Der Mann, dessen Name nicht genannt wird

John Connolly gräbt tief in cineastischer Vergangenheit

Von Stefan CernohubyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Cernohuby

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vieles hat sich in den letzten hundert Jahren verändert. Einer jener Orte, wo man die Veränderungen sehr gut wahrnehmen kann, ist das Kino und damit verbunden der Film. Diese haben sich erstaunlich entwickelt – und ihre Protagonisten, die Schauspieler, mit ihnen. Krimi- und Bestsellerautor John Connolly hat nun ein Werk vorgelegt, das halb als Biografie, halb als fiktiv-belletristisches Werk zu verstehen ist: Stan.

Der Mann, der im Jahr 1965 allein in seinem Hotelzimmer liegt, fühlt, dass der Tod langsam näherkommt. Jener Mann, dessen Name einst anders war, der aber jetzt Stan Laurel heißt, denkt an die Vergangenheit, seinen Freund Oliver Hardy, den alle nur Babe nannten, und ihre Anfänge in der Filmindustrie. So erinnert er sich an die Zeit, als er zuerst als Bühnenschauspieler mit Chaplin unterwegs ist. Jenem Chaplin, mit dem man ihn später immer wieder assoziiert, der mit ihm zusammenarbeitet, ihn gut kennt, aber ihn letztendlich in seiner Biografie nicht einmal erwähnt. Wo er in kleinen und großen Studios kurze und längere Stummfilme dreht, dabei in Anzug und mit Melone auftritt, aber doch seinen eigenen Stil nicht findet. Denn erst, als er mit Babe Hardy zusammenarbeitet, kommt der große Durchbruch – es entsteht ein immer funktionierendes Gagfeuerwerk, der perfekte Gegenpart für zwei nicht vollkommene Darsteller.

Doch der Mann, der die Geschichte erzählt, hat ein großes Problem, nämlich mit Frauen. Er kann nie allein sein und schon gar nicht unverheiratet. So heiratet er wieder und wieder. Er streitet, betrügt, trennt sich, lässt sich scheiden und freundet sich wieder an. Bis zu dreimal heiratet er dieselbe Frau. Das führt dazu, dass er kein Geld hat. Und mit Babe hat er einen Leidensgenossen mit ähnlichen Problemen. Sie schaffen gemeinsam den Sprung vom Stummfilm zum Tonfilm, was anderen Stars der frühen Ära nicht gelingt. Sie haben Fans, überall auf der Welt, produzieren Erfolge am laufenden Band, scheitern jedoch an ihren Persönlichkeiten. Als Babe stirbt, will Stan keine Filme mehr machen. Bis zu seinem eigenen Tod.

Stan ist ein bemerkenswertes Werk. Aus der Perspektive eines Mannes geschrieben, der seinen Namen nur in Spiegelbildern sieht und selbst nicht ausspricht. Er – „He“ – war auch der Titel des Originalromans, der aber im deutschsprachigen Raum mit selbigem Namen vermutlich keine große Aufmerksamkeit erregt hätte. Mit Stan und der Melone auf Cover und im Inneneinband verbindet man dann doch etwas. Es ist spannend, in eine Welt einzutauchen, die nach ganz eigenen Regeln funktioniert, sich immer wieder neu erfindet und dabei Menschen ohne Gnade verheizt. Man blickt so auch hinter die Fassade der großen Stars. Vor allem der große, gottgleiche Chaplin, Vorbild mehrerer Generationen von Filmemachern und Schauspielern, bekommt deutlich die Rechnung präsentiert. Zumindest wird er so dargestellt, als wäre er zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort als Pädophiler und Triebtäter längst im Gefängnis verschwunden, während er so immer noch eine Legende ist. Wie viel davon auf das Konto des Autors geht, kann man nur vermuten – denn Stan, also der Protagonist, lobt Chaplin selbst immer in den höchsten Tönen, dieser wird dann in den Nebensätzen relativiert, demaskiert und verurteilt. Möglicherweise ein Bruch der Erzählperspektive. Doch dann ist da auch die Liebe, die aus den anderen Seiten spricht. Weniger die Liebe zu den Frauen, die meist eher nur der Verzweiflung entspringt, allein zu sein. Viel mehr Liebe wird Babe, Oliver Hardy, entgegengebracht, der ebenfalls seine Probleme mit Frauen hat. Durch Alkoholismus, Betrug, Prozesse und Verrat bleiben sich die beiden treu, beste Freunde. Und trotzdem wird auch diese Beziehung ein wenig durch den persönlichen Weichzeichner der Erzählperspektive verzerrt.

John Connolly hat mit Stan ein Werk geschaffen, das den Spagat zwischen Biografie und Fiktion versucht, dabei zwar einiges verzerrt und maskiert, jedoch nicht scheitert. Denn schon der Blick in die völlig andere Welt, eine sich wandelnden Filmbranche in einem vergangenen Zeitalter, lohnt sich. Zudem werden einige nie hinterfragte Fixpunkte und Persönlichkeiten in eine neue Perspektive gesetzt.

Titelbild

John Connolly: Stan. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Gottfried Röckelein.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018.
527 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783498009465

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