Sklavenhandel als Triebfeder der mittelalterlichen Ökonomie?

Ein von Reuven Amitai und Christoph Cluse herausgegebener Sammelband beleuchtet die Sklaverei im östlichen Mittelmeerraum

Von Albrecht ClassenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Classen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So manche Sammelbände, die auf eine Tagung oder Konferenz zurückgehen, bedürfen ihre Zeit. Der vorliegende Band beruht auf einer Tagung in Trier vom 7. bis 9. September 2009, es wird aber nicht erklärt, wieso eine solche erstaunliche Verzögerung von beinahe acht Jahren auftrat, bis dieses Buch endlich gedruckt wurde. Das späte Publikationsdatum bedeutet aber keineswegs, dass deswegen die hier vorgelegten Erkenntnisse schon veraltet wären oder weniger Relevanz besäßen, denn, um es gleich vorauszuschicken, die meisten Autoren haben gründliche Forschungen geleistet und somit wichtige Erkenntnisse vorgelegt, die für das Thema „Sklaverei im Mittelalter“ weitreichende Folgen haben werden.

Während früher die Meinung vorherrschte, dass etwa seit dem 11. oder 12. Jahrhundert Sklaverei im mittelalterlichen Europa stark zurückgegangen sei und dann praktisch kaum noch existierte, vermögen die Beiträger generell aus verschiedenen Perspektiven eher das Gegenteil zu belegen, denn der Sklavenhandel vor allem im Mittelmeerraum blühte erst dann richtig auf und erreichte am Ende des Mittelalters fast wieder das Niveau wie in der Antike. Zwar spielten jüdische Händler immer weniger eine Rolle in diesem globalen Geschäft, aber dafür bewiesen sich sowohl die Europäer (allen voran Italiener und Spanier) als auch die Muslime (wichtigste Handelsstädte waren hier unter anderem Alexandria und Caffa) als sehr bewandert, energisch und erfolgreich.

Der Band gliedert sich in vier Teile, wobei der erste sich auf den religiösen und kulturellen Kontext konzentriert, dazu juristische und ökonomische Fragen einbezieht, der zweite auf Sklaverei unter den Mameluken, der dritte auf den Sklavenhandel, wie er von den europäischen Händlern durchgeführt wurde, und der vierte auf unterschiedliche Aspekte, die das ziemlich holzschnittartige Bild, wie es von Andrew Ehrenkreutz in seinem einflussreichen Aufsatz über die strategischen Implikationen des Sklavenhandels (Strategic Implications of the Slave Trade between Genoa and Mamluk Egypt in the Second Half of the Thirteenth Century), entwickelt worden war, erheblich differenziert. Alle Studien mit der Ausnahme derjenigen von Michel Balard (Französisch) sind auf Englisch verfasst; alle bedienen sich des Systems, die Anmerkungen kurz zu halten und die bibliographische Information jeweils im Anschluss aufzulisten.

Obwohl das Thema sehr breit gespannt ist, stellt man doch fest, dass dem Sklavenhandel im östlichen Mittelmeer, dort also, wo christliche, jüdische und muslimische Händler und Käufer aufeinander trafen und sich im ökonomischen Wettstreit befanden, das Hauptaugenmerk zugewiesen wird. Die zwei Herausgeber bieten eine hilfreiche Überblicksdarstellung unseres heutigen Wissensstandes, verweisen aber natürlich für die spezifischen Details auf die einzelnen Beiträge. Es fehlen aber doch viele ältere und neuere Untersuchungen zu diesem Thema, etwa die von Jürgen Misch (Das christliche Sklavenland, 2015), C. Verlinden (Slavenhandel en economische ontwikkeling in Midden-, Oost- en Noord-Europa gedurende de hoge middeleeuwen, 1979), Stephan Conermann (Sklaverei in der Vormoderne: Beispiele aus außereuropäischen Gesellschaften, 2017) oder diejenige von Christian Delacampagne (Histoire de l’esclavage, 2002). Es bleiben also, wie die Herausgeber selber zugeben, noch viele Desiderata.

Es wäre nun etwas schwierig, jeden einzelnen Aufsatz umfassend zu behandeln, denn zum einen gehen alle fünfzehn Autoren global gesehen auf das gleiche Thema ein, selbst wenn sie den geographischen Bezugspunkt wechseln, zum anderen erarbeiten sie sorgfältig auf archivalischer Grundlage die jeweiligen Bedingungen, wie sie in Venedig, Genua, Byzanz beziehungsweise Konstantinopel, Griechenland, Ägypten und in Andalusien vorherrschten. Als bemerkenswert darf angesehen werden, dass weder die Christen noch die Muslime jegliche Scheu davor zeigten, Slawen, Türken, Afrikaner, Tartaren und andere als Sklaven aufzugreifen und zu verkaufen oder zu verschenken. Religion spielte bei diesem Geschäft keine Rolle.

