Drei Freunde – zwei Feste – eine Seifenoper?
Über poetische Sprache und diffuse Handlungen in Lisa Kreißlers neuem Roman „Das vergessene Fest“
Von Lukas Beck
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLisa Kreißler macht es den LeserInnen ihres neuen Romans Das vergessene Fest nicht leicht, ihn einzuordnen. Der Roman schwankt zwischen Tiefgründigkeit und Oberflächlichkeit, zwischen originellen Ideen und unglaubwürdiger Sprache und zwischen dem Bedienen gängiger Muster und dem Finden neuer Formen. Außerdem folgt er einer Handlung, die durchaus Potenzial hat, aber nicht zu einer überzeugenden Form finden will. Dabei wirkt er letztlich doch mehr wie ein Experiment als wie ein abgeschlossener Roman.
Die Hochzeit von Nina und Philipp ist Anlass dafür, dass die Braut ihre alten Freunde Arif und Ronda wiedertrifft. Die Zeremonie findet im Wald statt, wo Nina in einer flammenden Rede vor dem Traualtar die Hochzeit platzen lässt. Sie erklärt ihre Beweggründe und bittet darum, dass es zu einem ausgelassenen Fest kommen möge, auf dem alles erlaubt sei. Die drei Freunde allerdings flüchten gemeinsam vom Fest in den tiefen Wald und schwelgen in Erinnerungen. Sie erzählen sich Geschichten aus der Vergangenheit, wie etwa aus der gemeinsamen Studienzeit, und von unerfüllten Träumen. Vor allem geht es um gescheiterte Liebesbeziehungen, ähnlich wie Ninas und Philipps Beziehung, die kurz zuvor ein jähes Ende fand. Ein Hauptthema des Romans ist damit benannt. Im Wald geraten die drei unversehens auf ein anderes Fest, das mystisch und fremdartig, aber auch gerade deshalb verlockend ist. Die Freunde verstehen zwar nicht die Sprache der Gesellschaft, tanzen und feiern aber mit. Nina macht dabei eine Verwandlung durch. Ihre Kleider werden getauscht, ihre Haare abgeschnitten. Wirklichkeit vermischt sich mit Träumen und Fantasie, und dann, als die Freunde auf ihr eigenes Fest zurückkehren wollen, ist Nina verschwunden.
Schon Lisa Kreißlers 2014 veröffentlichter Debütroman Blitzbirke wurde eine Nähe zum magischen Realismus zugesprochen. Auch in ihrem zweiten Werk führt sie diesen Stil fort. Besonders in dem Kapitel, das sich auf dem fremdartigen Fest abspielt, gewinnt die Erzählung durch Unverständlichkeit, Symbol- und Traumhaftigkeit an Dichte. Dabei möchte Kreißler die „innere Wirklichkeit“ ihrer Figuren zeigen, wie sie im Interview mit dem NDR – der den Roman zum Buch des Monats im Februar 2018 kürte – erzählt. Als Kreißlers Protagonistin verschwindet, träumt sie zunächst von einem Augenblick ihrer Kindheit, dann von einer Liebesnacht mit Leonardo DiCaprio. Als sie scheinbar wieder wach ist, erscheint ein wildes Mädchen auf einem Pferd, das einem Fantasy-Roman entsprungen sein könnte. Das Kind erklärt, dass sie ihre Freunde nicht wiedersehen werde. Die Magie dieser Textstelle ist allerdings dahin, als sich herausstellt, dass Nina unter Wahnvorstellungen und Psychosen leidet. Ein bisschen Unklarheit hätte dem Roman hier gutgetan. Genauso vorhersehbar und wenig überraschend ist auch die Auflösung des Rätsels um die verschwundene Nina. Dabei hätte der Roman ohne diese Auflösung sicherlich an Mehrwert dazugewonnen.
