und nur deshalb bald wieder freigelassen, weil sie vorgaben, nicht verlobt zu sein. Die beiden planten die Flucht aus Deutschland und bekamen „auf inoffiziellem Wege die Erlaubnis, Maschinen im Wert von 2000 £ und Bargeld im Wert von 1000 £ nach England zu verbringen“. Scholz reagierte auf das Interesse des Hermann Luchterhand Verlags, die Druckerei zu kaufen oder sich daran zu beteiligen. Luchterhand erwarb die Hälfte des in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelten Unternehmens gegen Zahlung von 160.000 Reichsmark. Der Vertrag wurde am 3. Mai 1939 geschlossen. Scholz und Meta Müller verließen Deutschland im Lauf desselben Jahrs und übersiedelten nach England. Dort gründeten sie noch 1939 die Dragon Press, über deren weitere Entwicklung nichts bekannt ist. Nach der Ausbürgerung von Scholz im Herbst 1941 übernahm Luchterhand auch dessen Anteile.

Der Luchterhand Verlag wurde 1924 von Hermann Luchterhand (1886–1950) als Verlag für Steuer- und Arbeitsrecht gegründet. Sein Sohn Heinz Luchterhand (1914–1988) arbeitete bei Scholz-Druck und hatte Gesamtprokura. In der späteren Auseinandersetzung mit Scholz spielte er keine Rolle. Das gilt umso mehr für Eduard Reifferscheid (1899–1992), der 1936 in den Verlag eintrat und den Hermann Luchterhand bereits zwei Jahre später zum Generalbevollmächtigten machte. Er wurde „schnell zum ersten Steuermann auf dem Luchterhand-Schiff, brachte es allein durch die Untiefen des NS-Systems und des Zweiten Weltkriegs“ und begründete in den 1950er Jahren den belletristischen und den soziologischen Verlagszweig, die den Verlag bekannter machten als den Fachverlag. Seit 1950 war Reifferscheid alleiniger Geschäftsführer und hielt die Mehrheit am Luchterhand Verlag.

Im März 1950 machte Scholz seine Forderung gegen Luchterhand geltend und bestand auf „Rückübertragung der Firma und des Vermögens dieser Firma und auf Auszahlung der Nutzungen“ (Zitat aus den Akten). Die Nutzungen wurden mit 769.696 Reichsmark beziffert; der Betrag sollte in Westmark ausgezahlt werden. Der Prozess dauerte vom 25. März 1950 bis 1966. Die Prozessakten umfassen fünf Bände und befinden sich im Landesarchiv Berlin. Sie sind die Grundlage für eine detaillierte Rekonstruktion der Auseinandersetzungen zwischen Scholz und Luchterhand. Diese Rekonstruktion bildet den Kern des Buchs Luchterhand im Dritten Reich vom Siegfried Lokatis, Sophie Kräußlich und Freya Leinemann.

Dadurch, dass sowohl der Antragsteller (Scholz) als auch der Antragsgegner (Luchterhand) zu den einzelnen Sachverhalten mit ausführlichen Stellungnahmen zu Wort kommen, entsteht gerade bei Details wie der Werthaltigkeit des Maschinenparks nach dem Zweiten Weltkrieg eine (ermüdende) Redundanz. Scholz begründete den Restituierungsanspruch damit, dass er und seine Verlobte Meta Müller sich bedroht und von der Gestapo verfolgt fühlten und sie sich daher zum Abschluss des Gesellschaftsvertrags mit Luchterhand gezwungen sahen, was eine „Arisierung“ darstelle. Scholz selbst war kein Jude, doch sein Liebesverhältnis mit der Jüdin und die freundschaftlichen Beziehungen zu weiteren Juden rechtfertige seinen Anspruch. Zudem sei der Kaufpreis zu niedrig gewesen. Luchterhand widersprach; Scholz sei nicht politisch verfolgt worden. Der Verkauf an Luchterhand sei aus freiem Willen erfolgt, der vereinbarte Kaufpreis daher angemessen gewesen.

Sowohl die Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Berlin als auch der Zivilsenat des Kammergerichts Berlin wiesen in Beschlüssen vom 26. Oktober 1951 und 30. Juli 1952 die Klage von Scholz zurück. Dagegen gab das Oberste Rückerstattungsgericht für Berlin Scholz Recht und verurteilte Luchterhand mit Beschluss vom 24. November 1955 zur Rückerstattung der Firma Scholz-Druck an den Antragsteller.

Der Anwalt von Scholz machte Entschädigungsansprüche von insgesamt knapp einer Million Mark geltend, doch drei Jahre lang erging keine Entscheidung, wie viel Luchterhand Scholz zu zahlen hatte. 1958 beantragte Luchterhand die Wiederaufnahme des Verfahrens, was jedoch im März des folgenden Jahrs vom Landgericht Berlin abgelehnt wurde. Nach weiteren sieben Jahren (!) beendete das Kammergericht Berlin mit der Festlegung der Streitwerte in insgesamt elf Prozessen am 10. Juni 1966 die Verfahren. Die Firma Scholz-Druck wurde kurz zuvor mit der Zustimmung von Otto Heinrich Scholz aus dem Handelsregister gestrichen. Eine Rückerstattung wurde damit unmöglich. Eine Zahlung von Luchterhand an Scholz ist nicht erfolgt.

Resümierend halten die Autoren in einem Nachwort fest:

Verunglimpften die Antragsteller, allen voran Meta Scholz, das Luchterhand-Team als nationalsozialistisch verseuchte, berechnende und skrupellose Denunzianten, so schüttet der Verlag einen Jauchekübel ehrabschneidender Behauptungen über das Emigrantenpaar aus. Er spielte ihm in den Prozessen womöglich noch schlimmer mit, als das während der NS-Zeit der Fall gewesen war.

Nach ihrer Einschätzung handelte es sich bei der Transaktion im Jahr 1939 nicht um eine „Arisierung“.

In diesem Abschnitt, „Nicht in den Akten“, geht es vor allem um die Rolle Eduard Reifferscheids nach dem Zweiten Weltkrieg und wie dieser die Luchterhands „ausbootete“, sodass sie die Anteilsmehrheit verloren: „niemand zog so viel Nutzen aus dem Prozess wie Eduard Reifferscheid“.

Was mit diesem Buch vorliegt, ist eine grundsolide Rekonstruktion eines Prozesses, der um die Umstände der von einer Partei behaupteten „Arisierung“ einer Druckerei im nationalsozialistischen Deutschland geführt wurde. Insofern ist das keine „Verlagsgeschichte im Prozess“, wie der bemühte Untertitel lautet, sondern eine Druckereigeschichte. Der theatralischen Inszenierung mit Prolog, drei Akten und Epilog – methodisch abgesichert durch das Herbeizitieren von Michel Foucault und Susan Sontag – hätte es nicht bedurft.

Titelbild

Siegfried Lokatis / Sophie Kräußlich / Freya Leinemann: Luchterhand im Dritten Reich. Verlagsgeschichte im Prozess.
Dr. Ernst Hauswedell & Co. KG, Verlag, Stuttgart 2018.
225 Seiten, 33,00 EUR.
ISBN-13: 9783776213188

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