Zumindest die Namen der Beiträger und ganz knapp der jeweilige Schwerpunkt sollen genannt werden, aber man kann vorausschickend mit hohem Lob anerkennen, dass jede Untersuchung sich durch die gründliche Kenntnis der Materie, meist direkt aus Archiven geschöpft, und durch die solide Vertrautheit mit der relevanten Forschung auszeichnet. Der Brennpunkt ruht allerdings stets auf Städten und Regionen, die direkt mit dem Mittelmeer verbunden sind, so zum Beispiel die jüdische Geniza-Gesellschaft, die bis ins hohe Mittelalter gute Geschäfte durch den Sklavenhandeln machte, was aber gegen Ende des 13. Jahrhunderts praktisch nicht mehr der Fall war (Miriam Frenkel). Die islamische Welt profitierte außerordentlich von und mit Sklaven (Kurt Franz, Yehoshua Frenkel, Amir Mazor, Reuven Amitai, Jenia Yudkevich), aber Venedig (Danuta Quirini-Popłwska. Georg Christ), Genua (Michael Balard) und Caffa (Annika Stello) verfolgten in der Hinsicht ihre eigenen, ebenfalls sehr produktiven Wege, indem sie ihren Handel energisch und straff durchorganisierten und den Einsatz von Sklaven systematisch gestalteten. In vielerlei Hinsicht waren Sklaven sogar unverzichtbar, etwa für die Ottomanen, um ihre Mameluken-Heere aufzustellen, für die sie aber unablässigen neuen Zuzug brauchten. In der Frühneuzeit erwies sich jedoch die Institution der militärischen Sklaven als zunehmend ungeeignet, um bei dem technologischen Fortschritt der Gegner mitzuhalten.

Dieser Sammelband stellt global gesehen einen wichtigen Schritt vorwärts dar, aber zugleich macht er auch auf die vielen offenen Fragen aufmerksam, denn das mediterrane Hinterland, also beispielsweise Frankreich oder das Heilige Römische Reich, kannten sicherlich ebenfalls das Phänomen des Sklavenhandels, doch ist hier davon praktisch nicht die Rede. Dafür kommen etwa die diplomatischen und juristischen Aspekte zur Sprache, die den Sklavenhandel sowohl unter den Christen als auch den Muslimen im östlichen Mittelmeer zutiefst bestimmten (Norman Housley, Kurt Franz). Dass die Sklaven aber je nach Bedarf eingesetzt wurden (militärische versus häusliche Funktion), muss ebenfalls betont werden, wie auch Franz deutlich macht. Meistens war es freilich so, dass die religiösen Gesetze es streng verboten, Glaubensgenossen als Sklaven zu halten, wie sowohl der Koran als auch der Hadith explizit betonten, von der Bibel ganz zu schweigen, womit der gesamte Bereich der mittelalterlichen Rechtssprechung in den Blick gerät.

Anhand der archivalischen Zeugnisse speziell von Genua und Venedig enthüllt sich ein erstaunliches anthropologisches Bild, denn ab dem 13. und 14. Jahrhundert stammten die Sklaven auf den mediterranen Märkten aus einer Vielzahl von osteuropäischen und vorderasiatischen Regionen (Balard, Christ), und zugleich erweist sich die große Zahl von Sklavenkäufern als ungemein international. Wie aber wirkte sich all dies auf die Länder nördlich der Alpen aus? Die Menge an christlichen Pilgerberichten könnte in der Hinsicht später wichtige Einblicke gewähren, aber gerade literarische oder historiographische Texte wurden hier kaum berücksichtigt.

Eine ungewöhnliche Perspektive bietet Ernest Marcos Hierro mit seiner Untersuchung der katalanischen Kompanie, die seit 1304 in Anatolien operierte und umfangreich im Sklavenhandel involviert war, bis sie sich seit 1311 im Herzogtum Athen niederließ. Auch hier erweist sich, dass gerade Notariatsurkunden umfangreich Auskunft vermitteln, wie viele Sklaven verkauft wurden, woher sie stammten, wie sie behandelt wurden und so weiter, was auch das Thema von Michel Balard ausmacht, der sich vor allem dem Sklaventransport widmet, der insbesondere über Sizilien und Neapel lief. Ein zentraler Ursprungsort war aber Caffa (Kaffa; heute Feodossija) am Schwarzen Meer, wo vor allem die Genueser tätig waren (Annika Stello).

Weitere Spezialuntersuchungen schließen sich an (Jenia Yudkevich zum 14. Jahrhundert; Christoph Cluse zu Fidenzios von Padua Liber recuperationis Terrae Sanctae, um 1290, das heißt zur Frage, ob die Genueser oder die ägyptischen Sultane die neuen Mameluken-Sklaven transportierten, ob per Schiff oder zu Fuß), womit insgesamt überaus deutlich wird, wie kompliziert und komplex das Phänomen des Sklavenhandels im Spätmittelalter gewesen ist. Noch einmal gilt aber zu betonen, dass das Fehlen von jeglicher Untersuchung darüber, ob es überhaupt Sklaven nördlich der Alpen gegeben hat, sehr bedauerlich ist. Die Beiträger betrachten das Phänomen praktisch nur aus der Perspektive der Händler, nicht aus der der Opfer. Der Bericht von Georgius von Ungarn hätte sich beispielsweise dafür gut geeignet, und es wäre weiterhin zu fragen, wie die christlichen oder jüdischen Autoren des Spätmittelalters das Sklavenwesen beurteilten. Hier öffnet sich aber schon einmal ein Fenster auf einen bisher viel zu unterbelichteten Bereich in der mittelalterlichen Geschichte. Der Band schließt mit einem umfangreichen Index.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Reuven Amitai / Christoph Cluse: Slavery and the Slave Trade in the Eastern Mediterranean (c. 1000–1500 CE).
Brepols Publishers NV, Turnhout (Belgium) 2018.
487 Seiten, 115 EUR.
ISBN-13: 9782503570198

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