Wie in ihrem Debütroman gibt es auch in Das vergessene Fest ein Kapitel, das in Form eines Theaterstücks abgefasst ist – inklusive Dramatis Personae und Regieanweisungen. Leider geht die Rechnung hier weniger auf als im Erstling, sodass das Kapitel völlig aus dem Rahmen fällt. Anders als in ihrem Debüt ist keine Theaterautorin Teil der Handlung, weshalb die Daseinsberechtigung fraglich wird. Kernfiguren des Theaterstücks in Das vergessene Fest sind plötzlich nicht mehr die bisherigen Protagonisten, aus deren Perspektiven die Handlung erzählt wurde, sondern die Gäste auf dem zurückgelassenen Fest. Das Kapitel ist insofern zentral, als es den Titel des Buches in Handlungsort und Kapitelüberschrift aufgreift. Leider ist die Handlung auf dem Fest größtenteils sehr banal. Lichtblick für das Kapitel und sein Geschehen ist der schwedische Austauschschüler Magnus, der einen herzzerreißend melancholischen Monolog hält. Seine Rede, die vom Schwedischen fußnotenatig eine Übersetzung auf Deutsch erhält, fällt dermaßen aus dem Rahmen, dass sie gerade durch ihre Rätselhaftigkeit und Fremdheit, die auch nicht aufgelöst wird, den tiefgründigsten Moment des Kapitels darstellt. Der Rest des Theaterabschnitts wirkt im Vergleich dazu eher wie ein Skript für eine Seifenoper. So sind die Dialoge sehr oberflächlich, weiterhin kommt es zur „verbotenen Liebe“, da sexuelle Anziehungen über die Generationengrenzen hinweg angedeutet werden. Besonders deutlich zeigt sich dies, wenn Ninas 17-jährige Cousine Anouk mit dem 56-jährigen Thomas flirtet. Der Vergleich zur Seifenoper liegt zudem nahe, da der Roman damit beginnt, dass Arif die Wiederholungen der letzten Verbotene Liebe-Episoden anschaut und ihrem zeitweilig hohen Niveau nachtrauert.
Lisa Kreißler findet für Das vergessene Fest einen lyrischen Ton. Doch obwohl dies eine Stärke des Romans ist, nimmt man ihm gerade deshalb die für den Alltag ohnehin schon unwahrscheinlichen Monologe nicht immer ab. Sie bleiben auch außerhalb des Theaterkapitels theatralisch und unrealistisch. Die Rede der Braut beispielsweise, in der sie die Hochzeit absagt, orientiert sich nicht an einer realistischen, gesprochenen Sprache. Viel eher ist die Sprache hoch poetisch, die Figuren werden nicht unterbrochen, benutzen keine individuelle, sondern dieselbe bildreiche Sprache und reden über mehrere Seiten hinweg. Was an mancher Stelle durchaus eine Stärke des Romans darstellt, wirkt in den Monologen eher befremdlich und unglaubwürdig. Wenn Arif von einem Erlebnis erzählt, klingt es nicht mehr nach ihm selbst, sondern nach demselben Erzählduktus, den eine Erzählinstanz ausmacht: „Er würde ihr wahrscheinlich das Herz brechen, und lange nach diesem Urlaub, wenn der Herbst käme und der Winter, würde Petra an diesen Abend zurückdenken, und dann würde sie wissen, dass das im Grunde der schönste Moment war, als sie diesem Kuss entgegenschwamm und dabei so frei war.“ Das ist ein schriftliches Erzählen, kein mündliches.
Alles in allem ist der Roman jedoch ein unterhaltsames und kurzweiliges Buch, dem man durchaus Stärken zusprechen kann. So sind die poetische Sprache und der kreative Umgang mit der Erzählperspektive lobenswert. Zudem spricht das Thema, wie man verlorene, vergessene und verspielte Träume wiedergewinnt und seinen Standpunkt in der Welt findet, viele Menschen an. Dennoch kann sich der Roman insgesamt nicht zwischen Tiefgründigkeit und Oberflächlichkeit entscheiden, sodass er weder seine Form noch einen eleganten Abschluss findet. Trotzdem darf man auf weitere Werke der Autorin gespannt sein, denn die neuen Formen, die sie findet, sind unbestreitbar bemerkenswert.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
|
||